Während des Flugs zur Trauerfeier Bertolt Brechts notiert Ernst Schumacher vor 65 Jahren diesen Vers in seinen Taschenkalender. Mit »er« ist Brecht gemeint, der am 14. August gestorben war, und mit »die Feinde oben?« das für den 17. August 1956 angekündigte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbotsantrag der Adenauer-Regierung gegen die Kommunistische Partei Deutschlands. Zwei Ereignisse, die nicht nur im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang standen, sondern auch Ausdruck des Antagonismus jener Zeit waren – und heute noch sind. Brecht, dem seine Eltern einen Kragen umbanden, ihn in den Gewohnheiten des Bedientwerdens erzogen und in der Kunst des Befehlens unterrichteten, gefielen die Leute seiner Klasse nicht mehr, als er erwachsen war. Er verließ sein Umfeld und gesellte sich zu den »geringen« Leuten. Die Ablehnung des parasitären Obrigkeitsstaates wies ihm den Weg zu einer Theorie, die dieses Gesellschaftssystem infrage stellt und es für das Glück und die Freiheit aller zu überwinden trachtet.
»Die ersten Anzeichen einer Annäherung Brechts an die marxistische Theorie und an die Praxis der revolutionären Arbeiterbewegung machten sich 1926 bemerkbar«, schrieb der sowjetische Kulturoffizier und bedeutendste russische Germanist Ilja Fradkin. Zu Brechts sachkundigen Mentoren des Marxismus gehörten neben Karl Korsch Walter Benjamin und Hermann Duncker Fritz Sternberg, der gemeinsam mit Brecht am 1. Mai 1929 in Berlin zusehen musste, wie auf Befehl des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten auf unbewaffnete demonstrierende Arbeiter geschossen wurde. Dieses Ereignis sei es gewesen, welches Brecht »immer stärker zu den Kommunisten getrieben habe«, so Sternberg. Das einigende Band zwischen der KPD und Brecht war zweifellos die marxistische Theorie, an der er bis zu seinem Tode ungebrochen festhielt. Wenn er auch in dem Gedicht vom »Lob der Dialektik« seine Antwort in die rhetorische Frage, wie der aufzuhalten sei, der seine Lage erkannt habe, kleidete, so war er dennoch davon ebenso zutiefst überzeug wie vom Sieg der Vernunft über ihre Feinde.
Sowohl die großen Bühnenwerke als auch Brechts Lyrik lassen sich nicht von der marxschen Theorie, vom Kommunismus trennen. Konservatives Publikum und reaktionärer Staat ließen es Brecht zeitlebens spüren, wie man mit »Klassenverrätern« umgeht. Aufführungen wurde gestört oder verboten und Brecht »als überzeugter Kommunist und als solcher auch schriftstellerisch für die KPD tätig«, wie es im Polizeideutsch hieß, unter Beobachtung gestellt. Es kann wohl als sicher gelten, dass auch Brecht – wie Mühsam und Ossietzky – den Tod in einem faschistischen Konzentrationslager gefunden hätte, wäre er nicht einen Tag nach dem brennenden Reichstag ins Exil geflohen.
Brecht blieb das schändliche Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands am 17. August 1956 erspart. Mit diesem Urteil knüpften Westdeutschland und das Bundesverfassungsgericht ostentativ an die unsägliche antikommunistische Repressionstradition Deutschlands und insbesondere des Nazistaates an. Während es die NS-Schergen nicht einmal für nötig hielten, die KPD formell zu verbieten, sondern es vorzogen, diese Partei nach dem Reichstagsbrand sofort zu exekutieren, sollte zumindest im kapitalistischen Nachkriegsdeutschland der Schein des Rechtsstaates gewahrt werden. Allein der Umstand, dass die junge Bundesrepublik angesichts der zwölfjährigen Schreckenszeit des Faschismus, in der Tausende Kommunisten ermordet worden waren und in der Tausende Kommunisten Widerstand gegen das verhasste Regime geleistet hatten, nichts Eiligeres zu tun hatte, als das Verbot der KPD zu betreiben, ließ die schlimmsten Befürchtungen für Intellektuelle aufkommen, für die – wie Brecht – der Marxismus künstlerisches Fundament war. Das Verbot der kommunistischen Partei, zudem einzigartig in Europa, war damit auch eine unmissverständliche Kampfansage gegen die Freiheit der Wissenschaft und Kunst. Nur zu verständlich war es, dass bei vielen ehemaligen Exilanten Erinnerungen an 1933 wach wurden. Dass sie froh waren, nach dem Krieg nicht nach Westdeutschland, sondern in die junge DDR gegangen zu sein, die in ihren hohen Ämtern keine »entnazifizierten« Nazis duldete, ist nur zu begreiflich.
Mit Brechts Tod war eine der wirkungsmächtigsten marxistischen Stimmen für Frieden und Sozialismus, gegen Krieg und Kapitalismus verstummt. Wir hätten gern den künstlerischen, den politisch klugen Aufschrei Brechts gegen das anachronistische KPD-Verbot vernommen. Er war uns leider nicht vergönnt. Diese Worte fehlen. Umso wichtiger ist es, seine Kunst, sein Wirken und Schaffen wachzuhalten und nicht zuzulassen, Brecht zu entpolitisieren, seine Gedichte und Werke vom Marxismus zu trennen.
Brecht lehnte mit aller Entschiedenheit den Kapitalismus und die mit ihm verwobene Gesellschaft ab. Für ihn war die bestehende Ordnung keine Ordnung. Er wusste um die Schwierigkeiten des Kommunismus, aber auch, dass er die geringste Forderung, das Allernächstliegende, Mittlere, Vernünftige ist. Wer sich gegen ihn stellt, so Brecht, wie das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung gegen die KPD, sind nicht Andersdenkende, sondern Nichtdenkende oder nur Ansichdenkende – also Feinde des Menschengeschlechts. Die Feinde Brechts werden sein Weiterleben niemals verhindern, denn die Besiegten von heute werden die Sieger von morgen sein.