Wählbar ins 9. Europäische Parlament am 26. Mai ist für Linke nur, wer diese EU ablehnt. Solches Paradoxon erklärt sich aus dem sogenannten EU-Reformvertrag von Lissabon 2009, der die Aufrüstung und die Nachordnung der sozialen Menschenrechte unter die Interessen der sogenannten freien Marktwirtschaft vereinbarte. Die darin enthaltene militärische und strukturelle Gewalt hinderte das norwegische Komitee nicht, die EU 2012 mit dem Friedensnobelpreis zu belohnen. Das verwundert nicht, wenn wir die Gleichschaltung mit den globalen Leitmedien bedenken.
Eine weitere Klärung ist mir wichtiger: das Verhältnis einer supranationalen Zentralmacht wie der EU zur Souveränität von Nationalstaaten. Nationalstaaten (größere in der föderalen Form) bieten durch gemeinsame Sprache eine Verwaltungsform an, die von Bürgern und der Legislative kontrolliert werden kann. Der öffentliche Debattenraum ist eine Voraussetzung für Demokratie, die nur dezentral lebensfähig ist. Öffentliche Auseinandersetzungen und handlungsfähige Gewerkschaften gehen immer von regionalen Verhältnissen aus.
Globale Solidarisierungen sind nicht ausgeschlossen, wenn es um Überlebensfragen geht. »Eine europäische Öffentlichkeit ist hingegen nicht vorhanden, für sie fehlen alle Voraussetzungen« schreibt Andreas Wehr (junge Welt 8.4.15 »Kampffeld ›Nationalstaat‹«). Wegen der neoliberalen Ideologie der EU, die den Sozialstaat abbaut, haben kürzlich 40 französische Wissenschaftler und Intellektuelle den Austritt auch Frankreichs aus der EU vorgeschlagen. Auch das Grundgesetz zeigt die Unvereinbarkeit mit der sogenannten EU-Verfassung auf: Nach Artikel 20 Absatz 1 ist die BRD ein »demokratischer und sozialer Bundesstaat«. Artikel 15 enthält sogar die Ermächtigung zu Sozialisierungen. Danach »stehen Nation und Sozialismus nicht mehr im Gegensatz zueinander«. Gramsci schrieb: »Gewiss treibt die Entwicklung auf den Internationalismus zu, aber der Ausgangspunkt ist national.« (zit. nach Wehr)