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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Frieden oder Aircondition?

Auf die­se kur­ze For­mel brach­te Mini­ster­prä­si­dent Draghi sei­ne Ent­schei­dung für die Gas-Sank­tio­nen gegen Russ­land und die dar­aus resul­tie­ren­de Pro­ble­ma­tik, vor der sich die Ita­lie­ner im kom­men­den Som­mer sehen wer­den. Das ist durch­aus ein Pen­dant zu Mus­so­li­nis ein­sti­ger Alter­na­ti­ve »But­ter oder Kano­nen«. Auf Kano­nen soll es auch jetzt wie­der hin­aus­lau­fen, denn mit »pace« meint Draghi heu­te den Sieg der Ukrai­ner unter Selens­kij gegen Putin, und der dafür fort­zu­set­zen­de Krieg bzw. die Ver­tei­di­gung gegen die Rus­sen soll daher wei­ter mili­tä­risch ver­stärkt wer­den. Und zwar durch ein­zel­ne west­li­che Nato-Staa­ten, die damit – auch ohne direk­te Nato-Ein­be­zie­hung – indi­rekt zu krieg­füh­ren­den Staa­ten gewor­den sind, wie schon Mini­ster Habeck fest­stell­te. Und erneut – wie einst bereits beim Nato-Bei­tritt und in allen dar­auf­fol­gen­den »Frie­dens«- und Kriegs­mis­sio­nen Ita­li­ens – stel­len Ver­fas­sungs­recht­ler fest, dass die­se alle­samt den Arti­keln 11 und 52 der ita­lie­ni­schen Ver­fas­sung wider­spre­chen. Auch der römi­sche Ver­fas­sungs­recht­ler Miche­le Ainis unter­strich kürz­lich erneut, dass der Ver­tei­di­gungs­fall nur dann ein­tritt, wenn ita­lie­ni­sches Ter­ri­to­ri­um direkt ange­grif­fen wird. Ent­facht ist die Debat­te ange­sichts der fast ein­stim­mi­gen Ent­schei­dung des ita­lie­ni­schen Par­la­ments für wei­te­re Waf­fen­ex­por­te in die Ukrai­ne sowie zur Auf­stockung des Mili­täre­tats von 1,5 auf 2 Pro­zent des BIP. Dage­gen erhob sich ein Sturm der Ent­rü­stung in den social media, vor allem von­sei­ten der Basis der ein­sti­gen Mit­te-links-Koali­ti­on aus Demo­kra­ten und der Fünf-Ster­ne-Bewe­gung. Diver­se Mei­nungs­um­fra­gen erga­ben, dass die Zustim­mung der Bevöl­ke­rung in Ita­li­en sowohl zu wei­te­ren Waf­fen­ex­por­ten als auch zu einer künf­ti­gen Erhö­hung der Mili­tär­aus­ga­ben von 25 auf 40 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr mehr­heit­lich fehlt. Denn dass täg­lich über 100 Mil­lio­nen Euro ins Mili­tär­bud­get gesteckt wer­den sol­len, die so drin­gend für lebens­wich­ti­ge Bedürf­nis­se der Men­schen gebraucht wür­den, dass soeben sogar die Mehr­wert­steu­er auf Waf­fen­ex­por­te aus­ge­setzt wur­de, aber Brot täg­lich teu­rer wird, ist der Bevöl­ke­rung nicht zu ver­mit­teln. Schon Anfang April wei­ger­ten sich Fracht­ar­bei­ter am Flug­platz von Pisa, als Hilfs­gü­ter ver­bräm­te Kisten mit Waf­fen zu ver­la­den, eben­so wie die Hafen­ar­bei­ter, die in Genua gegen die Ver­la­dung von Mili­tär­gü­tern streikten.

Nicht nur Gewerk­schaf­ten (CGIL), son­dern auch Clau­dio Bono­mi, der sonst äußerst regie­rungs­kon­for­me Arbeit­ge­ber-Prä­si­dent (Con­f­in­du­stria), schlu­gen ange­sichts der Embar­go-Poli­tik Alarm. Auf einer viel­be­ach­te­ten Rede in Turin nann­te Bono­mi erschrecken­de Zah­len: Bereits 16 Pro­zent der Unter­neh­men hät­ten ihre Pro­duk­ti­on redu­zie­ren, wenn nicht ein­stel­len müs­sen, wei­te­re 30 Pro­zent wer­den schlie­ßen müs­sen. Die beschlos­se­nen Sank­tio­nen sei­en eine Kriegs­er­klä­rung auch an die ita­lie­ni­sche Wirt­schaft, und wenn es kei­ne Kurs­än­de­rung sei­tens der Regie­rung geben soll­te, ver­sinkt die Zukunft in Armut und Arbeitslosigkeit.

Doch über all das wird in den gro­ßen Medi­en kaum debat­tiert, statt­des­sen wird der bru­ta­le Krieg in der Ukrai­ne als Hor­ror-Spek­ta­kel fast pau­sen­los mit Blut, Trä­nen und maka­bren Bil­dern in die Wohn­zim­mer pro­ji­ziert. Von Frie­den durch Ver­hand­lun­gen ist nicht mehr die Rede, die Nato stimmt auf jah­re­lan­ge Kämp­fe ein.

