»Sie war nicht nett.« So lautete der erste Satz der monumentalen Biografie »Die talentierte Miss Highsmith« (2009) von Joan Schenkar. Wahrlich, nicht sehr schmeichelhaft für die amerikanische Kriminalschriftstellerin Patricia Highsmith, die als eine der geheimnisvollsten, meistbewunderten und meistverfilmten Autorinnen der Welt gilt. Zwanzig Romane und mehrere Bände mit Kurzgeschichten hatte sie zu Lebzeiten publiziert, und bis heute gibt es ständig Neuauflagen.
Am 19. Januar 1921, vor hundert Jahren also, in Fort Worth/Texas geboren, wuchs sie in Texas und New York auf. Mit neun Jahren entdeckte sie in der Bibliothek der Eltern ein psychiatrisches Lehrbuch mit Fallstudien über Kleptomanen und Serienmörder, das zum Lieblingsbuch des frühreifen, oft alleingelassenen Mädchens wurde. Es weckte bereits im Kindesalter ihr Interesse an den Abgründen der menschlichen Seele. Zwischen 1938 und 1942 studierte Highsmith am Barnard College der Columbia University Englisch, Latein, Griechisch und Zoologie. Hier gab sie eine Zeitschrift heraus, in der sie u. a. ihre eigenen Geschichten veröffentlichte. Nach dem Studium nahm die 21-jährige promovierte Literaturwissenschaftlerin einen Job als Comictexterin an. Mit ihrem Erstlings-Roman »Strangers on a Train« (1950, dt. »Zwei Fremde im Zug«) hatte sie zunächst wenig Glück, denn er war zuvor von sechs Verlagen abgelehnt worden. Aber die Hitchcock-Verfilmung nach einer Drehbuchbearbeitung von Raymond Chandler ein Jahr später machte Highsmith dann über Nacht weltberühmt.
Mit ihrem 1952 unter Pseudonym veröffentlichten Roman »The Price of Salt« (dt. »Salz und sein Preis«) rührte Highsmith an eines der größten gesellschaftlichen Tabuthemen ihrer Zeit: Sie schilderte die lesbische Liebesgeschichte zwischen einer jungen Verkäuferin und einer Kundin. Hätte Highsmith den Roman unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht, wäre ihre Schriftstellerkarriere durch den Skandal ruiniert gewesen. Das Buch erfuhr jedoch bald eine Auflage in Millionenhöhe und war für viele junge Frauen der Anstoß, sich zu ihrer Neigung zu bekennen. Es war übrigens Highsmiths einziger Roman, in dem sie ohne kitschige Gefühlsduselei die erfüllte Liebe als Glück beschreibt. Erst mit der Neuausgabe 1984 unter dem Titel »Carol« gab sich Highsmith als Autorin zu erkennen. Sie selbst hatte eine Vielzahl von Beziehungen zu Frauen, die meist jedoch nach kurzer Zeit in einem emotionalen Fiasko endeten.
Mit »The Talented Mr. Ripley« (1955, dt. »Der talentierte Mr. Ripley«) erschloss Highsmith dann dem Kriminalroman neue Dimensionen. Sie wich vom traditionellen Gattungsschema ab: Im Mittelpunkt stand nicht die Aufklärung des Verbrechens, sondern der Täter, der kaltblütig seinen Freund ermordet, um dessen Identität zu übernehmen. Der elegante Tom Ripley, der keinerlei Schuldgefühle verspürt, ist geradezu charmant und sympathisch; der Leser kann kaum anders, als mit dem Protagonisten mit zu fiebern. Mit dem Buch gelang Highsmith eine sensible psychologische Studie über eine Verbrecherkarriere. Sie habe das »Gespür für Gut und Böse« verloren, schrieb sie in ihr Notizbuch. Der Roman wurde bereits 1960 verfilmt (»Nur die Sonne war Zeuge«) mit Alan Delon in der Hauptrolle. Bis 1991 ließ Highsmith noch vier weitere Romane mit dem skrupellosen Ripley folgen und schuf damit eine der beliebtesten Romanfiguren.
Da Highsmith in den USA nur als Krimiautorin gesehen wurde, übersiedelte sie 1963 nach Europa, wo man sie als Literatin würdigte. Zunächst wechselte sie häufig ihren Wohnort, lebte in Süditalien, England und Frankreich, ehe sie sich schließlich in der Schweiz niederließ. Die Jahre zwischen 1957 und 1977 waren die produktivste Phase in ihrem Schaffen, neue Romane entstanden fast im Jahrestakt – von »Deep Water« (dt. »Stille Wasser sind tief«) bis zu »Edith’s Diary« (dt. »Ediths Tagebuch«). Wie bei den »Ripley«-Romanen standen auch hier meist die psychologischen Umstände im Mittelpunkt, welche Menschen zu Mördern machen. Die Täter geraten in zunehmend absurde Verkettungen, sodass ihnen nur noch das Morden als Ausweg und letzter Verzweiflungsschritt bleibt. Am Schluss kommt der Täter jedoch meist davon. Ähnliche Täter-Opfer-Konstellationen finden sich auch häufig in ihren Erzählungen, die in zahlreichen Auswahlbänden erschienen sind. Ihr einzigartiges Werk – häufig als »Highsmith-Country« bezeichnet – ist eine eigene Welt, in der Liebe, Mord und Totschlag irgendwie zusammengehören. 1991 war Highsmith sogar Kandidatin für den Literaturnobelpreis.
Nach dem jahrzehntelangen Umherziehen durch verschiedene Länder verbrachte Highsmith ihre letzten Lebensjahre in der Tessiner Bergwelt, in einem bunkerartigen Haus, das speziell nach ihren Entwürfen erbaut wurde. Hier verkroch sich die öffentlichkeitsscheue Autorin regelrecht, nur umgeben von Katzen und Schnecken, deren Zweigeschlechtlichkeit sie faszinierte. Tiere waren ihr lieber als Menschen. Das Eremitendasein war für ihre Fantasie förderlicher als Gesellschaft. Patricia Highsmith, die, wie sie einmal betonte, nie über ihren Platz in der Literatur nachgedacht hat, sondern eher eine Entertainerin sein wollte, starb am 4. Februar 1995 in Locarno.
Die ersten deutschen Übersetzungen ihrer Bücher erschienen erst Anfang der 1960er Jahre im Rowohlt Verlag. Seit 1980 vertreibt der Zürcher Diogenes Verlag ihre Romane und besitzt seit 1993 die Weltrechte an ihrem Gesamtwerk. Zum 100. Geburtstag von Patricia Highsmith hat der Verlag ein wahres Feuerwerk an Neuausgaben gezündet. Den Auftakt bildete der Band »Ladies« mit frühen Stories, die damals nur verstreut in Schul- und Frauenmagazinen erschienen waren. Im November und Dezember 2020 folgten Neueditionen (im neuen Outfit) von sechs Romanen (»Tiefe Wasser«, »Der Schrei der Eule«, »Ediths Tagebuch«, »Der süße Wahn«, »Salz und sein Preis« und »Elsies Lebenslust«), in denen Frauen eine Hauptrolle spielen. Abschluss und Höhepunkt im Herbst 2021 wird die Ausgabe ihrer Tagebücher sein, die weltweit erstmals veröffentlicht werden. In 56 Notizbüchern (insgesamt rund 8.000 Seiten), die erst nach ihrem Tod in einem Wäscheschrank entdeckt worden waren, hatte Patricia Highsmith ihr Leben von den jungen Jahren als Studentin bis zu ihrem Tod 1995 festgehalten.