Im vergangenen Jahr kündigte der Mandelbaum Verlag für den November das Erscheinen eines »literarischen Essays« der Autorin Teresa Präauer über Ilse Aichinger an. Motto des Verlags: »Autorinnen feiern Autorinnen«. Der Erscheinungstermin war gut gewählt: Am 1. November 2021 wäre Ilse Aichinger 100 Jahre alt geworden. Ich war sehr gespannt, was eine junge Autorin (Jg. 1979) über ihre berühmte Kollegin zu sagen hat.
Das Buch umfasst, alles in allem, 96 Seiten, die allerdings auch eine längere Vorrede Julia Danielczyks »zu Teresa Präauers Festrede anlässlich Ilse Aichingers 100. Geburtstag« (S. 7-17) enthalten. Für Präauers Text bleiben gerade einmal 74 Seiten bei einem bemerkenswert kleinen Satzspiegel (7 cm à 12 cm). Von diesen wiederum enthalten 35 Seiten Texte Ilse Aichingers (Ausschnitte aus Subtexte, Schlechte Wörter, Die größere Hoffnung).
Der Essay mischt Lokalkolorit (»Ein Gespräch im Kaffeehaus«) mit Biographischem. Präauer bedient sich dabei einer Methode, die sie Aichingers Spiegelgeschichte entnommen hat. Sie spricht über Ilse Aichingers Leben und Werk vom Ende her. Das hat einen gewissen Reiz, wirkt aber in einem Essay künstlich.
Die Gedanken zu Aichingers Werk haben häufig stark assoziativen Charakter und wirken so, als wollte die Autorin ihre Belesenheit zur Schau stellen. Hierfür ein besonders prägnantes Beispiel: Präauer weist auf »die vielen Alliterationen (…) und Stabreime hin«: »Wer löst mir das Bild, / wer holt ihre Gestalten / neu aus dem Regen hervor, / wer fängt ihnen Wolkenhauben, / wer dreht mir die Sonnenuhr?« Im nächsten Abschnitt zitiert sie den Beginn von Rilkes Duineser Elegien: »Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?«, gibt aber kurz darauf zu: »Womöglich ist der Rückgriff auf Rilke, diesen Dichter der Jahrhundertwende, in Bezug auf Aichinger gar nicht so ergiebig.« Das hindert sie nicht daran, zu behaupten: Ein »pathetisch bis gespielt hoher Ton in den Gedichten der jungen Generation nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich allemal finden«. Das mag wohl so sein, aber typisch war doch zunächst die »Kahlschlagliteratur«, deren Protagonist Ilse Aichingers Ehemann, Günter Eich, war. Und bald schon ist die Autorin bei Ingeborg Bachmann (Die gestundete Zeit) gelandet.
Ob diese Art, sie zu feiern, Ilse Aichinger gefallen hätte, wage ich sehr zu bezweifeln. Dagegen hätte nicht nur ihre Sehnsucht nach dem eigenen Verschwinden – die Präauer auch behandelt – widersprochen. Außerdem werden dem Publikum nur die leichter eingängigen Texte Aichingers präsentiert: auch der Band Schlechte Wörter ist voll von solchen, die schwer eingängig sind. Wer kompetenten Zugang zu diesen finden möchte, sei auf das über 40 Jahre alten Buch von Dagmar C. G. Lorenz »Ilse Aichinger« (1981) verwiesen.
Fazit: Ein Essay wird zu einem Büchlein aufgeblasen, indem er durch eine Auswahl von Aichinger-Texten ergänzt wird. So wird die vom Verlag geweckte Erwartung enttäuscht – es sei denn, es ist ihm nur um das »Feiern« gegangen.
Teresa Präauer: Über Ilse Aichinger (Autorinnen feiern Autorinnen, Band 8), Wien 2021, 96 S., 12 €.