Auf diese kurze Formel brachte Ministerpräsident Draghi seine Entscheidung für die Gas-Sanktionen gegen Russland und die daraus resultierende Problematik, vor der sich die Italiener im kommenden Sommer sehen werden. Das ist durchaus ein Pendant zu Mussolinis einstiger Alternative »Butter oder Kanonen«. Auf Kanonen soll es auch jetzt wieder hinauslaufen, denn mit »pace« meint Draghi heute den Sieg der Ukrainer unter Selenskij gegen Putin, und der dafür fortzusetzende Krieg bzw. die Verteidigung gegen die Russen soll daher weiter militärisch verstärkt werden. Und zwar durch einzelne westliche Nato-Staaten, die damit – auch ohne direkte Nato-Einbeziehung – indirekt zu kriegführenden Staaten geworden sind, wie schon Minister Habeck feststellte. Und erneut – wie einst bereits beim Nato-Beitritt und in allen darauffolgenden »Friedens«- und Kriegsmissionen Italiens – stellen Verfassungsrechtler fest, dass diese allesamt den Artikeln 11 und 52 der italienischen Verfassung widersprechen. Auch der römische Verfassungsrechtler Michele Ainis unterstrich kürzlich erneut, dass der Verteidigungsfall nur dann eintritt, wenn italienisches Territorium direkt angegriffen wird. Entfacht ist die Debatte angesichts der fast einstimmigen Entscheidung des italienischen Parlaments für weitere Waffenexporte in die Ukraine sowie zur Aufstockung des Militäretats von 1,5 auf 2 Prozent des BIP. Dagegen erhob sich ein Sturm der Entrüstung in den social media, vor allem vonseiten der Basis der einstigen Mitte-links-Koalition aus Demokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung. Diverse Meinungsumfragen ergaben, dass die Zustimmung der Bevölkerung in Italien sowohl zu weiteren Waffenexporten als auch zu einer künftigen Erhöhung der Militärausgaben von 25 auf 40 Milliarden Euro pro Jahr mehrheitlich fehlt. Denn dass täglich über 100 Millionen Euro ins Militärbudget gesteckt werden sollen, die so dringend für lebenswichtige Bedürfnisse der Menschen gebraucht würden, dass soeben sogar die Mehrwertsteuer auf Waffenexporte ausgesetzt wurde, aber Brot täglich teurer wird, ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Schon Anfang April weigerten sich Frachtarbeiter am Flugplatz von Pisa, als Hilfsgüter verbrämte Kisten mit Waffen zu verladen, ebenso wie die Hafenarbeiter, die in Genua gegen die Verladung von Militärgütern streikten.
Nicht nur Gewerkschaften (CGIL), sondern auch Claudio Bonomi, der sonst äußerst regierungskonforme Arbeitgeber-Präsident (Confindustria), schlugen angesichts der Embargo-Politik Alarm. Auf einer vielbeachteten Rede in Turin nannte Bonomi erschreckende Zahlen: Bereits 16 Prozent der Unternehmen hätten ihre Produktion reduzieren, wenn nicht einstellen müssen, weitere 30 Prozent werden schließen müssen. Die beschlossenen Sanktionen seien eine Kriegserklärung auch an die italienische Wirtschaft, und wenn es keine Kursänderung seitens der Regierung geben sollte, versinkt die Zukunft in Armut und Arbeitslosigkeit.
Doch über all das wird in den großen Medien kaum debattiert, stattdessen wird der brutale Krieg in der Ukraine als Horror-Spektakel fast pausenlos mit Blut, Tränen und makabren Bildern in die Wohnzimmer projiziert. Von Frieden durch Verhandlungen ist nicht mehr die Rede, die Nato stimmt auf jahrelange Kämpfe ein.
