»Schön, die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig«, sinnierte Johann Nestroy (1801 – 1862), der österreichische Dramatiker und Schauspieler. Außer dem Frageteil stimmt die Bemerkung in doppelter Weise nicht. Erstens haben die Phönizier nicht das Geld erfunden, sondern allenfalls die Münze. Und zweitens haben vor ihnen schon die Lyder und die Chinesen Münzen geprägt. Tucholsky scherzte, Nationalökonomie sei, »wenn die Leute sich wunderten, warum sie kein Geld haben«. Das habe mehrere Gründe, »die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe«. Und er opferte der Pointe die Wahrheit, indem er hinzufügte: »Seitdem ist die Frage völlig gelöst: die Leute haben zwar immer noch kein Geld, wissen aber wenigstens, warum.« Viele wissen es nicht, weil die Nationalökonomie – die Lehre von der Volkswirtschaft – es ihnen nicht erklärt. Von Teilen der Wissenschaft werden sie absichtsvoll ihrer Unwissenheit überlassen. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) wetterte im Wahlkampf 2019 zu Recht dagegen, dass die Arbeiter im Osten für die gleiche Arbeit drastisch weniger Geld erhalten als die Kollegen im Westen. Er erweckte den Eindruck, gegen die unbegründeten, krassen Lohnunterschiede etwas unternehmen zu wollen. Getan hat er nichts, weder vor der Wahl noch danach. Worauf es ihm ankam: Stimmen zu sammeln.
Im Gegensatz zu Tucholsky könnte man sagen, Nationalökonomie ist, wenn Gelehrte sich wundern, warum es Geld überhaupt gibt. Trotz aller Bemühungen ist Geld für die Wissenschaft anscheinend ein Geheimnis geblieben. Tausende von Büchern sind seit dem Altertum über den Ursprung und das Wesen des Geldes erschienen. Einig sind sich die Autoren nicht geworden. Ein Ende des Streits ist nicht abzusehen. Was ist Geld, woher kommt es? Die Schwierigkeit, die Frage zu beantworten, hat mehrere Gründe. Einer davon sind die vielen Dinge, mit denen die Menschen in der Geschichte ihre Käufe bezahlt haben: Vieh und Perlen, Muscheln und Felle, Banknoten und Wechsel, Steine und Zigaretten, Tabak und Gold, Silber und Eisen, Kupfer und Zinn, Papierzettel und Münzen, Schnaps und Bankeinlagen, Aktien und Obligationen, Äxte und Bitcoins. Das alles soll Geld sein?
Ulrich Busch setzt sich in seinem neuen lesenswerten und akribisch recherchierten Buch mit der seit der Antike bis in unsere Zeit anhaltenden Kritik des Geldes auseinander. Er vermeidet eine isolierte Geldkritik, betrachtet sie zu Recht stets als eine Kritik der jeweiligen gesellschaftlichen Umstände. Der Autor lässt über 800 Persönlichkeiten zu Wort kommen: Ökonomen, Philosophen, Schriftsteller und Dichter. Von Goethe und Schiller bis zu Karl May und den Brüdern Grimm ist dabei, wer Rang und Namen hat. Buschs neues Buch liest sich wie ein »Who is Who« in Sachen Geldkritik. Zur Klärung der großen, alten Frage, was Geld ist, will er nicht beitragen, wofür er nicht kritisiert werden kann. Busch listet einhundertelf Gelddefinitionen auf, von denen sich allerdings einige überschneiden und andere oberflächlich sind. Doch die Zahl ist bemerkenswert, zumal die Liste mühelos verlängert werden könnte. Busch betrachtet das Geld nicht nur als Ökonom, sondern lässt philosophische, anthropologische, psychologische, ethisch-moralische, religiöse, kulturelle und andere Sichten zu. Das ist ein Vorzug des Buches. Und zugleich dessen Nachteil, weil es die Verwirrung eher noch vergrößert, wo doch selbst der ökonomische Sachverstand einiger Ökonomen offenbar nicht reicht, zu erfassen, was Geld ist. Geld sei keine rein ökonomische Kategorie. Sie könne »nicht allein durch die Ökonomie erklärt werden«, meint Busch. Dem kann man zwar zustimmen. Doch die zentrale Frage des Ökonomen ist nicht, wie man das Geld nichtökonomisch