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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Europasprache

Anfang der 1990er, als sich Län­der­gren­zen lang­sam öff­ne­ten, Ost­eu­ro­pa zu Ost­mit­tel­eu­ro­pa und Eng­lisch zur Lin­gua fran­ca wur­de, schrieb ich den »Mono­log eines Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ten«. Damals konn­te man Euro­pa noch humo­ri­stisch verstehen:

»Mei­ne ver­ein­ten Staats­görl­fränn­ds, lie­be euro­päi­sche Uni­ons-Ami­gos; eim so häb­bi zu spre­chen dür­fen for Juhu!

Seh­la­wi­e­eu­ro­pa!

Sie alle ken­nen mein Nohau. Ich rede kurz, aber der Inhalts­reich­tum wächst brut­to­so­zi­al­tief von Jahr zu Jahr. Sal­do a con­to, Kon­to auf Kan­te, denn smoll tolk bleibt die Wur­zel einer Quint­essenz allen Europäerdumms.

Nichts wird doch so halb­gar geges­sen, wie gekocht. Al den­te heißt unser Trumpf, von Spa­ghet­ti bis Spa­gat von Schott­land bis Schutt­land. Al den­te heißt Le der­nier cri. Die Juneit­id King­dumms und Repap­pelicks mit­samt Ost­mut­tel­eu­ro­pa­pa wer­den ein­ge­bin­det, ein­ge­strickt, umver­schlun­gen von Mil­lio­nen. Hin­ein in den mah­len­den Main­striem der Demokrautie!

Freun­deich­sa­gen­ureins: Baguette oder Pocket, Enquete oder Melit­ta Top­hits: man muß sich in alles hin­ein­ver­bei­ßern wie in Crois­sants und Cre­vet­ten und Crackers. Ob wir Euro­pa mit Schirm, Scharm und Melo­nen erobern, mit spa­ni­schen Oran­gen, mone­tä­ren Chan­cen und Schi­mä­ren oder mit Piz­za, Pusz­ta und Penun­zen, es muss alles ver­schmel­zern wie der gute hol­län­di­sche Käse aus Tschiesborro!

Was­wil­lich­euch­da­mit­sa­gen­freun­de?

Unse­re Wirt­schaft wird’s schaf­fen, erst wird’s schlaff und dann wird’s schlaf­fer: Alles wird zur gro­ßen Eco­no­mic class ver­backen, ver­bän­kert, ver­va­ban­quet. Bizzl­frisch ist ofen­frisch ist pro­fi­frisch, wenn ich das mal in der Lan­des­dings­da, Läng­witsch, Idjomm, also der Sprech­spra­che aus­drucken las­sen darf. Gotisch print, wie die com­put­te Gener­ähschn der Dis­ket­ten­spren­ger das in pra­xis­na­her Ver­kür­ze­rung nennt.

Freun­de, Input­chen und Out-Drop­se – unse­re Sacher­tor­te läuft doch immer mehr ins Over­all. Wenn Maas­tricht – dann auch Mostrich. Es mag ein paar Pien­atts geben, die mit ihren Brot­köp­fen, nein Brett­nischln, also Holz­heads uns­re Macher und Brin­ger und Maîtres de plai­sir als abso­lut­e­ly sil­ly­blö­de bezeich­nen. Doch das sind Pfei­fen­hei­nis und Pea­ce­ma­kers, also rei­ne Pissnelken.

Ich darf in allen gleich­be­rüch­tig­ten Spra­chen mei­nen Kom­miss dazu geben: Idio­ten, Idio­tas, Idiotussimösis.

Mögen die Einig­keits­Un­rechts­Un­frei­heits­geg­ner ihre Zäh­ne wie Kasta­gnet­ten klap­pern las­sen – wir klip­per­kla­ren zurück!

Wir sagen: Vive la France! Es lebe Franz, der Kai­ser von Kaiser’s. Die Pirosch­ka aus War­scha­wa spielt in der Liga für Riga. Schwe­di­sche Gar­di­ni­en für alle deut­schen Lini­en. Es lebe der blan­ke, der blank­o­be­scheu­er­te Euro, eine ech­te Dehn-Mark. Kom­me auch du zum Dop­pel­pack des Bun­des bank­from­mer Best­staa­ten. Wir sind die Grea­test von Crash­land bis Crack­land. Denn Mars macht mobil, bei Arbeit, Golf und Spiel. Hes­si­schä Äbblwoi und bri­ti­scher App­le­way of life gehö­ren zusam­men. Da sam­ma wie­da. Wir wer­den das Ex- und Hop­p­quar­ter der zukünf­ti­gen Fjutscher.

