Ein Schiff unter britischer Flagge schaukelte ruhig im Gewässer der Biskaya-Bucht. Ein langer Güterzug verharrte unbeweglich an der Grenzstation unterhalb der Apenninen. Doch täuschten die Bilder; sie verdeckten Geschehnisse, die das Weltschicksal mitentschieden! Vor genau 85 Jahren begann ein Krieg in Spanien, dessen Umstrittenheit noch heute Köpfe erhitzt und relevante Fragen aufwirft.
Nach fünf turbulenten Jahren formte sich 1936 ein Wahlbündnis von Königsgegnern, Liberalen, Sozialisten und, noch klein an der Zahl, Kommunisten. Diesmal boykottierten die vielen Anarchisten die Wahlen nicht, auch sie stimmten für die »Volksfront«, um Tausende von ihren Mitgliedern zu befreien, die noch immer nach einem verlorenen Streikkampf – zwei Jahre zuvor – neben Sozialisten und Kommunisten im Gefängnis saßen. Dadurch siegte knapp eine neue moderate Regierung, die Reformen wiederzubeleben begann, die vorher gestoppt worden waren: für Arbeiterrechte, in der Volksbildung, für das Frauenwahlrecht, vor allem in der Landwirtschaft, wo noch arme, analphabetische Bauern schufteten, von Großagrariern, dem Klerus und Uniformierten unterdrückt.
Gegen diese neue Regierung putschten am 18. Juli die Generäle, zusammen mit dem Klerus und den Reichen, im Glauben auf den raschen Sieg. Sie täuschten sich. Arbeiter in den Großstädten stürmten die Kasernen, ergriffen die Waffen und übermannten die Soldaten, die mitgeputscht hatten. Einer bunten Mischung aus selbstständigen Milizen, Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschaftern gelang es, wichtige Städte wie Barcelona, Valencia, Bilbao, vor allem die Hauptstadt Madrid, sowie über die Hälfte von Spanien unter ihre Kontrolle zu bringen. Im September entstand eine neue, breitere Regierung, geleitet von dem Sozialisten und Gewerkschaftsführer Largo Caballero, und erstmalig mit zwei Ministern der Kommunistischen Partei sowie, wenig später, zwei von den Anarchisten.
Doch nur Tage nach dem Putschversuch transportierten Flugzeuge aus dem faschistischen Italien und aus Deutschland eine Kolonialarmee vom spanischen Marokko über Gibraltar nach Spanien. Sie eroberten Sevilla und Cádiz und begannen eine Offensive auf Madrid unter dem Kommando von Francisco Franco, der 1934 den Bergmannstreik brutal gebrochen hatte. Millionen in der Welt bangten nun um Spanien.
Was würde der Völkerbund tun, was England, das ihn dominierte? Die Konservativen in Genf und in London hatten nur leise getadelt, als die japanische Armee die chinesische Mandschurei eroberte, ebenso bei der italienischen Eroberung von Äthiopien und dem Einmarsch der Wehrmacht, trotz des Versailler Vertrages, in das entmilitarisierte Rheinland. Doch mit Hitler in Spanien war man deutlich mehr gefordert und offene Unterstützung politisch unmöglich. Also inszenierte man einen Trick, in London, weit weg vom lahmen Völkerbund in Genf: ein »Nichteinmischungskomitee« für alle Länder Europas. Es wurde vereinbart, dass kein Land Waffen nach Spanien verkaufen durfte, weder an die demokratisch gewählte Republik noch an Franco. Hitler und Mussolini sagten »ja«, lachten und schickten weiter Waffen durch das »neutrale« faschistische Portugal per Luft und per Schiff.
