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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Fatale Bündnisse im Spanienkrieg

Ein Schiff unter bri­ti­scher Flag­ge schau­kel­te ruhig im Gewäs­ser der Bis­ka­ya-Bucht. Ein lan­ger Güter­zug ver­harr­te unbe­weg­lich an der Grenz­sta­ti­on unter­halb der Apen­ni­nen. Doch täusch­ten die Bil­der; sie ver­deck­ten Gescheh­nis­se, die das Welt­schick­sal mit­ent­schie­den! Vor genau 85 Jah­ren begann ein Krieg in Spa­ni­en, des­sen Umstrit­ten­heit noch heu­te Köp­fe erhitzt und rele­van­te Fra­gen aufwirft.

Nach fünf tur­bu­len­ten Jah­ren form­te sich 1936 ein Wahl­bünd­nis von Königs­geg­nern, Libe­ra­len, Sozia­li­sten und, noch klein an der Zahl, Kom­mu­ni­sten. Dies­mal boy­kot­tier­ten die vie­len Anar­chi­sten die Wah­len nicht, auch sie stimm­ten für die »Volks­front«, um Tau­sen­de von ihren Mit­glie­dern zu befrei­en, die noch immer nach einem ver­lo­re­nen Streik­kampf – zwei Jah­re zuvor – neben Sozia­li­sten und Kom­mu­ni­sten im Gefäng­nis saßen. Dadurch sieg­te knapp eine neue mode­ra­te Regie­rung, die Refor­men wie­der­zu­be­le­ben begann, die vor­her gestoppt wor­den waren: für Arbei­ter­rech­te, in der Volks­bil­dung, für das Frau­en­wahl­recht, vor allem in der Land­wirt­schaft, wo noch arme, analpha­be­ti­sche Bau­ern schuf­te­ten, von Groß­agra­ri­ern, dem Kle­rus und Uni­for­mier­ten unterdrückt.

Gegen die­se neue Regie­rung putsch­ten am 18. Juli die Gene­rä­le, zusam­men mit dem Kle­rus und den Rei­chen, im Glau­ben auf den raschen Sieg. Sie täusch­ten sich. Arbei­ter in den Groß­städ­ten stürm­ten die Kaser­nen, ergrif­fen die Waf­fen und über­mann­ten die Sol­da­ten, die mit­ge­putscht hat­ten. Einer bun­ten Mischung aus selbst­stän­di­gen Mili­zen, Anar­chi­sten, Kom­mu­ni­sten, Sozia­li­sten und Gewerk­schaf­tern gelang es, wich­ti­ge Städ­te wie Bar­ce­lo­na, Valen­cia, Bil­bao, vor allem die Haupt­stadt Madrid, sowie über die Hälf­te von Spa­ni­en unter ihre Kon­trol­le zu brin­gen. Im Sep­tem­ber ent­stand eine neue, brei­te­re Regie­rung, gelei­tet von dem Sozia­li­sten und Gewerk­schafts­füh­rer Lar­go Cabal­le­ro, und erst­ma­lig mit zwei Mini­stern der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei sowie, wenig spä­ter, zwei von den Anarchisten.

Doch nur Tage nach dem Putsch­ver­such trans­por­tier­ten Flug­zeu­ge aus dem faschi­sti­schen Ita­li­en und aus Deutsch­land eine Kolo­ni­al­ar­mee vom spa­ni­schen Marok­ko über Gibral­tar nach Spa­ni­en. Sie erober­ten Sevil­la und Cádiz und began­nen eine Offen­si­ve auf Madrid unter dem Kom­man­do von Fran­cis­co Fran­co, der 1934 den Berg­mann­streik bru­tal gebro­chen hat­te. Mil­lio­nen in der Welt bang­ten nun um Spanien.