Was­wil­lich­euch­da­mit­sa­gen­freun­de?

Euro ist Oppa! Aber Euro ist auch die Oma vom Grand­hand. Damit ich alles in den Skat drücken kann, wäh­len Sie mich, dann haben Sie die Cho­se vom Hals und mich weit weg vom Schuss. Mein Rüs­sel für Brüs­sel. Mer­ci, noch einen Sher­ry. Dan­ke. Dshe­ku­je. Sänks­gi­ving. Ser­vus ihr Sistern und Gra­ci­as ihr Graz­jen. Ich muss world­wei­ter zu the next Text. Im näch­sten Zit­ter­städ­ty war­ten auch Euromämmies.

Euro­pa – Hel­au! Hel­las! Halleluja!«

So lustig war das damals, und dem frü­he­ren Spaß darf heu­te der Ernst fol­gen. Die May ist gekom­men und die Juneit­id King­dumms sind gegan­gen. Es gibt den Spruch »Urbi et Orban«, und man könn­te Macron für Makro­nen geben und McDo­nald den Trump in die Hän­de spielen.

Als ich den Text kürz­lich tsche­chi­schen Deutsch-Stu­den­tin­nen – schön lang­sam – vor­las, wur­de ich gefragt, ob ich die­sen Euro­pa-Sprach­vor­schlag nicht in Brüs­sel ein­rei­chen wol­le, damit das drö­ge ein­heit­li­che Euro-Eng­lisch etwas auf­ge­mischt würde.

Gehen wir mal ernst­haft in die Geschich­te, in die Zeit nach dem ersten Welt­krieg. Damals war in wei­ten Tei­len des Bal­kans Deutsch die Lin­gua fran­ca, was an den k. u. k. »Herr­schafts­zei­ten!« lag. Deren Wort­ge­schich­te ver­rät: »Aus­ruf des Ärgers; das Wort muss betont wer­den, damit es sei­ne Wir­kung ent­fal­tet vgl. ›nicht schon wie­der‹« (https://www.mundmische.de). In fer­nen Ost­see­lan­den gab es neben Mut­ter­spra­chen zwei Ver­kehrs­spra­chen, denn ent­ge­gen land­läu­fi­ger Vor­stel­lun­gen sind Litau­isch, Let­tisch und Est­nisch nicht mit­ein­an­der ver­wandt. Mit Rus­sisch kam man dort gen Osten, mit Deutsch nach Westen: Drei­spra­chig­keit war folg­lich nicht unnor­mal. Fran­zö­sisch war ohne­hin die Spra­che der Gran­de Nati­on. In jener Zeit soll Geor­ge Ber­nard Shaw auch den hüb­schen Satz geprägt haben: »The United Sta­tes and Gre­at Bri­tain are two count­ries divi­ded by a com­mon lan­guage.« (Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Groß­bri­tan­ni­en sind zwei durch eine gemein­sa­me Spra­che getrenn­te Län­der.) Nach dem Zwei­ten Welt­krieg gab _​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​

Über Spra­chen und Spra­che in der EU

Für die Euro­päi­sche Uni­on (EU) arbei­ten über 800 Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­zer in Brüs­sel und Straß­burg in 24 Amts­spra­chen von Bul­ga­risch bis Unga­risch. Dane­ben gibt es Amts­spra­chen ohne einen offi­zi­el­len EU-Sta­tus: für Luxem­burg Luxem­bur­gisch und Tür­kisch für Zypern. Halb­amt­li­che EU-Spra­chen sind Bas­kisch, Gali­cisch und Kata­la­nisch, Schot­tisch-Gälisch und Wali­sisch. Sie sind weder Arbeits- noch Ver­trags­spra­chen der EU, dür­fen aber zur Kor­re­spon­denz mit den EU-Insti­tu­tio­nen genutzt wer­den. Die Spra­chen­fra­ge regelt die sie­ben Arti­kel umfas­sen­de Ver­ord­nung Nr. 1 für die Euro­päi­sche Wirt­schafts­ge­mein­schaft aus dem Jahr 1958. Zunächst waren nur Deutsch, Fran­zö­sisch, Ita­lie­nisch und Nie­der­län­disch Amts- und Arbeits­spra­chen der Orga­ne der Gemein­schaft. Im Rah­men der Bei­tritts­ver­trä­ge kamen wei­te­re Amts­spra­chen hinzu.