Nur ein Land schaute da nicht länger zu. Die UdSSR blieb zwar – immer kritisch – im Komitee, doch als der Betrug deutlich wurde, hielt sie sich nicht mehr an die »Nichteinmischung«. Arm wie sie war, fünfzehn Jahren nach dem eigenen verheerenden Bürgerkrieg, schickte sie, was sie konnte: zunächst Kleidung und Lebensmittel, Spenden ihrer gar nicht wohlhabenden Bevölkerung, dann aber, ab Oktober, dringend benötigte Waffen. Francos Truppen hatten schon Madrids Stadtgrenzen überschritten, als die Panzer und Flugzeuge ankamen, samt Fahrern, Piloten und Mechanikern, die beim Montieren instruierten – und dann mitkämpften. Sie wurden einer von drei Faktoren, die zu einer Losung führte, die um die Welt ging: »Rettet Madrid« – und auch zu mir vordrang, einem 8-jährigen Jungen im weit entfernten New York.
Der zweite Faktor war noch dramatischer. Im September 1936 rief die Kommunistische Internationale (»Komintern«) Freiwillige in aller Welt dazu auf, Spanien im Kampf zu unterstützen. Bald zogen Männer – und einige Frauen – aus etwa fünfzig Ländern dorthin, wobei sie viele Barrieren überwinden mussten: geografische, finanzielle, Visa-Hindernisse, bewaffnete Grenzer.
Die ersten, kaum trainierten Freiwilligen, in der ersten der fünf später berühmten »Internationalen Brigaden«, kamen in Madrid gerade noch zu der Zeit an, als sie am dringendsten gebraucht wurden. Sie kämpften mit allergrößtem Mut, verloren sehr viele Männer, konnten aber gerade noch helfen, Madrid zu retten. Diese ersten waren meist Polen, Deutsche, Italiener, Franzosen.
Ein dritter Faktor war das entschlossen kämpfende, disziplinierte spanische Fünfte Regiment (»El Quinto Regimento« in einem beliebten Spanienlied), das auch im November den Faschisten standhielt.
Heutzutage sind die Russen für viele ein Feindbild. Die Roten! Kann man etwas loben, was mit jener Diktatur verbunden war, sogar mit dem Namen Josef Stalin? Für manche heute noch unmöglich. Das Fünfte Regiment war vorwiegend kommunistisch. Sehr viele der etwa 40 000 Freiwilligen aus Melbourne, Buenos Aires, Seattle, Schanghai, Florenz, Oslo und fast allen Ecken Deutschlands waren es auch. Die meisten hofften, mit ihrem Einsatz Spanien zu retten – und die Kriegspläne von Hitler und Mussolini zu stoppen. Das Resultat ihrer tragischen Niederlage lernte man bald in Warschau, Rotterdam, Coventry, Leningrad, Hamburg und Dresden kennen.
Doch konnte man auch in den Schützengräben neben Roten kämpfen? Oder Kabinette dulden, wo man neben KP-Ministern saß? Befürworteten solche »Stalin-Marionetten« wirklich eine freiheitlich-demokratische Ordnung? War es später nicht besser, jemandem wie General Heinrich Trettner mit seiner Legion-Kondor-Erfahrung als Bundeswehr-Generalinspektor zu trauen als irgendeinem Interbrigade-Veteranen? Etliche bejahen das noch heute. Die Problematik wird etwas deutlicher durch die folgenden Zitate – wie auch die Gründe, weshalb London und Paris nicht den Premiers Largo Caballero und Negrin oder der Kommunistin La Pasionaria halfen, sondern bis zuletzt Franco.
Am 19. November 1937 traf sich der führende britische Diplomat Lord Halifax mit Adolf Hitler am Obersalzberg und versicherte ihm, dass viele in seiner Regierung »davon durchdrungen seien, dass der Führer nicht nur in Deutschland selbst Großes geleistet habe, sondern durch die Vernichtung des Kommunismus im eigenen Lande ihm den Weg nach Westeuropa versperrt« habe; Deutschland könne »also mit Recht als Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus angesehen werden«. Hitler stimmte zu: Die einzige Katastrophe sei der Bolschewismus. Alles andere ließe sich regeln.
Hitler bekam daraufhin grünes Licht für Spanien, auch für Memel (oder Litauisch Klapeida), Österreich und die Tschechoslowakei. Sobald klar war, dass Spaniens Republik verloren hatte, zog er los, mit dem geheimen Segen der Regierung von Neville Chamberlain: anstatt Volksfront dann doch lieber die vielleicht krude, doch profitsichernde faschistische Variante.