Was wür­de der Völ­ker­bund tun, was Eng­land, das ihn domi­nier­te? Die Kon­ser­va­ti­ven in Genf und in Lon­don hat­ten nur lei­se geta­delt, als die japa­ni­sche Armee die chi­ne­si­sche Man­dschu­rei erober­te, eben­so bei der ita­lie­ni­schen Erobe­rung von Äthio­pi­en und dem Ein­marsch der Wehr­macht, trotz des Ver­sailler Ver­tra­ges, in das ent­mi­li­ta­ri­sier­te Rhein­land. Doch mit Hit­ler in Spa­ni­en war man deut­lich mehr gefor­dert und offe­ne Unter­stüt­zung poli­tisch unmög­lich. Also insze­nier­te man einen Trick, in Lon­don, weit weg vom lah­men Völ­ker­bund in Genf: ein »Nicht­ein­mi­schungs­ko­mi­tee« für alle Län­der Euro­pas. Es wur­de ver­ein­bart, dass kein Land Waf­fen nach Spa­ni­en ver­kau­fen durf­te, weder an die demo­kra­tisch gewähl­te Repu­blik noch an Fran­co. Hit­ler und Mus­so­li­ni sag­ten »ja«, lach­ten und schick­ten wei­ter Waf­fen durch das »neu­tra­le« faschi­sti­sche Por­tu­gal per Luft und per Schiff.

Nur ein Land schau­te da nicht län­ger zu. Die UdSSR blieb zwar – immer kri­tisch – im Komi­tee, doch als der Betrug deut­lich wur­de, hielt sie sich nicht mehr an die »Nicht­ein­mi­schung«. Arm wie sie war, fünf­zehn Jah­ren nach dem eige­nen ver­hee­ren­den Bür­ger­krieg, schick­te sie, was sie konn­te: zunächst Klei­dung und Lebens­mit­tel, Spen­den ihrer gar nicht wohl­ha­ben­den Bevöl­ke­rung, dann aber, ab Okto­ber, drin­gend benö­tig­te Waf­fen. Fran­cos Trup­pen hat­ten schon Madrids Stadt­gren­zen über­schrit­ten, als die Pan­zer und Flug­zeu­ge anka­men, samt Fah­rern, Pilo­ten und Mecha­ni­kern, die beim Mon­tie­ren instru­ier­ten – und dann mit­kämpf­ten. Sie wur­den einer von drei Fak­to­ren, die zu einer Losung führ­te, die um die Welt ging: »Ret­tet Madrid« – und auch zu mir vor­drang, einem 8-jäh­ri­gen Jun­gen im weit ent­fern­ten New York.

Der zwei­te Fak­tor war noch dra­ma­ti­scher. Im Sep­tem­ber 1936 rief die Kom­mu­ni­sti­sche Inter­na­tio­na­le (»Kom­in­tern«) Frei­wil­li­ge in aller Welt dazu auf, Spa­ni­en im Kampf zu unter­stüt­zen. Bald zogen Män­ner – und eini­ge Frau­en – aus etwa fünf­zig Län­dern dort­hin, wobei sie vie­le Bar­rie­ren über­win­den muss­ten: geo­gra­fi­sche, finan­zi­el­le, Visa-Hin­der­nis­se, bewaff­ne­te Grenzer.

Die ersten, kaum trai­nier­ten Frei­wil­li­gen, in der ersten der fünf spä­ter berühm­ten »Inter­na­tio­na­len Bri­ga­den«, kamen in Madrid gera­de noch zu der Zeit an, als sie am drin­gend­sten gebraucht wur­den. Sie kämpf­ten mit aller­größ­tem Mut, ver­lo­ren sehr vie­le Män­ner, konn­ten aber gera­de noch hel­fen, Madrid zu ret­ten. Die­se ersten waren meist Polen, Deut­sche, Ita­lie­ner, Franzosen.

Ein drit­ter Fak­tor war das ent­schlos­sen kämp­fen­de, dis­zi­pli­nier­te spa­ni­sche Fünf­te Regi­ment (»El Quin­to Regi­men­to« in einem belieb­ten Spa­ni­en­lied), das auch im Novem­ber den Faschi­sten standhielt.

