Ein vergleichsweise glimpflich ausgehendes Sommergewitter ruft mich auf, an Samuel Brawand sen. zu erinnern. Der Schweizer, wohl 1868 geboren, war Bergbauer und Bergführer gewesen. Am 20. August 1902 wurde er auf dem Gipfel des Wetterhorns (rund 3.700 m) kalt erwischt, und zwar von einem Gewitter. Der wackere Mann fiel durch einen Blitz. Er war erst 34. Sein vierjähriger Sohn war erfreulicherweise noch nicht dabei. Dafür kamen, neben Brawand, dessen Berufskollege Fritz Bohren (31) und beider Schützlinge Robert (31) und Henry Fearon (29) aus Irland um, wie ich der Thuner Jungfrau Zeitung vom 19. August 2002 entnehme. Der schreckliche Vorfall trug allerdings nicht zur Erleuchtung von Brawand jun. bei, der ebenfalls Samuel getauft worden war. Junior wurde zunächst Bergführer wie Papa und heftete sich einige alpenländische »Erstbesteigungen« an den Filzhut. Dann stieg er, als Sozialdemokrat, zum National- und Regierungsrat auf. Er starb erst 2001 mit 103 in Grindelwald.
Angesichts vieler Alpen-Akrobaten, die keine Bergbauern sind, und freilich auch angesichts der bekannten, furchterregenden Berge an Corona-Toten darf ich mir vielleicht die Bemerkung erlauben: Liebe »ExtremsportlerInnen«, Ihr seid nicht allein auf der Welt, wenn Ihr euch, als BergsteigerInnen, auch gern auf einem Gipfel so vorkommt! Jeder von euch nimmt mit den guten Aussichten auf ein frühes Ende leider auch die Lasten in Kauf, die er seinen sogenannten Lieben sowie dem Gesundheits- und Rettungswesen aller betroffenen Länder aufbürdet. 2019 fielen allein in Österreich beim Bergsteigen oder -wandern, Skifahren, Klettern, Mountainbiken, Jagen 304 Tote an, falls dem dortigen Kuratorium für Alpine Sicherheit zu trauen ist. Ein paar willentliche SelbstmörderInnen sind eingeschlossen. Dazu fielen knapp 8.000 Verletzte an. Die dürften beispielsweise schon wieder für 200 Rollstühle gut sein. Jeder Bergunfall setzt eine kostspielige Rettungsmaschinerie in Gang. Wollte man diese Kosten schätzen, käme man bereits, weltweit betrachtet, auf etliche Milliarden Dollar jährlich. Nähme man das Rettungswesen aller übrigen fragwürdigen Unfallsorten hinzu, wäre man vielleicht schon bei den 275 Billionen, die Ernst Wolff vor knapp zwei Jahren für den Weltschuldenstand angegeben hat.
Leo Maduschka (1908 – 1932) hätte mir wahrscheinlich nur zugeknurrt, dies alles ginge ihm flott am Arsch vorbei. Er hatte 1932 mit seiner Zeitschriftenserie Bergsteigen als romantische Lebensform aufhorchen lassen. Just im selben Jahr, Anfang September, rückte der 24jährige bayerische Bergsteiger, Nietzsche-Anhänger, Einsamkeits-Apostel und Schriftsteller der Civetta Nordwestwand der Dolomiten, Italien, auf den Leib – wo er aufgrund eines Wettersturzes, in einen Felsspalt verkeilt, über Nacht erfror.