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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Enttäuschte Erwartungen

Im ver­gan­ge­nen Jahr kün­dig­te der Man­del­baum Ver­lag für den Novem­ber das Erschei­nen eines »lite­ra­ri­schen Essays« der Autorin Tere­sa Präau­er über Ilse Aichin­ger an. Mot­to des Ver­lags: »Autorin­nen fei­ern Autorin­nen«. Der Erschei­nungs­ter­min war gut gewählt: Am 1. Novem­ber 2021 wäre Ilse Aichin­ger 100 Jah­re alt gewor­den. Ich war sehr gespannt, was eine jun­ge Autorin (Jg. 1979) über ihre berühm­te Kol­le­gin zu sagen hat.

Das Buch umfasst, alles in allem, 96 Sei­ten, die aller­dings auch eine län­ge­re Vor­re­de Julia Daniel­c­zyks »zu Tere­sa Präau­ers Fest­re­de anläss­lich Ilse Aichin­gers 100. Geburts­tag« (S. 7-17) ent­hal­ten. Für Präau­ers Text blei­ben gera­de ein­mal 74 Sei­ten bei einem bemer­kens­wert klei­nen Satz­spie­gel (7 cm à 12 cm). Von die­sen wie­der­um ent­hal­ten 35 Sei­ten Tex­te Ilse Aichin­gers (Aus­schnit­te aus Sub­tex­te, Schlech­te Wör­ter, Die grö­ße­re Hoff­nung).

Der Essay mischt Lokal­ko­lo­rit (»Ein Gespräch im Kaf­fee­haus«) mit Bio­gra­phi­schem. Präau­er bedient sich dabei einer Metho­de, die sie Aichin­gers Spie­gel­ge­schich­te ent­nom­men hat. Sie spricht über Ilse Aichin­gers Leben und Werk vom Ende her. Das hat einen gewis­sen Reiz, wirkt aber in einem Essay künstlich.

Die Gedan­ken zu Aichin­gers Werk haben häu­fig stark asso­zia­ti­ven Cha­rak­ter und wir­ken so, als woll­te die Autorin ihre Bele­sen­heit zur Schau stel­len. Hier­für ein beson­ders prä­gnan­tes Bei­spiel: Präau­er weist auf »die vie­len Alli­te­ra­tio­nen (…) und Stab­rei­me hin«: »Wer löst mir das Bild, /​ wer holt ihre Gestal­ten /​ neu aus dem Regen her­vor, /​ wer fängt ihnen Wol­ken­hau­ben, /​ wer dreht mir die Son­nen­uhr?« Im näch­sten Abschnitt zitiert sie den Beginn von Ril­kes Dui­ne­ser Ele­gi­en: »Wer, wenn ich schrie, hör­te mich denn aus der Engel Ord­nun­gen?«, gibt aber kurz dar­auf zu: »Womög­lich ist der Rück­griff auf Ril­ke, die­sen Dich­ter der Jahr­hun­dert­wen­de, in Bezug auf Aichin­ger gar nicht so ergie­big.« Das hin­dert sie nicht dar­an, zu behaup­ten: Ein »pathe­tisch bis gespielt hoher Ton in den Gedich­ten der jun­gen Gene­ra­ti­on nach dem Zwei­ten Welt­krieg lässt sich alle­mal fin­den«. Das mag wohl so sein, aber typisch war doch zunächst die »Kahl­schlag­li­te­ra­tur«, deren Prot­ago­nist Ilse Aichin­gers Ehe­mann, Gün­ter Eich, war. Und bald schon ist die Autorin bei Inge­borg Bach­mann (Die gestun­de­te Zeit) gelan­det.

Ob die­se Art, sie zu fei­ern, Ilse Aichin­ger gefal­len hät­te, wage ich sehr zu bezwei­feln. Dage­gen hät­te nicht nur ihre Sehn­sucht nach dem eige­nen Ver­schwin­den – die Präau­er auch behan­delt – wider­spro­chen. Außer­dem wer­den dem Publi­kum nur die leich­ter ein­gän­gi­gen Tex­te Aichin­gers prä­sen­tiert: auch der Band Schlech­te Wör­ter ist voll von sol­chen, die schwer ein­gän­gig sind. Wer kom­pe­ten­ten Zugang zu die­sen fin­den möch­te, sei auf das über 40 Jah­re alten Buch von Dag­mar C. G. Lorenz »Ilse Aichin­ger« (1981) verwiesen.

Fazit: Ein Essay wird zu einem Büch­lein auf­ge­bla­sen, indem er durch eine Aus­wahl von Aichin­ger-Tex­ten ergänzt wird. So wird die vom Ver­lag geweck­te Erwar­tung ent­täuscht – es sei denn, es ist ihm nur um das »Fei­ern« gegangen.

Tere­sa Präau­er: Über Ilse Aichin­ger (Autorin­nen fei­ern Autorin­nen, Band 8), Wien 2021, 96 S., 12 €.