erklären kann, sondern wie man es ökonomisch begründen muss. Der Fehler ist nicht, außerökonomische Gelderklärungen interessant zu finden, sondern mit ihnen ökonomische ersetzen zu wollen. Wer sich die religiöse Erklärung des Geldes zu eigen macht – Geld sei ein Opfer –, verlässt die Definitionsebene des Ökonomen. Er und sie begreifen das Geld als etwas Nichtökonomisches und müssen folgerichtig die Entstehung des Geldes aus dem geldlosen Warentausch ablehnen. Wer wie Busch das Geld und seine Herkunft mit kultischen und religiösen Inhalten verknüpft, entfernt sich, ob er es will oder nicht, vom ökonomischen Wesensverständnis. Geld als Opfer, Status- oder Protzsymbol zu sehen hilft nicht, es als zentrales Element der Warenproduktion zu verstehen. Es gibt Autoren, die sich mit der Aura umgeben, Marxist zu sein, und, wenn sie auf die Entstehung des Geldes zu sprechen kommen, die Wertformanalyse ausblenden. Mit ihr hatte Karl Marx bekanntlich das Geldrätsel gelöst. Busch ignoriert Marx› Erklärung der Geldentstehung nicht. Er meint, sich der »Neuen Marx-Lektüre« nähernd, es handele sich um eine theoretische Konstruktion, die im Wesentlichen logischer Natur sei. Im Gegensatz zu den Autoren aus dem Dunstkreis der eigenwilligen Marx-Interpreten gibt er aber immerhin zu, dass sie sich »auf historische Sachverhalte [stützt] und zugleich ein Modell der historischen Entwicklung [verkörpert]«. Er weist zu Recht die Identifikation von Geld und Kapital zurück, andere, ebenso falsche Gleichsetzungen, wie die von Geld und Kredit, dagegen lässt er gelten. Auch die »Definition«, Geld sei ein »knapp gehaltenes Nichts«, übernimmt er kommentarlos. An anderer Stelle hatte er die auf Joseph Schumpeter zurückgehende und vom Berliner Keynesianer Hajo Riese kolportierte These gar als den »wohl überzeugendste[n] Vorschlag zur Lösung des Geldrätsels« bezeichnet (Ulrich Busch: »Geld: NICHTS, geschöpft aus NICHTS«, in: Das Blättchen 2/2014). Diese Begriffsbestimmung ist, wenn nicht absurd, zumindest sprachlich fragwürdig. Wie soll man sich das vorstellen, Nichts knapp oder Nichts nicht knapp zu halten? Geld – nur ein abstraktes Symbol, Zeichen, Zahl, belegter Speicherplatz im Rechenwerk? Eine derart abstruse, nichtssagende Wesensbestimmung des Geldes kann sich nur halten – es sind keineswegs wenige, die glauben, sie treffe zu –, weil sie Reales widerspiegelt wie das Buchgeld, das papierne Fiatgeld der Notenbanken und die Tatsache, dass Banken Kredite vergeben in einem Umfang, der die bei ihr deponierten Ersparnisse übersteigt. Ist mit der »Nichts-aus-Nichts-These« gemeint, Geschäfts- und Zentralbanken könnten nach Belieben, also voraussetzungslos, Geld in den Umlauf bringen, ist dem aber dezidiert zu widersprechen. Das ist an anderer Stelle begründet worden.
Busch schmückt seine Arbeit mit Aphorismen, Sinnsprüchen und Zitaten, geistreichen und weniger gewitzten. Sie bereichern den Text, lockern ihn auf und erhöhen die Leselust. Vor Jahren sagte mir der Autor, über das Geld wolle er nun nichts mehr schreiben. Zum Glück hat er den Vorsatz immer wieder gebrochen. Ich teile nicht alle seine Ansichten, habe sein neues Buch aber gern gelesen, weil es gehaltvoll ist und zum Nachdenken anregt. Es ist allen zu empfehlen, egal ob sie Vorwissen besitzen oder nicht, die sich dafür interessieren, wie große Persönlichkeiten über die Macht und die widersprüchlichen Wirkungen des Geldes gedacht haben.
Ulrich Busch: »Geldkritik. Theorien – Motive – Irrtümer«, Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Band 65, trafo-Wissenschaftsverlag, 400 Seiten, 39,80 €; Stephan Krüger/Klaus Müller: »Das Geld im 21. Jahrhundert. Die Aktualität der Marxschen Wert- und Geldtheorie«, PapyRossa, 185 Seiten, 20 €