Dieser programmatische Begriff ist nicht erst seit Außenministerin Annalena B. im Umlauf. Er ist sogar im Koalitionsvertrag der Ampel festgeschrieben. Er markiert auch ein ideologisches Forschungsfeld inklusive staatlichem Unterhalt vorgeblich geschlechtsspezifischer (Neusprech: »gegenderter«) Politikwissenschaft.
Der bürgerliche Wissenschaftsbetrieb findet generell unter den politisch und ökonomisch herrschenden (kapitalistischen) Verhältnissen statt, die die Ressourcenverteilung, die Karrierebedingungen, Sozialisierungsverläufe und Vernetzungen aller Beteiligten bestimmen –davon unabhängig, ob Weiblein oder Männlein. Anders gesagt: Akteurinnen im Wissenschafts- und Politikbetrieb müssen sich – wegen der fortdauernden patriarchalischen Benachteiligung umso mehr – den Zwängen der herrschenden Verhältnisse anpassen und unterordnen. Wer abweicht, bekommt Probleme. Schon deshalb ist eine »feministische« Wissenschaft oder Politik, gar Außenpolitik, von vornherein eine höchst fragwürdige Fiktion, denn sie würde voraussetzen, dass »genderspezifische« Eigenheiten über den kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen rangieren.
Unter https://blog.prif.org/2021/09/14/eine-feministische-aussenpolitik-fuer-deutschland/ kann man die folgende Definition finden: »Für eine feministische Außenpolitik ist Geschlechtergerechtigkeit die Voraussetzung und gleichzeitig Mittel für Frieden und Sicherheit. Neben gerechter Repräsentation von Frauen in außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen, gehört dazu auch die Prävention von Krieg und Gewalt durch entmilitarisierte Konfliktlösung. Feministische Außenpolitik bezieht sich aber auch auf die Anerkennung kolonialer Machtstrukturen, um Geschlechtergerechtigkeit für alle zu erreichen.«
Das liest sich auf den ersten Blick wunderschön wie so viele idealisierende Visionen. Besonders Außenministerin Annalena Baerbock gefällt sich in der Pose einer Vorkämpferin der feministischen und dazu noch »wertebasierten« Außenpolitik (siehe: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/feministische-aussenpolitik/2551358).
In einem Papier der Heinrich-Böll-Stiftung (https://www.boell.de/de/2018/10/17/eine-feministische-kritik-der-atombombe) heißt es: »Das Konzept der nuklearen Abschreckung ist ein Produkt des Patriarchats.«
Männern und Frauen werden also »feministisch« ganz unterschiedliche Neigungen zugewiesen: Gewalt und Waffen den Männern, Frieden den Frauen. In Wirklichkeit herrscht dagegen in der (außen- und militär-) politischen Realität eine faktische »Gleichstellung«, wie das z.B. die nachfolgend aufgeführten US-Außenpolitikerinnen und ebenso die deutschen Verteidigungsministerinnen (v. d. Leyen, Kramp-Karrenbauer und Lambrecht) beweisen. Zeichnen die sich etwa durch eine feministische Militär- und Rüstungspolitik aus? Auch Baerbock selbst hat die (männliche?) Wehrhaftigkeit angemahnt und Kriegsmüdigkeit beklagt.
Zugleich hat Baerbock das Ziel postuliert: »die transatlantische Partnerschaft für das 21. Jahrhundert aufzubauen – eine gemeinsame Führungspartnerschaft Europas und der USA« (Rede vom 2. August 2022 in New York). Schon ihre enge Verbundenheit mit ihren männlichen Hardliner-Kollegen der Nato, besonders mit dem US-Minister Blinken, verweist auf den eigentlichen, wesentlichen Inhalt, auf das Geheimnis ihrer »feministischen« Außenpolitik. Auch ihre weiblich-transatlantischen Kolleginnen bzw. Vorläuferinnen, ihre »feministischen« Vorbilder gewissermaßen, lassen unzweideutig erkennen, worum es eigentlich geht. Denn wenn man die politische Strategie und die Praxis von bekannten Außenpolitikerinnen der »transatlantischen Partnerschaft« nüchtern betrachtet, schlägt man jenseits der wohltönenden Phrasen schnell auf dem harten Boden der Realitäten auf:
- Nehmen wir Madelaine Albright, US-Außenministerin 1997-2001, die 1996 zum Vorwurf, die Irak-Sanktionen hätten zum Tod von einer halben Million Kindern geführt, meinte: »Wir denken, der Preis ist es wert.«. Und in Joschka Fischers transatlantischem Think-Tank (https://jfandc.de/das-macht-uns-aus) heißt es: »Mit der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright verbindet Joschka Fischer eine enge Freundschaft. Ihr Beratungsunternehmen, die ›Albright Stonebridge Group‹ in Washington D.C., mit Büros unter anderem in China, Indien und Brasilien, pflegt mit uns eine exklusive Partnerschaft.« In Fischers Nachfolge agiert entsprechend auch Baerbock – wie ansonsten auch mehr oder weniger das gesamte grün-bellizistische Spitzenpersonal.