Die Sowjetunion trotzte also dem falschen Komitee und schickte Hilfe (als einziges Land, außer Mexiko), insgesamt 242 Kampfflieger, 703 Geschütze, 731 Panzer, 1,386 LKW, 300 gepanzerte Autos, 500,000 Gewehre und 45,000 Maschinengewehre. Vieles kaufte sie anderswo, besorgte was sie konnte, obwohl sie gerade mehrmals von Japan attackiert wurde und sich auf Angriffe in Europa vorbereiten musste.
Der Grund für diese Hilfe scheint klar. Hitler hatte den Bolschewismus zum Hauptfeind erklärt; die UdSSR hatte keinen Grund, seine Absichten anzuzweifeln. Ein Sieg von Hitler, Mussolini und Franco würde Frankreich umringen und einen Krieg kaum mehr verhindern. Also musste Spanien gewinnen – oder aushalten, so lange wie nur möglich.
Das erklärt die Position der Sowjets – wie die der spanischen Kommunisten. Revolutionäre Umstürze, sei es beim Kollektivieren der Landwirtschaft oder der Enteignung von Geschäften und kleinen Unternehmen, würden gerade jene Mittelschichten abschrecken, die dringend für einen Sieg über Franco nötig waren, und auch jene Kräfte im Ausland stärken, die mit Warnungen vor einer sich ausbreitenden roten Revolution Franco unterstützten. Ohne irgendwelche Illusionen über einen kommunistischen Wandel mitten in der Todesnot unterstützten also die Sowjets wie die Kommunisten weltweit ein möglichst breites Bündnis – um Franco zu schlagen und Hitler zu bremsen.
Das eigenartige Resultat war, dass, während der Klerus und die Konservativen in aller Welt die Republik als viel zu rot bekämpften, sie und vor allem die Kommunisten von manch Liberalen oder gar Linken als zu konservativ und antirevolutionär verurteilt wurden. Und man die Kommunisten beschuldigte, die Verantwortung für das »blutige Ende« in Spanien zu tragen.
Gewiss, es ging in Barcelona im Mai 1937 hart zu (nicht 1936, wie irrtümlich im Ossietzky-Artikel Nr. 11, S. 379 geschrieben). Doch wäre es wohl ohne Präzedenz, wenn ein Aufstand in einem um sein Leben kämpfendes Land nicht gestoppt und bestraft worden wäre. Die UdSSR, mitten in ihren eigenen blutigen Tagen, war in Spanien für manche Ungerechtigkeit verantwortlich. Doch, wie auch ein berühmter Anhänger der meuternden POUM-Organisation, George Orwell, schrieb (in seinem Buch »Mein Katalonien«, S. 226): »Ich sollte hinzufügen, dass ich heute besser über die Regierung Negrin denke (…). Sie hat den schwierigen Kampf mit prächtigem Mut durchgehalten und mehr politische Toleranz bewiesen als irgendjemand erwartete.«
Blut von Unschuldigen wurde auch durch Anti-Faschisten vergossen, besonders in den ersten hitzigsten Monaten, vor allem durch Anarchisten. Manches wohl durch Agenten aus Moskau. Doch ging es bei ihnen vor allem darum, anders als bei britischen und französischen Agenten, Franco zu schlagen, nicht die Republik. Gerade die UdSSR ermöglichte dieser ein Weiterleben für zweieinhalb bittere, blutige Jahre, oft mit eigenen Opfern. Wenn man Schuldige sucht, neben Legion Condor, vielen Waffen von Hitler und Mussolini und jenen, die sie durchließen, könnte man auch diesen Satz anführen, von einem Offiziellen in der Franco-Regierung geäußert: »Ohne amerikanischen Sprit und amerikanische LKW und amerikanische Bankkredite hätten wir den Bürgerkrieg niemals gewinnen können.« Müssen die Demokratien denn immer den falschen Freunden helfen?