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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein Milliardär hat’s schwer

Niko­laus Piper, ehe­ma­li­ger Lei­ter des Wirt­schafts­res­sorts der Süd­deut­schen Zei­tung, hat am 15. Janu­ar 2021 in deren Online­aus­ga­be unter dem Titel »Feind­bild Mil­li­ar­där« und einen Tag spä­ter in der Print­aus­ga­be unter dem Titel »Was gerecht wäre« einen Essay ver­öf­fent­licht, in dem er sämt­li­chen Umver­tei­lungs­maß­nah­men eine kla­re Absa­ge erteilt. Vor allem eine Ver­mö­gens­ab­ga­be, wie sie die LINKE vor­schlägt, um die Kosten der Covid-19-Pan­de­mie, der staat­li­chen Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men und der Hilfs­pa­ke­te für davon nega­tiv Betrof­fe­ne zu refi­nan­zie­ren, lehnt Piper mit der Begrün­dung ab, dass sie eine Kapi­tal­flucht aus­lö­sen, die wirt­schaft­li­che Kri­se ver­schär­fen und unnö­ti­ge poli­ti­sche Kon­flik­te her­auf­be­schwö­ren würde.

Umver­tei­lung von oben nach unten erklärt Piper des­halb für über­flüs­sig, weil sich die Kluft zwi­schen Arm und Reich in Deutsch­land wäh­rend der pan­de­mi­schen Aus­nah­me­si­tua­ti­on nicht ver­tieft habe. »Zwar sind welt­weit mehr schlecht- als gut­be­zahl­te Jobs weg­ge­fal­len. Deutsch­land hat aber mit Kurz­ar­bei­ter­geld, Kin­der­bo­nus und ande­rem dage­gen­ge­hal­ten, wes­halb die Ungleich­heit nicht zu-, son­dern sogar leicht abge­nom­men hat.« Piper beruft sich dabei auf Andre­as Pei­chl, Lei­ter des ifo Zen­trums für Makro­öko­no­mik und Befra­gun­gen sowie Pro­fes­sor für Volks­wirt­schafts­leh­re an der Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen, ohne aller­dings eine Beleg­stel­le zu nen­nen oder Fak­ten ins Feld zu führen.

Anschlie­ßend erwähnt Piper para­do­xer­wei­se den »Mil­li­ar­därs­re­port« der Schwei­zer Groß­bank UBS und der Unter­neh­mens­be­ra­tung Pri­ce­wa­ter­hous­e­Coo­pers, aus dem her­vor­geht, dass die deut­schen Mil­li­ar­dä­re zwi­schen dem März 2019 und dem Juli 2020 um 95 Mil­li­ar­den US-Dol­lar rei­cher gewor­den sind. Dies sei der durch Covid-19 beschleu­nig­ten Digi­ta­li­sie­rung geschul­det: »Pro­fi­tiert hat, wer jetzt rich­tig inve­stier­te, zum Bei­spiel in Tech­no­lo­gie- und Phar­ma­ak­ti­en. Das ist vor­aus­schau­end, nicht unge­recht.« Was gerecht ist und was nicht, ent­schei­det laut Piper der Akti­en­markt. Und eine Lei­stung, die mit Reich­tum belohnt wer­den und mög­lichst gering besteu­ert wer­den soll, besteht für den neo­li­be­ra­len Wirt­schafts­jour­na­li­sten dar­in, an der Bör­se auf das rich­ti­ge Pferd zu setzen.

Über­haupt kein Pro­blem hat Piper offen­bar damit, dass die Ent­wick­ler von Covid-19-Impf­stof­fen wie die BioNTech-Chefs Uğur Şahin und Özlem Türe­ci in kür­ze­ster Zeit zu Mul­ti­mil­lio­nä­ren oder Mil­li­ar­dä­ren wer­den: »Sol­che Men­schen mit einer Abga­be zu bela­sten, wäre nicht gerecht, son­dern dumm.« Umge­kehrt ist frei­lich zu fra­gen, war­um jemand, der eine sol­che Erfin­dung gemacht hat und es damit prak­tisch über Nacht zu gro­ßem Reich­tum bringt, eigent­lich nicht durch eine Ver­mö­gens­ab­ga­be sei­nen Teil dazu bei­tra­gen soll, dass die Gesell­schaft, wel­cher er die­sen Erfolg ver­dankt, mit den gigan­ti­schen Fol­ge­ko­sten der Pan­de­mie fertigwird.

Obwohl das Bun­des­for­schungs­mi­ni­ste­ri­um die Ent­wick­lung des am 21. Dezem­ber 2020 von der EU-Kom­mis­si­on zuge­las­se­nen BioNTech-Impf­stoffs mit 375 Mil­lio­nen Euro sub­ven­tio­niert hat­te, muss­te das mit dem US-Phar­ma­kon­zern Pfi­zer koope­rie­ren­de, schon in sei­ner Grün­dungs­pha­se geför­der­te Start-up-Unter­neh­men die­sen Betrag aus einem Son­der­pro­gramm nicht zurück­zah­len. Auch bekam die Bun­des­re­pu­blik weder einen Rabatt auf den Abnah­me­preis des Vak­zins noch eine Betei­li­gung am Unter­neh­men ein­ge­räumt. Viel­mehr bezieht sie das Vak­zin zum »Nor­mal­preis« von 16,50 Euro pro Ein­zel­do­sis, von denen jeder Impf­kan­di­dat zwei ver­ab­reicht bekommt. Hier­zu passt die Post­adres­se »An der Gold­gru­be 12«, wo sich das Büro- und Labor­ge­bäu­de von BioNTech in Mainz befin­det, recht gut.