Heut­zu­ta­ge sind die Rus­sen für vie­le ein Feind­bild. Die Roten! Kann man etwas loben, was mit jener Dik­ta­tur ver­bun­den war, sogar mit dem Namen Josef Sta­lin? Für man­che heu­te noch unmög­lich. Das Fünf­te Regi­ment war vor­wie­gend kom­mu­ni­stisch. Sehr vie­le der etwa 40 000 Frei­wil­li­gen aus Mel­bourne, Bue­nos Aires, Seat­tle, Schang­hai, Flo­renz, Oslo und fast allen Ecken Deutsch­lands waren es auch. Die mei­sten hoff­ten, mit ihrem Ein­satz Spa­ni­en zu ret­ten – und die Kriegs­plä­ne von Hit­ler und Mus­so­li­ni zu stop­pen. Das Resul­tat ihrer tra­gi­schen Nie­der­la­ge lern­te man bald in War­schau, Rot­ter­dam, Coven­try, Lenin­grad, Ham­burg und Dres­den kennen.

Doch konn­te man auch in den Schüt­zen­grä­ben neben Roten kämp­fen? Oder Kabi­net­te dul­den, wo man neben KP-Mini­stern saß? Befür­wor­te­ten sol­che »Sta­lin-Mario­net­ten« wirk­lich eine frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Ord­nung? War es spä­ter nicht bes­ser, jeman­dem wie Gene­ral Hein­rich Trett­ner mit sei­ner Legi­on-Kon­dor-Erfah­rung als Bun­des­wehr-Gene­ral­inspek­tor zu trau­en als irgend­ei­nem Inter­bri­ga­de-Vete­ra­nen? Etli­che beja­hen das noch heu­te. Die Pro­ble­ma­tik wird etwas deut­li­cher durch die fol­gen­den Zita­te – wie auch die Grün­de, wes­halb Lon­don und Paris nicht den Pre­miers Lar­go Cabal­le­ro und Negrin oder der Kom­mu­ni­stin La Pasio­na­ria hal­fen, son­dern bis zuletzt Franco.

Am 19. Novem­ber 1937 traf sich der füh­ren­de bri­ti­sche Diplo­mat Lord Hali­fax mit Adolf Hit­ler am Ober­salz­berg und ver­si­cher­te ihm, dass vie­le in sei­ner Regie­rung »davon durch­drun­gen sei­en, dass der Füh­rer nicht nur in Deutsch­land selbst Gro­ßes gelei­stet habe, son­dern durch die Ver­nich­tung des Kom­mu­nis­mus im eige­nen Lan­de ihm den Weg nach West­eu­ro­pa ver­sperrt« habe; Deutsch­land kön­ne »also mit Recht als Boll­werk des Westens gegen den Bol­sche­wis­mus ange­se­hen wer­den«. Hit­ler stimm­te zu: Die ein­zi­ge Kata­stro­phe sei der Bol­sche­wis­mus. Alles ande­re lie­ße sich regeln.

Hit­ler bekam dar­auf­hin grü­nes Licht für Spa­ni­en, auch für Memel (oder Litau­isch Kla­pei­da), Öster­reich und die Tsche­cho­slo­wa­kei. Sobald klar war, dass Spa­ni­ens Repu­blik ver­lo­ren hat­te, zog er los, mit dem gehei­men Segen der Regie­rung von Neville Cham­ber­lain: anstatt Volks­front dann doch lie­ber die viel­leicht kru­de, doch pro­fit­si­chern­de faschi­sti­sche Variante.

Die Sowjet­uni­on trotz­te also dem fal­schen Komi­tee und schick­te Hil­fe (als ein­zi­ges Land, außer Mexi­ko), ins­ge­samt 242 Kampf­flie­ger, 703 Geschüt­ze, 731 Pan­zer, 1,386 LKW, 300 gepan­zer­te Autos, 500,000 Geweh­re und 45,000 Maschi­nen­ge­weh­re. Vie­les kauf­te sie anders­wo, besorg­te was sie konn­te, obwohl sie gera­de mehr­mals von Japan attackiert wur­de und sich auf Angrif­fe in Euro­pa vor­be­rei­ten musste.

Der Grund für die­se Hil­fe scheint klar. Hit­ler hat­te den Bol­sche­wis­mus zum Haupt­feind erklärt; die UdSSR hat­te kei­nen Grund, sei­ne Absich­ten anzu­zwei­feln. Ein Sieg von Hit­ler, Mus­so­li­ni und Fran­co wür­de Frank­reich umrin­gen und einen Krieg kaum mehr ver­hin­dern. Also muss­te Spa­ni­en gewin­nen – oder aus­hal­ten, so lan­ge wie nur möglich.

