Als die Mobile Akademie Berlin bei mir anfragte, ob ich etwas zu dem von ihr in diesem Jahr unter dem Titel Ende der Wiederholung präsentierten Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen beitragen wolle, und zwar zum Thema Tragödie & Farce: Warum Marx glaubte, dass sich Geschichte wiederholt, sagte ich gern zu, denn ich mag solche Verrückungen und Verrücktheiten. Ich begann dann, in den Quellen zu recherchieren, und was ich dabei an Überraschendem herausfand, schien mir nicht nur interessant als Einleitung zu dem vorgesehenen halbstündigen Gespräch, sondern auch für die Leserinnen und Leser von Ossietzky.
Ich zitiere zunächst das, was Marx dazu wirklich geschrieben hat: »Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.«
Mit diesen beiden Sätzen beginnt er 1852 eine Darstellung mit dem Titel Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Der Titel spielt auf ein damals noch sehr bekanntes historisches Ereignis an, denn am 18. Brumaire des Jahres 8 des französischen Revolutionskalenders, am 9. November 1799, machte sich Napoleon Bonaparte durch einen Staatsstreich zum Alleinherrscher Frankreichs. 52 Jahre später, am 2. Dezember 1851, putschte sich sein Neffe Louis Bonaparte ebenfalls durch einen Staatsstreich an die Macht.
Napoleon war eine wirklich bedeutende welthistorische Persönlichkeit gewesen, was man von seinem Neffen wahrlich nicht behaupten kann. Marx meinte: »Der achtzehnte Brumaire des Idioten für den achtzehnten Brumaire des Genies«, und ähnlich urteilte der große französische Schriftsteller Victor Hugo, der nach dem Staatsstreich im englischen Exil lebte, und damals ein politisches Pamphlet mit dem Titel Napoléon le Petit (Napoleon der Kleine) publizierte. Der Titel sagt eigentlich alles und bestätigt das Urteil von Marx wenigstens in der Hinsicht, dass der zweite Staatsstreich, verglichen mit dem ersten, eine lumpige Farce gewesen ist.
Dieses Urteil hatte Marx allerdings von seinem Freund Engels übernommen und dabei einiges hinzugedichtet. Engels hatte ihm schon am 3. Dezember, also einen Tag nach dem Staatsstreich, in einem Brief geschrieben: » (…) und es scheint wirklich, als ob der alte Hegel in seinem Grabe die Geschichte als Weltgeist leitete und mit der größten Gewissenhaftigkeit alles sich zweimal abspinnen ließe, einmal als große Tragödie und das zweite Mal als lausige Farce.«
Engels hat also seinen Bezugspunkt – »als ob der alte Hegel« – viel vorsichtiger als Marx formuliert und auch ohne jeden Vorwurf. Das war völlig richtig, denn bei Hegel, in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, lesen wir zum Problem der Wiederholung das glatte Gegenteil: »Überhaupt wird eine Staatsumwälzung gleichsam im Dafürhalten der Menschen sanktioniert, wenn sie sich wiederholt. So ist Napoleon zweimal gefangen worden, und zweimal vertrieb man die Bourbonen. Durch die Wiederholung wird das, was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten.«
Hiernach finden die Wiederholungen in einem kurzen, von den Beteiligten selbst erlebten Zeitraum statt, und nicht in über mehrere Generationen reichenden Zeiträumen, rechtfertigen folglich auch nicht das Wort von der »Wiederholung in der Geschichte«.
Abgesehen von all diesen Richtigstellungen muss schließlich bezweifelt werden, dass Marx den Machtantritt des großen Napoleon als eine Tragödie betrachtet hat.
Der von ihm selbst formulierte Vergleich ist also schief, ein wohl nicht zu Ende durchdachter Geistesblitz, und sollte als nicht sonderlich geglückter Versuch eines Bonmots betrachtet und in seinem Gehalt nicht überstrapaziert werden.
So viel zum ideengeschichtlichen Kontext. Bleibt aber die Frage, ob sich Geschichte wiederholt. Und da halte ich mich an George Santayana (1863-1952), den in Spanien geborenen und in den USA aufgewachsenen Philosophen, der die letzten vier Jahrzehnte seines Lebens wieder in Europa verbrachte (zunächst in Frankreich, dann in England und schließlich in Italien). Er hatte schon in seiner US-amerikanischen Zeit, in seinem 1905/6 erschienenen zweibändigen Werk The Life of Reason, formuliert: »Wer sich nicht der Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.«
Sorgen wir also für ein Ende der Wiederholung.