Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Geben ist seliger als nehmen

Die Macht des Wor­tes ent­fal­tet in jeder Gesell­schaft eine enor­me Wirk­sam­keit. Mit Wör­tern kann man mani­pu­lie­ren und mysti­fi­zie­ren und auch Rol­len fest­le­gen, die am Ende selbst Herr­schafts­ver­hält­nis­se nicht mehr in Fra­ge stel­len, zumal, wenn sie im Recht abge­si­chert wer­den. So gibt es in einer kapi­ta­li­sti­schen Wirt­schafts­ord­nung, die auf einem tie­fen öko­no­mi­schen Wider­spruch zwi­schen Kapi­tal und Arbeit basiert, die­je­ni­gen, denen das Kapi­tal gehört, und die­je­ni­gen die nur über ihre Arbeits­kraft ver­fü­gen. Letz­te­re sind zur Ver­wer­tung ihres Arbeits­ver­mö­gens auf die Bereit­stel­lung von Kapi­tal (Pro­duk­ti­ons­mit­tel) ange­wie­sen. Das heißt, Arbeits­kräf­te müs­sen sich auf Arbeits­märk­ten den Kapi­tal­eig­nern anbie­ten und ver­kau­fen. Fin­den Arbeits­kräf­te hier kei­nen Nach­fra­ger, so sind sie arbeits­los, wobei Arbeits­lo­sig­keit nach dem her­aus­ra­gen­den deut­schen Phi­lo­so­phen und Sozio­lo­gen Oskar Negt, »ein Gewalt­akt gegen Men­schen ist«.

Hat ein Kapi­tal­eig­ner Arbeits­kräf­te in sei­nem Unter­neh­men ein­ge­stellt, so müs­sen die­se wei­sungs­ge­bun­de­ne (fremd­be­stimm­te) Arbeit ver­rich­ten und erhal­ten dafür ein Arbeits­ent­gelt. Gere­gelt wird dies alles in einem Arbeits­ver­trag. Die Kapi­tal­eig­ner üben hier ein Direk­ti­ons­recht aus, und die Arbeits­kräf­te unter­lie­gen einer Gehor­sams­pflicht. Dabei ent­steht eine zwei­te syste­misch-öko­no­misch inhä­ren­te Abhän­gig­keit: Das Arbeits­ent­gelt, das der Kapi­tal­eig­ner den abhän­gig Beschäf­tig­ten zahlt, muss hier immer klei­ner sein als der ver­kauf­ba­re Wert der Arbeit auf den Absatz­märk­ten. Ist dies nicht der Fall, ent­steht kein Mehr­wert für die Kapi­tal­eig­ner, und in Fol­ge wird der abhän­gig Beschäf­tig­te gemäß einer Pro­gno­se­rech­nung auch nicht nach­ge­fragt. Und soll­te er von einem Kapi­tal­eig­ner in der Ver­gan­gen­heit ein­ge­stellt wor­den sein, so kommt es immer dann zur Ent­las­sung, wenn die öko­no­mi­sche Unglei­chung (Arbeits­ent­gelt < Wert der Arbeit) nicht mehr erfüllt wird.

Der abhän­gig Beschäf­tig­te ist also in die­sem holi­stisch-öko­no­mi­schen Kon­text nur for­mal­recht­lich als »Frei« ein­zu­stu­fen, öko­no­misch ist er es nicht. Die öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se machen ihn zu einem Abhän­gi­gen, der auch durch eine Selbst­kün­di­gung sei­nes Arbeits­ver­hält­nis­ses nicht sei­ne geglaub­te »Frei­heit« erhält. Er benö­tigt halt ein neu­es Arbeits­ver­hält­nis und damit einen neu­en Kapi­tal­eig­ner, der ihn am Arbeits­markt nachfragt.

Vor die­sem öko­no­mi­schen Hin­ter­grund stän­dig von »Arbeit­neh­mern« und »Arbeit­ge­bern« zu spre­chen ist völ­lig kon­tra­fak­tisch und mysti­fi­zie­rend zugleich. Der hier vor­ge­nom­me­ne sprach­li­che Rol­len­tausch stellt die tat­säch­li­chen öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se auf den Kopf. Die Bezeich­nun­gen sind nur umge­kehrt rich­tig! Der soge­nann­te »Arbeit­ge­ber« ist der­je­ni­ge, der nicht die Arbeit gibt, son­dern der sie nach­fragt und der soge­nann­te »Arbeit­neh­mer« ist der­je­ni­ge, der die Arbeit bzw. sei­ne Arbeits­kraft anbie­tet, anbie­ten muss. Der gute »Arbeit­ge­ber«, der angeb­lich die Arbeits­plät­ze schafft, steht hier gesell­schaft­lich gegen den »Arbeit­neh­mer«, der gefäl­ligst zufrie­den und dank­bar sein soll; ist er doch nur der­je­ni­ge, der die Arbeit vom »Arbeit­ge­ber« erhält. Wie sagt hier der Volks­mund? »Geben ist halt seli­ger als nehmen.«