Jedes Handy hat eine Kamera. Und jeder, der so ein Smartphone besitzt, knipst sich durchs Leben. (Das gilt natürlich auch für den weiblichen Teil der Weltbevölkerung.) Darum, so scheint es, gibt es wohl keinen Winkel im weiten Rund, der noch nicht auf diese Weise »dokumentiert« worden ist. Gut, das ist immer noch besser, als den Namen mit dem Messer in einer Baumrinde zu verewigen oder mit Schriftzug an historischem Gemäuer mitzuteilen, dass man dagewesen sei. Der Chip ist geduldig, und irgendwann werden die elektronischen Bilder gelöscht oder verschwinden ohne jede Spur im Nichts.
Viele Fotografen halten diese Knipserei für ein Ärgernis. Sie leben von ihrer Arbeit und leiden darunter, wenn Redaktionen Handyschnappschüsse professionellen Fotos vorziehen. Auch wenn für Lichtbildner unverändert der Satz gilt, den der Maler Claude Monet für seinesgleichen formulierte: Es kommt nicht darauf an, was man malt, sondern wie man es malt. Doch wenn’s um Geld geht und um Wegwerfprodukte wie Zeitungen und illustrierte Zeitschriften, stellt sich diese Frage nicht.
Jener Monet kam 1840 in Paris zur Welt – ein Jahr, nachdem die dortigen Akademien der Wissenschaften und der Künste der Welt die Daguerreotypie präsentiert hatten. In den folgenden Jahren nahm das neue Medium »Photographie« eine rasante technische und inhaltliche Entwicklung. Allerdings fanden nicht wenige, dass das überhaupt keine Kunst sei, was damit produziert werde. Baudelaire erklärte 1859, dass Malerei seinen Geist erleuchte, was man von einem mit einer Maschine geschaffenen Abbild nicht behaupten könne. Viele Maler sahen das nicht so – sie ließen sich von den Fotografien zunehmend inspirieren wie eben auch die Fotografen sich von den Malern und deren Techniken zum Experiment angeregt fühlten. Etwa von den Impressionisten, die 1874 im Atelier des Pariser Fotografen Nadar kollektiv ausstellten. Im Unterschied zu seinen malenden Freunden wie Monet, Degas, Pissarro und Cezanne war Nadar mit seinen Fotos – etwa mit Porträts von Prominenten und Aufnahmen der Pariser Abwasserkanäle – zu einem beachtlichen Vermögen gekommen, weshalb er die notleidenden Künstler-Kollegen finanziell unterstützte.
Heute befinden sich 34 Monets im Besitz des in Potsdam lebenden Unternehmers und Mäzens Hasso Plattner, der für sie und viele andere Impressionisten in Potsdam neben Schinkels Nikolaikirche und dem Brandenburgischen Landtag eigens ein Haus errichten ließ, das Palais Barberini. Es rühmt sich, dass es außerhalb von Paris kein Ort der Welt gebe, wo so viele Monets versammelt sind. Dazu kommen noch viele Meisterwerke von Renoir, Morisot, Sisley, Pissarro, Signac und anderer Impressionisten. Seit genau fünf Jahren nun lockt das Haus am Alten Markt mit beeindruckenden Ausstellungen die Massen nach Potsdam, diese ist inzwischen wohl die achtzehnte Exposition, im Januar erst schloss »Impressionismus in Russland. Aufbruch zur Avantgarde«. Trotz Corona-Beschränkungen sahen fast hunderttausend Besucher die mit der Staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau zustande gekommene Schau, mehr als doppelt so viele wie zur zuvor veranstalteten Rembrandt-Ausstellung gekommen waren. Traurige Nebenbemerkung: Diese wunderbare Ausstellung würde wohl aktuell nicht mehr stattfinden können. Was für ein Irrsinn …
Geschickt versteht man es im Museum Barberini, den eigenen Fundus immer wieder in einem anderen Kontext zu präsentieren. So auch jetzt wieder, seit Februar in einer Kombination von fotografischen und gemalten Bildern, betitelt: »Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus«. Die Kuratoren des Hauses – in diesem Falle der international bekannte Fotografie- und Impressionismusexperte Ulrich Pohlmann als Gast – haben es auch diesmal wieder geschafft, mit dem Vorhandenen und mit Leihgaben auf tausend Quadratmetern bemerkenswert Überraschendes zu zeigen.
Die offerierten Lichtbilder dokumentieren zugleich auch die Geschichte der Fotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – bis hin, was didaktisch folgerichtig ist, zu den klobigen Kästen und mobilen Entwicklungslabors, in denen die Fotografen in chemischen Dämpfen sich oft früh den Tod holten. Himmel und Meer, die Wolkenmalerei und das Spiel von Licht und Schatten in landschaftlichen Weiten oder im Park nebenan interessierten die Fotografen, auch Brücken und Wege, Straßenszenen und Bauwerke – die Sujets der Freiluftmaler und der Freiluftfotografen glichen sich. Naheliegend, die Abbildungen nebeneinander zu präsentieren. Am Eingang hängt leitmotivisch neben einem Gemälde Monets mit den Kreidefelsen im nordfranzösischen Étretat von 1885 ein Bild, das 1864 Louis Alphonse Davanne fotografierte: die gleiche Klippe, nur mit Fischerhütten im Vordergrund. »Wettstreit und Dialog zwischen Malern und Photographen« heißt es im Begleittext an der Wand, kurz und sachlich und nicht ideologisch aufgeladen wie etwa die Erläuterungen bei der Ausstellung »Hinter der Maske. Künstler in der DDR« 2017/18, die damals den Unmut vieler Besucher hervorriefen.
Ein wenig politische Zeitgeschichte hätte allerdings nicht geschadet. Es findet sich nirgendwo, auch nicht im vorzüglichen Katalog, ein Hinweis etwa auf die Pariser Kommune, auf den deutsch-französischen Krieg, den Aufbruch des Kapitalismus in den Imperialismus. Diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Einschnitte korrespondierten gewiss auch mit der Kunst, doch dies wird weder in Bildern noch Kommentaren sichtbar. Eine Fotografie von Louis Vert, entstanden um 1900, zeigt einen Clochard auf einer Pariser Straße – das ist der einzige Hinweis darauf, dass es neben der heilen, gemalten oder abgelichteten Welt damals auch noch eine andere gegeben haben muss.
Die exzellente Exposition wird ab Oktober, ebenfalls für ein Vierteljahr, auch in Wuppertal zu sehen sein. Das dortige Von der Heydt-Museum war am Zustandekommen der Ausstellung in Potsdam partnerschaftlich beteiligt.
Die Sammlung ist bis zum 8. Mai 2022 im Museum Barberini am Alten Markt in Potsdam zu sehen, täglich – bis auf Dienstag – geöffnet von 10 bis 19 Uhr, Eintritt nur mit Maske und einem Zeitfenster-Ticket (https://shop.museum-barberini.de/#/tickets?lang=de).