- Oder Condoleezza Rice, 2005-2009 US-Außenministerin unter G.W. Bush jr. Sie vertrat die Doktrin der »Achse des Bösen«, indem sie sechs Staaten zu »Vorposten der Tyrannei« erklärte. Sie erlaubte die US-Regierungsfolter. (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Condoleezza_Rice)
- Oder Hillary Clinton, 2009-2013 Außenministerin unter Obama, bekannt auch durch ihre Kriegsaktivitäten z. B. bezüglich Syrien und Libyen.
- Oder Victoria Nuland, »die neokonservative Agentin par excellence« (https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/die-ukraine-ist-die-neueste-katastrophe-amerikanischer-neocons-li.242093). Sie war maßgebliche Akteurin beim Maidan-Putsch und wurde bekannt durch ihr »fuck the EU«, womit sie sich im Februar 2014 in die Bemühungen u.a. von Außenminister Steinmeier für einen friedlichen Kompromiss mit der Regierung Janukowitsch einmischte. Sie ist wieder im »Team Biden«, als Staatssekretärin im US-Außenministerium aktiv.
Die »feministische«, sprich transatlantische Außenpolitik Baerbocks und ihrer ideologischen Entourage richtet sich ganz im Sinne dieser Vorbilder nahezu ausschließlich gegen Staaten, die sich der westlichen, d.h. der US-Hegemonie nicht unterordnen, also nach deren und ihrer Lesart gegen »Schurkenstaaten«, gegen die »Achse des Bösen« etc., wozu wahlweise Russland, Belarus, Iran, Venezuela, China, Nordkorea u. a. gezählt werden.
In der Tat sind die inneren Zustände in den meisten dieser Länder fürchterlich: Es sind Diktaturen, oft »Kleptokratien«, die Gefängnisse sind voll mit politischen Gefangenen, Pressefreiheit, Frauenrechte werden missachtet, es herrschen Korruption, politische Unterdrückung, Polizeistaat, Folter bis zur Todesstrafe, z.T. totale Überwachung – da gibt es nichts zu beschönigen. Das ist auch die Grundlage für Aufstände, Wende-, Maidan-, Rosen- und Nelkenrevolutionen, die wiederum massiv von westlichen Regierungen, Geheimdiensten usw. geschürt und beeinflusst werden.
Offenkundig ist allerdings die totale Doppelmoral der transatlantisch-»feministischen« Außenpolitik. Denn Sanktionen und politische Ächtung richten sich (außer »mahnenden Worten«) überhaupt nicht gegen Schurkenstaaten im westlichen Einflussbereich bzw. in westlicher Abhängigkeit, besonders unter US-Protektion. Exemplarisch seien hier nur Ägypten, Saudi-Arabien, die Türkei oder der israelische Siedlerkolonialismus genannt – abgesehen von den Zuständen im Hauptland des »Wertewestens«, den USA, und den notorischen US-Interventionen zugunsten rechter Diktaturen in ihrem lateinamerikanischen »Hinterhof«.
Die »feministische Außenpolitik« nach dem Muster Baerbock ist also nichts als eine scheinheilige Untervariante des »Menschenrechts-Imperialismus«, womit der Westen unter Führung der USA seine hegemonialen Ambitionen propagandistisch verschleiert und vorantreibt. Der mit der Emanzipation der Frauen positiv besetzte Begriff »feministisch« wird also für ganz andere Zwecke besetzt, umfunktioniert und instrumentalisiert.
Worum es tatsächlich geht: Je »kleiner« der Globus wird, umso heftiger werden die Rivalitäten um Länder, Meere, Rohstoffquellen, Waren-, Kapital- und Waffenexporte etc. – mit Krieg als Ultima Ratio. Immer mehr Staaten entwickeln sich von Schwellenländern zu Akteuren in einer multi-imperialistischen Gemengelage, die dominiert wird von den »absteigenden« USA, dem »prekären« Russland und dem »aufsteigenden« China. Einer Lage voll multipler, unter kapitalistischen Bedingungen heilloser Krisen, dystopischer Aussichten und bedrohlicher Unsicherheiten. Die ideologische Fiktion einer »feministischen« Politik nach Baerbock und der Ampelkoalition soll der »gemeinsamen Führungspartnerschaft Europas und der USA« dienen, wobei inzwischen durch den Ukrainekrieg und die Rückwirkungen der Sanktionspolitik kein Zweifel besteht, dass Europa der von den USA geführte und abhängige »Partner« in der Verlierer-Rolle ist.