Gut, dass das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum Rheinsberg am 27. April 21 selbst an sein 30jähriges Bestehen gedacht hat. Als der literatur-, musik-, spott- und später auch eroberungssüchtige »Friedrich der Große« den Musenhof seiner Jugend seinem Bruder Heinrich überantwortete, konnte er noch nicht ahnen, dass dem repräsentativen Haus-, Marstall- und Parkgelände eine interessante Perspektive vorbehalten war. Der Zug der Zeit und der damals noch junge Fritz machten es zum architektonischen, landschaftlichen und gärtnerischen Experimentierfeld für Sanssouci, wo sich der König in freundschaftlicher Gegnerschaft mit dem schlauen Voltaire herumstritt. Rheinsberg hingegen faszinierte seine prominenten Besucher Schinkel, Menzel, Fontane, Wegner und Arendt und, neben vielen anderen, eben auch Tucholsky. Mit einer nicht ganz jugendfreien Novelle, in der er sich als aufmüpfigen jugendlichen Liebhaber und tollkühnen Ruderbootstouristen vorführte, sorgte er dafür, dass Ostprignitz/Ruppin Anfang des 20. Jahrhunderts weit über das Land des Roten Adlers hinaus bekannt wurde.
Und in den je nach Blickwinkel des Betrachters Goldenen oder grauen Zwanzigern war Tucholsky ein Vielschreiber und zeitweiliger Chefredakteur der Weltbühne. Er hat ihr Profil wesentlich mitbestimmt.
Aber auch andere Bestandsjahre sind bemerkenswert, so zu DDR-Zeiten die nützliche Verwendung des märkischen Kleinods als Diabetiker-Sanatorium »Helmut Lehmann«. Aus dem Küchentrakt des Klinikums entstand nach der erneuten Schlossifizierung die erste Raumkombination der Kurt-Tucholsky-Gedenkstätte, die nach der Übernahme des Sammelbestandes zu Tucholsky vom Heimatmuseum Neuruppin 2004 zum Literaturmuseum und »Kulturellen Gedächtnisort mit nationaler Bedeutung« mutierte. Seitdem wissen die Bewunderer Tucholskys und die Mitglieder des nach ihm benannten Vereins die literarische Fundgrube wohl zu schätzen. Hier stellte der unerreichte Spurensucher des Dichters und Vereinsvorsitzende Michael Hepp 1993 in Anwesenheit der Cousine Tucholskys, Brigitte Rothert, seine »Biographischen Annäherungen« vor, und im benachbarten Theater kam man mit Cornelia Froboes und Alfred Biolek ins Gespräch. Und hier fanden Möbel und Hinterlassenschaften des von vielen bewunderten und von anderen gehassten Schriftstellers, wie sein Schreibtisch aus dem schwedischen Hindas sowie zwei Sessel aus dem gemeinsamen Hausstand von Kurt und Mary Gerold, eine würdige Bleibe – so auch eine Taschenlampe vom Typ »Daimon« des Berliner Erfinders Paul Schmidt, mit deren Hilfe der Satiriker einst nachts im Bedarfsfall seinen Weg zur Toilette beleuchtete.
Und hier landeten unersetzbare Kostbarkeiten wie das 1. Exemplar seines Claire Pimbusch gewidmeten »Bilderbuches für Verliebte«, Korrespondenzen mit seinem »Lottchen« Lisa Matthias, Briefe, Karten, Fotos und andere Dokumente. Dem Literaturmuseum ist es auch zu danken, dass den dürftigen Spuren seiner ersten Ehefrau, der jüdischen Ärztin Dr. Else Weil, die den Transport in ein Nazilager nicht überlebte, erschütternde Erkenntnisse hinzugefügt werden mussten. Die Forscherin Sunhild Pflug, unterstützt vom Museumschef Peter Böthig, verdient dafür eine besondere Hervorhebung.
Große Anerkennung bei der Analyse des Lebens- und Schaffensweges Kurt Tucholskys und für Dokumentenbereitstellungen gebührt Brigitte Rothert, Beate Schmeichel-Falkenberg, Maren v. Bothmer, Ian King, Harald Vogel, Bernd Brüntrup, Roland Links, Frank-Burkhard Habel, Gustav Huonker und vielen anderen.
Die Aura des Tucholsky-Literaturmuseums wird nicht zuletzt von der Vorstellung literarischer Neuerscheinungen und von Diskussionen und streitbaren Gesprächen geprägt. Die Zusammenarbeit mit dem Literaturministerium des Landes Brandenburg erstreckt sich nicht zuletzt auf die Verpflichtung von zwei Stadtschreibern, die seit 1995 die Möglichkeit erhalten, für jeweils fünf Monate vor Ort ihren literarischen Ambitionen nachzugehen und sich sowohl aktuellen Problemstellungen als auch noch offenen Fragen der Tucholsky-Forschung zu widmen. Zu den bisherigen Stadtschreibern gehörten u. a. Volker Braun, Bert Papenfuß, Wolfgang Hilbig, Wiglaf Droste und Marion Brasch. Zurzeit wetzt Manja Präkels in Rheinsberg ihre streitbare Feder.
Ein weiteres Verdienst der Museumsleitung besteht in der häufigen Gestaltung von Kunstausstellungen. Zu bewundern waren die Malerfreunde von Christa und Gerhard Wolf und so prominenten Künstlern wie Joseph Beuys und Günther Uecker. Im Sommer 2020 stellte der Graphiker und Illustrator Hans Ticha sein originelles thematisches Werk vor. Mit seiner eigenwilligen, satirisch geprägten Kunst illustrierte er u. a. die Auswahlbände der Büchergilde Gutenberg über Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Karel Capek, Ernst Jandl und Mascha Kaléko.
Man muss nicht unbedingt Fan von Kurt Tucholsky sein, um das Rheinsberger Literaturmuseum in Nachdenklichkeit und mit Vergnügen zu genießen. Es kann einem schlussendlich dabei helfen, zum Fan zu werden. Fahren Sie wieder mal hin, sobald die Pandemie weggespritzt ist.