Das hat jüngst den Anlass zu einem Appell von Jour­na­li­sten gege­ben, die als wei­te­res Opfer des Pro­pa­gan­da-Krie­ges eben den Jour­na­lis­mus aus­ma­chen: »Beim Ver­fol­gen der Fern­seh­sen­dun­gen und Lesen der Zei­tun­gen, die über den Krieg in der Ukrai­ne berich­ten, ist uns klar gewor­den, dass hier etwas nicht funk­tio­niert, dass hier etwas schief­läuft.« Mit die­sen Wor­ten beginnt der Appell mit dem zunächst 11 nam­haf­te Jour­na­li­sten gro­ßer Medi­en (Cor­rie­re del­la sera, RAI, TG 5, Repubbli­ca, Pan­ora­ma, Sole 24 ore ) Alarm schlu­gen gegen die herr­schen­de, ein­sei­tig aus­ge­rich­te­te und stark ver­ein­fach­te Bericht­erstat­tung über die Ereig­nis­se in der Ukrai­ne: Die Mai­län­der Tages­zei­tung Il fat­to quo­ti­dia­no berich­te­te dar­über am 2. April unter der Über­schrift: »War­um die jour­na­li­sti­sche Bericht­erstat­tung über die Ukrai­ne falsch liegt und die Leser nur auf den Weg zur Auf­rü­stung schickt. Schluss mit Gut und Böse, im Krie­ge sind Zwei­fel wert­voll« (s. Afri­ca Ex Press.info).

Die Autorin­nen und Autoren des Appells ver­wei­sen auf ihre lang­jäh­ri­gen direk­ten Kriegs­er­fah­run­gen in den diver­sen Kon­flik­ten der letz­ten Jahr­zehn­te, deren Bom­ben sogar eini­ge ihrer Kol­le­gen zum Opfer gefal­len sind, und füh­len sich legi­ti­miert, die Behand­lung die­ses ersten Krie­ges in einer fort­ge­schrit­te­nen web-Ära zu kri­ti­sie­ren: »Wir wer­den von Nach­rich­ten über­schwemmt. Aber die Krieg­füh­ren­den sind a prio­ri in Gut und Böse unter­teilt, ja, in sehr Gute und beson­ders Böse. Dabei wird nur die eine herr­schen­de Mei­nung akzep­tiert, und wer anders denkt, wird sofort als Freund Putins gebrand­markt. (…) Das ist kei­ne Infor­ma­ti­on mehr, son­dern Pro­pa­gan­da. Die Fak­ten gehen unter in einem Chor aus Meinungen.«

Die Jour­na­li­sten ver­si­chern vor­ab – und ohne die­se ja eigent­lich selbst­ver­ständ­li­che e Fest­stel­lung geht nichts mehr –, dass sie Putin für voll ver­ant­wort­lich für die Ent­fes­se­lung die­ses Krie­ges durch die bru­ta­le Inva­si­on der Ukrai­ne hal­ten. Er schickt seit Febru­ar Bom­ben und Rake­ten, die Zer­stö­rung, Tod und Schmerz ver­ur­sa­chen. Und sie erklä­ren sich soli­da­risch mit der Ukrai­ne und ihren Men­schen – aber gera­de des­halb erlau­ben sie sich Fra­gen danach, wie es über­haupt zu die­sem Krieg kom­men konn­te – und wie man ihn heu­te am besten been­den könnte.

Jedoch scheint es so, als ob, wer Fra­gen stellt und Zwei­fel äußert, »als Ver­rä­ter, Feig­ling oder Deser­teur die Ukrai­ner dem Mas­sa­ker aus­lie­fert. Wer so die Pro­ble­ma­tik eines Krie­ges angeht, weiß nicht, was Krieg ist«, stellt Toni Capuoz­zo, lang­jäh­ri­ger Kriegs-Kor­re­spon­dent von TV TG 5, fest. Das Fern­se­hen lebt heu­te vom Spek­ta­kel, Kriegs­bil­der wer­den zum Info­tain­ment, die Talk­show-Poli­tik mit ihrer binä­ren Logik lässt kei­ne Dif­fe­ren­zie­run­gen mehr zu. Alle sind zu Fans der einen oder ande­ren Sei­te gewor­den, Fans des Frie­dens, einst Pazi­fi­sten genannt, sind obso­let. Aber kann man Putins Moti­va­ti­on zu die­sem Krieg wirk­lich mit sei­nem ver­mu­te­ten Ver­rückt­sein oder irren impe­ria­len Bestre­bun­gen erklä­ren? Haben die Men­schen nicht Anspruch auf eine umfas­sen­de­re Ana­ly­se? Eine, die dem Recht auf mehr­stim­mi­ge Infor­ma­ti­on in einer libe­ral­de­mo­kra­ti­schen Gesell­schaft ent­sprä­che – und die einen Aus­weg aus die­ser Kata­stro­phe zei­gen könnte?

Die diver­sen hin­ter die­sem furcht­ba­ren Krieg lie­gen­den Inter­es­sen blei­ben für die Mehr­heit der Medi­en­kon­su­men­ten im Dunkeln.

Wie anders soll­ten die Men­schen sich sonst auf eine wei­te­re hoch­ge­fähr­li­che Auf­rü­stungs­spi­ra­le ein­las­sen, auf hor­ren­de Aus­ga­ben der Staa­ten und eben­sol­che Pro­fi­te der Rüstungs­in­du­strie, Gel­der, die welt­weit drin­gend benö­tigt wer­den, um die Lebens­be­din­gun­gen der Mensch­heit zu bewah­ren und nicht einen drit­ten Welt­krieg in Aus­sicht zu stellen?