Das erklärt die Posi­ti­on der Sowjets – wie die der spa­ni­schen Kom­mu­ni­sten. Revo­lu­tio­nä­re Umstür­ze, sei es beim Kol­lek­ti­vie­ren der Land­wirt­schaft oder der Ent­eig­nung von Geschäf­ten und klei­nen Unter­neh­men, wür­den gera­de jene Mit­tel­schich­ten abschrecken, die drin­gend für einen Sieg über Fran­co nötig waren, und auch jene Kräf­te im Aus­land stär­ken, die mit War­nun­gen vor einer sich aus­brei­ten­den roten Revo­lu­ti­on Fran­co unter­stütz­ten. Ohne irgend­wel­che Illu­sio­nen über einen kom­mu­ni­sti­schen Wan­del mit­ten in der Todes­not unter­stütz­ten also die Sowjets wie die Kom­mu­ni­sten welt­weit ein mög­lichst brei­tes Bünd­nis – um Fran­co zu schla­gen und Hit­ler zu bremsen.

Das eigen­ar­ti­ge Resul­tat war, dass, wäh­rend der Kle­rus und die Kon­ser­va­ti­ven in aller Welt die Repu­blik als viel zu rot bekämpf­ten, sie und vor allem die Kom­mu­ni­sten von manch Libe­ra­len oder gar Lin­ken als zu kon­ser­va­tiv und anti­re­vo­lu­tio­när ver­ur­teilt wur­den. Und man die Kom­mu­ni­sten beschul­dig­te, die Ver­ant­wor­tung für das »blu­ti­ge Ende« in Spa­ni­en zu tragen.

Gewiss, es ging in Bar­ce­lo­na im Mai 1937 hart zu (nicht 1936, wie irr­tüm­lich im Ossietzky-Arti­kel Nr. 11, S. 379 geschrie­ben). Doch wäre es wohl ohne Prä­ze­denz, wenn ein Auf­stand in einem um sein Leben kämp­fen­des Land nicht gestoppt und bestraft wor­den wäre. Die UdSSR, mit­ten in ihren eige­nen blu­ti­gen Tagen, war in Spa­ni­en für man­che Unge­rech­tig­keit ver­ant­wort­lich. Doch, wie auch ein berühm­ter Anhän­ger der meu­tern­den POUM-Orga­ni­sa­ti­on, Geor­ge Orwell, schrieb (in sei­nem Buch »Mein Kata­lo­ni­en«, S. 226): »Ich soll­te hin­zu­fü­gen, dass ich heu­te bes­ser über die Regie­rung Negrin den­ke (…). Sie hat den schwie­ri­gen Kampf mit präch­ti­gem Mut durch­ge­hal­ten und mehr poli­ti­sche Tole­ranz bewie­sen als irgend­je­mand erwartete.«

Blut von Unschul­di­gen wur­de auch durch Anti-Faschi­sten ver­gos­sen, beson­ders in den ersten hit­zig­sten Mona­ten, vor allem durch Anar­chi­sten. Man­ches wohl durch Agen­ten aus Mos­kau. Doch ging es bei ihnen vor allem dar­um, anders als bei bri­ti­schen und fran­zö­si­schen Agen­ten, Fran­co zu schla­gen, nicht die Repu­blik. Gera­de die UdSSR ermög­lich­te die­ser ein Wei­ter­le­ben für zwei­ein­halb bit­te­re, blu­ti­ge Jah­re, oft mit eige­nen Opfern. Wenn man Schul­di­ge sucht, neben Legi­on Con­dor, vie­len Waf­fen von Hit­ler und Mus­so­li­ni und jenen, die sie durch­lie­ßen, könn­te man auch die­sen Satz anfüh­ren, von einem Offi­zi­el­len in der Fran­co-Regie­rung geäu­ßert: »Ohne ame­ri­ka­ni­schen Sprit und ame­ri­ka­ni­sche LKW und ame­ri­ka­ni­sche Bank­kre­di­te hät­ten wir den Bür­ger­krieg nie­mals gewin­nen kön­nen.« Müs­sen die Demo­kra­tien denn immer den fal­schen Freun­den helfen?