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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Geld – was ist das?

»Schön, die Phö­ni­zi­er haben das Geld erfun­den – aber war­um so wenig«, sin­nier­te Johann Nestroy (1801 – 1862), der öster­rei­chi­sche Dra­ma­ti­ker und Schau­spie­ler. Außer dem Fra­ge­teil stimmt die Bemer­kung in dop­pel­ter Wei­se nicht. Erstens haben die Phö­ni­zi­er nicht das Geld erfun­den, son­dern allen­falls die Mün­ze. Und zwei­tens haben vor ihnen schon die Lyder und die Chi­ne­sen Mün­zen geprägt. Tuchol­sky scherz­te, Natio­nal­öko­no­mie sei, »wenn die Leu­te sich wun­der­ten, war­um sie kein Geld haben«. Das habe meh­re­re Grün­de, »die fein­sten sind die wis­sen­schaft­li­chen Grün­de«. Und er opfer­te der Poin­te die Wahr­heit, indem er hin­zu­füg­te: »Seit­dem ist die Fra­ge völ­lig gelöst: die Leu­te haben zwar immer noch kein Geld, wis­sen aber wenig­stens, war­um.« Vie­le wis­sen es nicht, weil die Natio­nal­öko­no­mie – die Leh­re von der Volks­wirt­schaft – es ihnen nicht erklärt. Von Tei­len der Wis­sen­schaft wer­den sie absichts­voll ihrer Unwis­sen­heit über­las­sen. Sach­sens Wirt­schafts­mi­ni­ster Mar­tin Dulig (SPD) wet­ter­te im Wahl­kampf 2019 zu Recht dage­gen, dass die Arbei­ter im Osten für die glei­che Arbeit dra­stisch weni­ger Geld erhal­ten als die Kol­le­gen im Westen. Er erweck­te den Ein­druck, gegen die unbe­grün­de­ten, kras­sen Lohn­un­ter­schie­de etwas unter­neh­men zu wol­len. Getan hat er nichts, weder vor der Wahl noch danach. Wor­auf es ihm ankam: Stim­men zu sammeln.

Im Gegen­satz zu Tuchol­sky könn­te man sagen, Natio­nal­öko­no­mie ist, wenn Gelehr­te sich wun­dern, war­um es Geld über­haupt gibt. Trotz aller Bemü­hun­gen ist Geld für die Wis­sen­schaft anschei­nend ein Geheim­nis geblie­ben. Tau­sen­de von Büchern sind seit dem Alter­tum über den Ursprung und das Wesen des Gel­des erschie­nen. Einig sind sich die Autoren nicht gewor­den. Ein Ende des Streits ist nicht abzu­se­hen. Was ist Geld, woher kommt es? Die Schwie­rig­keit, die Fra­ge zu beant­wor­ten, hat meh­re­re Grün­de. Einer davon sind die vie­len Din­ge, mit denen die Men­schen in der Geschich­te ihre Käu­fe bezahlt haben: Vieh und Per­len, Muscheln und Fel­le, Bank­no­ten und Wech­sel, Stei­ne und Ziga­ret­ten, Tabak und Gold, Sil­ber und Eisen, Kup­fer und Zinn, Papier­zet­tel und Mün­zen, Schnaps und Bank­ein­la­gen, Akti­en und Obli­ga­tio­nen, Äxte und Bit­co­ins. Das alles soll Geld sein?

