Vor gut 10 Jahren, am 1. Oktober 2012 ist in London mit über 90 Jahren der britische Historiker Eric Hobsbawm friedlich gestorben.
Sein Tod löste, wie seine Witwe Marlene Hobsbawm in ihren Memoiren (»Meet Me in Buenos Aires«) bewegt schilderte, international eine Welle von Verneigungen aus – bis hin zur The Times, die ihm seinen Aufmacher widmete. Über alle politischen Lager hinweg bestand Einigkeit darüber, dass hier jemand seinen letzten Atemzug getan hatte, der sich in seinem wissenschaftlichen Leben so tiefe Einsichten in die Bewegungsgesetze menschlicher Gesellschaften erarbeitet hatte wie kein anderer Zeitgenosse. Das geschah, obwohl alle wussten, dass er eben nicht nur Zeitzeuge, sondern Zeitgenosse war. Durch alle Wirren hindurch und trotz seiner Kritik an den politischen Entscheidungen der Bewegung, der er sich seit seinen Berliner Jugendjahren zugehörig fühlte, blieb er bis zum letzten Atemzug eben Genosse – Mitglied der Kommunistischen Partei in Großbritannien.
Vor allem seine dreibändige Geschichte des »langen 19. Jahrhunderts« und seine in nahezu alle Sprachen übersetzte Geschichte des darauffolgenden kurzen »Jahrhunderts der Extreme« haben ihn weltberühmt gemacht.
Sein zehnter Todestag ist, abgesehen von eher kurzen Notizen in eher am linken Rand angesiedelten Medien, kaum noch vermerkt worden. Das hat angesichts der jüngeren Entwicklungen eine gewisse Tragik. Denn seine Einsichten könnten helfen, uns in diesem Sturm, der über uns hereinzubrechen droht, zurechtzufinden. In einem seiner letzten großen Interviews warnte Hobsbawm, der fließend Deutsch sprach, 2009 im Stern vor dem, was sich damals schon zusammenbraute und jetzt zu entladen beginnt: »Meine geschichtliche Erfahrung sagt mir, dass wir uns – ich kann das nicht ausschließen – auf eine Tragödie zu bewegen. Es wird Blut fließen, mehr als das, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde – zwischen den USA und China.«
In der Stadt, die selbst mit dem Slogan wirbt, sie sei »Stadt, die Wissen schafft«, in Göttingen also, haben sich ein paar Menschen ganz unterschiedlichen Alters zusammengetan, um den Schatz der Erkenntnisse, den uns Eric Hobsbawm hinterlassen hat, zu heben, seine Studien über die geschichtlichen Entwicklungen fruchtbar zu machen für unsere Zeit. Das wäre deshalb in seinem Sinne, weil er sich nie nur als berichtender, sondern immer als eingreifender Historiker verstanden und in seiner Autobiografie in die Worte gekleidet hat: »Soziale Ungerechtigkeit muss immer noch angeprangert und bekämpft werden. Von selbst wird die Welt nicht besser.«
Die Bemühungen, Hobsbawm um unserer selbst willen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, beginnen am Dienstag, den 1. November um 18:30 mit einem Vortrag des hannoverschen Historikers Florian Grams und einer anschließenden Diskussion bei Wein und Gebäck im »Holbornschen Haus« in der Roten Straße 34 in Göttingen. Die Veranstaltung wird gemeinsam von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen und der Marx-Engels-Stiftung organisiert. Die Uni Göttingen bietet danach über das gesamte Wintersemester ein Studienseminar an, dessen Ergebnisse die Studierenden im Februar 2023 der Öffentlichkeit präsentieren wollen.