Die Ein­füh­rung von Eng­lisch als Ver­wal­tungs- und anschlie­ßend als Amts­spra­che in allen EU-Län­dern wur­de lan­ge dis­ku­tiert. Laut einer 2013 geführ­ten Umfra­ge des bri­ti­schen Markt- und Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tuts You­Gov hät­ten zu die­sem Zeit­punkt 59 Pro­zent der Deut­schen begrüßt, wenn die eng­li­sche Spra­che in der gesam­ten EU den Sta­tus einer Amts­spra­che hät­te. In ande­ren Län­dern der EU lag die Zustim­mung zum Teil über 60 Pro­zent. Mit dem Brexit ver­la­ger­te sich die Dis­kus­si­on vom Eng­li­schen hin zu ande­ren Sprachen.

Es gibt auch Spra­chen, die durch das Raster der EU-Spra­chen gefal­len sind, zum Bei­spiel Frie­sisch, das von den Nie­der­lan­den bis an die deutsch-däni­sche Gren­ze gespro­chen wird. In Nord­fries­land ist Frie­sisch heu­te eine Amtssprache.

Wel­che Wir­kung von der Nut­zung einer Spra­che aus­geht, zeigt sich in Spa­ni­en: Der spa­ni­sche König Feli­pe VI. hält sei­ne Weih­nachts­an­spra­che, die vom spa­ni­schen Fern­se­hen über­tra­gen wird, nur in Castel­lano. Kein Wort in Bas­kisch, Gali­cisch oder Kata­la­nisch – ein Affront. Dabei sind die drei Spra­chen auch Amts­spra­chen in dem Land zwi­schen Mit­tel­meer und Atlan­tik. Karl-H. Wal­loch

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es mit­ten durch Euro­pa und Deutsch­land eine Sprach­gren­ze: Im Westen Eng­lisch, im Osten Rus­sisch, was beson­ders die stol­zen Fran­zo­sen fuch­ste: In wei­ten Tei­len Afri­kas sprach man ele­gan­tes Fran­zö­sisch, in den näch­sten Nach­bar­län­dern wur­de aber das Eng­li­sche immer mehr zur ersten Fremd­spra­che. Der nor­ma­le Pole, Tsche­che und natür­lich DDR-Bür­ger moch­te zwar kein Rus­sisch aus den Grün­den der »Herr­schafts­zei­ten!«, doch gele­gent­lich ver­stän­dig­ten sie sich doch unter­ein­an­der in der Spra­che des größ­ten Lan­des auf euro­päi­schem Boden.

Heu­te also bege­ben sich alle euro­päi­schen Natio­nen, zumin­dest deren poli­ti­sche Klas­se, frei­wil­lig unters eng­li­sche Sprach-Joch. Ich ver­mu­te auch, dass die Ukrai­ne erst dann eine bra­ve, euro­päi­sche Nati­on im Sin­ne ihrer der­zei­ti­gen Füh­rer sein wird, wenn nie­mand mehr die­ses selt­sa­me Rus­sisch spricht, son­dern alle im nor­ma­len wie im Busi­ness-Leben sich nur noch am Eng­li­schen versuchen.

In Deutsch­land gibt es immer­hin einen Licht­blick, was Spra­chen­viel­falt statt Ver­ein­heit­li­chung betrifft: Es hat sich in man­chen Tei­len von Ber­lin, Ham­burg, Frank­furt am Main und sogar Mün­chen eine Kanak-Sprak durch­ge­setzt. Und wenn wir ganz tief in die Geschich­te blicken und zu den Ursprün­gen der Lin­gua fran­ca hin­ab­stei­gen, so könn­te ein leich­ter Anflug von Opti­mis­mus uns errei­chen. »Lin­gua fran­ca«, erfah­ren wir, war näm­lich die Bezeich­nung für eine roma­ni­sche, vor­wie­gend ita­lie­ni­sche Ver­kehrs­spra­che für Han­del und Wan­del, die mit ara­bi­schen (!) Ele­men­ten ver­mischt war.