Das eigent­li­che Pro­blem sieht Piper dar­in, dass Ama­zon, Alpha­bet (Goog­le), Apple, Face­book und Micro­soft kei­ne oder sehr nied­ri­ge Steu­ern zah­len. Mit dem Hin­weis auf die­ses Geschäfts­mo­dell trans­na­tio­na­ler Kon­zer­ne lenkt Piper davon ab, dass die sozio­öko­no­mi­sche Ungleich­heit hier­zu­lan­de wäh­rend der Pan­de­mie noch dra­sti­sche­re For­men ange­nom­men hat. Die reich­sten 45 Fami­li­en besa­ßen laut Anga­ben des Deut­schen Insti­tuts für Wirt­schafts­for­schung schon vor­her mehr als die ärme­re Hälf­te der Bevöl­ke­rung, und das Pri­vat­ver­mö­gen von Die­ter Schwarz (Eigen­tü­mer von Lidl und Kauf­land) als reich­stem Deut­schen betrug im Sep­tem­ber 2020 nicht weni­ger als 41,8 Mil­li­ar­den Euro.

Die sozia­le Fra­ge sei nicht ver­schwun­den, räumt Piper anschlie­ßend ein, sie stel­le sich heu­te aber neu, behaup­tet er: »Das Pro­blem ist in den mei­sten Län­dern nicht, dass eini­ge Leu­te zu viel Ver­mö­gen haben, son­dern dass sehr vie­le über kei­nes ver­fü­gen.« Dass bei­des mit­ein­an­der zu tun hat, kommt Piper gar nicht in den Sinn. Dazu müss­te er die wach­sen­de Ungleich­heit als struk­tu­rel­les Pro­blem eines kapi­ta­li­sti­schen Wirt­schafts- und Gesell­schafts­sy­stems begreifen.

Piper emp­fiehlt auch kei­ne Ver­mö­gens­bil­dung in Arbeit­neh­mer­hand – das Patent­re­zept von CDU/​CSU und FDP, wel­ches in den 1960er-Jah­ren eine rei­ne Ali­bi­funk­ti­on erfüll­te. Schließ­lich kann man die bestehen­den Ver­tei­lungs­struk­tu­ren nicht dadurch besei­ti­gen, dass die Lohn­ab­hän­gi­gen zu »klei­nen Kapi­ta­li­sten« gemacht wer­den. Viel­mehr wären die Rei­chen noch rei­cher, wenn auch die Armen zu Bör­sia­nern und damit einem dop­pel­ten Risi­ko aus­ge­setzt wür­den: ihren Arbeits­platz und ihr (gerin­ges) Anla­ge­ver­mö­gen zu ver­lie­ren, wenn das Unter­neh­men, an dem sie betei­ligt wären, Insol­venz anmel­den müsste.

Nein, Piper ver­weist die Men­schen in Deutsch­land auf Bil­dung, wel­che »ihr wich­tig­stes Kapi­tal« sei. Davon mer­ken die Beschäf­tig­ten im Nied­rig­lohn­sek­tor jedoch wenig. Fast drei Vier­tel von ihnen haben einen Berufs­ab­schluss, mehr als zehn Pro­zent sogar einen Hoch­schul­ab­schluss. Bil­dung ist offen­bar kein taug­li­ches Mit­tel gegen die sozio­öko­no­mi­sche Ungleich­heit. Zwar kann man im Ein­zel­fall durch die Bil­dung einer pre­kä­ren Lebens­la­ge ent­kom­men, eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Lösung bie­tet sie allein frei­lich nicht. Denn wenn alle Kin­der und Jugend­li­chen in Deutsch­land – was ihnen zu wün­schen wäre – bes­se­re Bil­dungs­mög­lich­kei­ten erhiel­ten, wür­den sie am Ende womög­lich auf einem höhe­ren Bil­dungs­ni­veau, aber nicht mit bes­se­ren Chan­cen um gera­de in der Coro­na-Kri­se feh­len­de Arbeits- und Aus­bil­dungs­plät­ze konkurrieren.

Viel­mehr ist es höch­ste Zeit, Umver­tei­lung von oben nach unten zu betrei­ben, um mehr Gleich­heit und sozia­le Gerech­tig­keit zu schaf­fen. Ob dies nur durch steu­er­po­li­ti­sche Maß­nah­men und eher durch eine Ver­mö­gens­ab­ga­be nach dem Vor­bild des Lasten­aus­gleichs von 1952, einen »Coro­na-Soli« oder die Wie­der-erhe­bung der Ver­mö­gen­steu­er erreicht wer­den kann, bedarf inten­si­ver Dis­kus­sio­nen. Piper lei­stet dazu kei­nen Beitrag.

 

Prof. Dr. Chri­stoph But­ter­weg­ge hat bis 2016 Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät zu Köln gelehrt; zuletzt erschien von ihm das Buch »Ungleich­heit in der Klas­sen­ge­sell­schaft« (Papy­Ros­sa Ver­lag, 183 Sei­ten, 14,90 €).