Ulrich Busch setzt sich in sei­nem neu­en lesens­wer­ten und akri­bisch recher­chier­ten Buch mit der seit der Anti­ke bis in unse­re Zeit anhal­ten­den Kri­tik des Gel­des aus­ein­an­der. Er ver­mei­det eine iso­lier­te Geld­kri­tik, betrach­tet sie zu Recht stets als eine Kri­tik der jewei­li­gen gesell­schaft­li­chen Umstän­de. Der Autor lässt über 800 Per­sön­lich­kei­ten zu Wort kom­men: Öko­no­men, Phi­lo­so­phen, Schrift­stel­ler und Dich­ter. Von Goe­the und Schil­ler bis zu Karl May und den Brü­dern Grimm ist dabei, wer Rang und Namen hat. Buschs neu­es Buch liest sich wie ein »Who is Who« in Sachen Geld­kri­tik. Zur Klä­rung der gro­ßen, alten Fra­ge, was Geld ist, will er nicht bei­tra­gen, wofür er nicht kri­ti­siert wer­den kann. Busch listet ein­hun­dert­elf Geld­de­fi­ni­tio­nen auf, von denen sich aller­dings eini­ge über­schnei­den und ande­re ober­fläch­lich sind. Doch die Zahl ist bemer­kens­wert, zumal die Liste mühe­los ver­län­gert wer­den könn­te. Busch betrach­tet das Geld nicht nur als Öko­nom, son­dern lässt phi­lo­so­phi­sche, anthro­po­lo­gi­sche, psy­cho­lo­gi­sche, ethisch-mora­li­sche, reli­giö­se, kul­tu­rel­le und ande­re Sich­ten zu. Das ist ein Vor­zug des Buches. Und zugleich des­sen Nach­teil, weil es die Ver­wir­rung eher noch ver­grö­ßert, wo doch selbst der öko­no­mi­sche Sach­ver­stand eini­ger Öko­no­men offen­bar nicht reicht, zu erfas­sen, was Geld ist. Geld sei kei­ne rein öko­no­mi­sche Kate­go­rie. Sie kön­ne »nicht allein durch die Öko­no­mie erklärt wer­den«, meint Busch. Dem kann man zwar zustim­men. Doch die zen­tra­le Fra­ge des Öko­no­men ist nicht, wie man das Geld nicht­öko­no­misch erklä­ren kann, son­dern wie man es öko­no­misch begrün­den muss. Der Feh­ler ist nicht, außer­öko­no­mi­sche Gel­derklä­run­gen inter­es­sant zu fin­den, son­dern mit ihnen öko­no­mi­sche erset­zen zu wol­len. Wer sich die reli­giö­se Erklä­rung des Gel­des zu eigen macht – Geld sei ein Opfer –, ver­lässt die Defi­ni­ti­ons­ebe­ne des Öko­no­men. Er und sie begrei­fen das Geld als etwas Nicht­öko­no­mi­sches und müs­sen fol­ge­rich­tig die Ent­ste­hung des Gel­des aus dem geld­lo­sen Waren­tausch ableh­nen. Wer wie Busch das Geld und sei­ne Her­kunft mit kul­ti­schen und reli­giö­sen Inhal­ten ver­knüpft, ent­fernt sich, ob er es will oder nicht, vom öko­no­mi­schen Wesens­ver­ständ­nis. Geld als Opfer, Sta­tus- oder Protz­sym­bol zu sehen hilft nicht, es als zen­tra­les Ele­ment der Waren­pro­duk­ti­on zu ver­ste­hen. Es gibt Autoren, die sich mit der Aura umge­ben, Mar­xist zu sein, und, wenn sie auf die Ent­ste­hung des Gel­des zu spre­chen kom­men, die Wert­form­ana­ly­se aus­blen­den. Mit ihr hat­te Karl Marx bekannt­lich das Geld­rät­sel gelöst. Busch igno­riert Marx› Erklä­rung der Geld­ent­ste­hung nicht. Er meint, sich der »Neu­en Marx-Lek­tü­re« nähernd, es han­de­le sich um eine theo­re­ti­sche Kon­struk­ti­on, die im Wesent­li­chen logi­scher Natur sei. Im Gegen­satz zu den Autoren aus dem Dunst­kreis der eigen­wil­li­gen Marx-Inter­pre­ten gibt er aber immer­hin zu, dass sie sich »auf histo­ri­sche Sach­ver­hal­te [stützt] und zugleich ein Modell der histo­ri­schen Ent­wick­lung [ver­kör­pert]«. Er weist zu Recht die Iden­ti­fi­ka­ti­on von Geld und Kapi­tal zurück, ande­re, eben­so fal­sche Gleich­set­zun­gen, wie die von Geld und Kre­dit, dage­gen lässt er gel­ten. Auch die »Defi­ni­ti­on«, Geld sei ein »knapp gehal­te­nes Nichts«, über­nimmt er kom­men­tar­los. An ande­rer Stel­le hat­te er die auf Joseph Schum­pe­ter zurück­ge­hen­de und vom Ber­li­ner Keyne­sia­ner Hajo Rie­se kol­por­tier­te The­se gar als den »wohl überzeugendste[n] Vor­schlag zur Lösung des Geld­rät­sels« bezeich­net (Ulrich Busch: »Geld: NICHTS, geschöpft aus NICHTS«, in: Das Blätt­chen 2/​2014). Die­se Begriffs­be­stim­mung ist, wenn nicht absurd, zumin­dest sprach­lich frag­wür­dig. Wie soll man sich das vor­stel­len, Nichts knapp oder Nichts nicht knapp zu hal­ten? Geld – nur ein abstrak­tes Sym­bol, Zei­chen, Zahl, beleg­ter Spei­cher­platz im Rechen­werk? Eine der­art abstru­se, nichts­sa­gen­de Wesens­be­stim­mung des Gel­des kann sich nur hal­ten – es sind kei­nes­wegs weni­ge, die glau­ben, sie tref­fe zu –, weil sie Rea­les wider­spie­gelt wie das Buch­geld, das papier­ne Fiat­geld der Noten­ban­ken und die Tat­sa­che, dass Ban­ken Kre­di­te ver­ge­ben in einem Umfang, der die bei ihr depo­nier­ten Erspar­nis­se über­steigt. Ist mit der »Nichts-aus-Nichts-The­se« gemeint, Geschäfts- und Zen­tral­ban­ken könn­ten nach Belie­ben, also vor­aus­set­zungs­los, Geld in den Umlauf brin­gen, ist dem aber dezi­diert zu wider­spre­chen. Das ist an ande­rer Stel­le begrün­det worden.

Busch schmückt sei­ne Arbeit mit Apho­ris­men, Sinn­sprü­chen und Zita­ten, geist­rei­chen und weni­ger gewitz­ten. Sie berei­chern den Text, lockern ihn auf und erhö­hen die Lese­lust. Vor Jah­ren sag­te mir der Autor, über das Geld wol­le er nun nichts mehr schrei­ben. Zum Glück hat er den Vor­satz immer wie­der gebro­chen. Ich tei­le nicht alle sei­ne Ansich­ten, habe sein neu­es Buch aber gern gele­sen, weil es gehalt­voll ist und zum Nach­den­ken anregt. Es ist allen zu emp­feh­len, egal ob sie Vor­wis­sen besit­zen oder nicht, die sich dafür inter­es­sie­ren, wie gro­ße Per­sön­lich­kei­ten über die Macht und die wider­sprüch­li­chen Wir­kun­gen des Gel­des gedacht haben.

 

Ulrich Busch: »Geld­kri­tik. Theo­rien – Moti­ve – Irr­tü­mer«, Abhand­lun­gen der Leib­niz-Sozie­tät der Wis­sen­schaf­ten, Band 65, tra­fo-Wis­sen­schafts­ver­lag, 400 Sei­ten, 39,80 €; Ste­phan Krüger/​Klaus Mül­ler: »Das Geld im 21. Jahr­hun­dert. Die Aktua­li­tät der Marx­schen Wert- und Geld­theo­rie«, Papy­Ros­sa, 185 Sei­ten, 20 €