Das hat jüngst den Anlass zu einem Appell von Journalisten gegeben, die als weiteres Opfer des Propaganda-Krieges eben den Journalismus ausmachen: »Beim Verfolgen der Fernsehsendungen und Lesen der Zeitungen, die über den Krieg in der Ukraine berichten, ist uns klar geworden, dass hier etwas nicht funktioniert, dass hier etwas schiefläuft.« Mit diesen Worten beginnt der Appell mit dem zunächst 11 namhafte Journalisten großer Medien (Corriere della sera, RAI, TG 5, Repubblica, Panorama, Sole 24 ore ) Alarm schlugen gegen die herrschende, einseitig ausgerichtete und stark vereinfachte Berichterstattung über die Ereignisse in der Ukraine: Die Mailänder Tageszeitung Il fatto quotidiano berichtete darüber am 2. April unter der Überschrift: »Warum die journalistische Berichterstattung über die Ukraine falsch liegt und die Leser nur auf den Weg zur Aufrüstung schickt. Schluss mit Gut und Böse, im Kriege sind Zweifel wertvoll« (s. Africa Ex Press.info).
Die Autorinnen und Autoren des Appells verweisen auf ihre langjährigen direkten Kriegserfahrungen in den diversen Konflikten der letzten Jahrzehnte, deren Bomben sogar einige ihrer Kollegen zum Opfer gefallen sind, und fühlen sich legitimiert, die Behandlung dieses ersten Krieges in einer fortgeschrittenen web-Ära zu kritisieren: »Wir werden von Nachrichten überschwemmt. Aber die Kriegführenden sind a priori in Gut und Böse unterteilt, ja, in sehr Gute und besonders Böse. Dabei wird nur die eine herrschende Meinung akzeptiert, und wer anders denkt, wird sofort als Freund Putins gebrandmarkt. (…) Das ist keine Information mehr, sondern Propaganda. Die Fakten gehen unter in einem Chor aus Meinungen.«
Die Journalisten versichern vorab – und ohne diese ja eigentlich selbstverständliche e Feststellung geht nichts mehr –, dass sie Putin für voll verantwortlich für die Entfesselung dieses Krieges durch die brutale Invasion der Ukraine halten. Er schickt seit Februar Bomben und Raketen, die Zerstörung, Tod und Schmerz verursachen. Und sie erklären sich solidarisch mit der Ukraine und ihren Menschen – aber gerade deshalb erlauben sie sich Fragen danach, wie es überhaupt zu diesem Krieg kommen konnte – und wie man ihn heute am besten beenden könnte.
Jedoch scheint es so, als ob, wer Fragen stellt und Zweifel äußert, »als Verräter, Feigling oder Deserteur die Ukrainer dem Massaker ausliefert. Wer so die Problematik eines Krieges angeht, weiß nicht, was Krieg ist«, stellt Toni Capuozzo, langjähriger Kriegs-Korrespondent von TV TG 5, fest. Das Fernsehen lebt heute vom Spektakel, Kriegsbilder werden zum Infotainment, die Talkshow-Politik mit ihrer binären Logik lässt keine Differenzierungen mehr zu. Alle sind zu Fans der einen oder anderen Seite geworden, Fans des Friedens, einst Pazifisten genannt, sind obsolet. Aber kann man Putins Motivation zu diesem Krieg wirklich mit seinem vermuteten Verrücktsein oder irren imperialen Bestrebungen erklären? Haben die Menschen nicht Anspruch auf eine umfassendere Analyse? Eine, die dem Recht auf mehrstimmige Information in einer liberaldemokratischen Gesellschaft entspräche – und die einen Ausweg aus dieser Katastrophe zeigen könnte?
Die diversen hinter diesem furchtbaren Krieg liegenden Interessen bleiben für die Mehrheit der Medienkonsumenten im Dunkeln.
Wie anders sollten die Menschen sich sonst auf eine weitere hochgefährliche Aufrüstungsspirale einlassen, auf horrende Ausgaben der Staaten und ebensolche Profite der Rüstungsindustrie, Gelder, die weltweit dringend benötigt werden, um die Lebensbedingungen der Menschheit zu bewahren und nicht einen dritten Weltkrieg in Aussicht zu stellen?