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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein literarisches Auslaufmodell?

Man will es ein­fach nicht glau­ben, aber auf dem Buch­markt ist seit Jah­ren deut­lich ein Trend zum Sach­buch zu beob­ach­ten – vom Rat­ge­ber bis zum Koch­buch, vom Rei­se­füh­rer bis zum Bild­band. In der Bel­le­tri­stik lie­gen vor allem Kri­mis und Fan­ta­sy gut im Ren­nen. Ein Stief­müt­ter­chen-Dasein fri­stet dage­gen die Lyrik. Seit Jah­ren fin­det man sie nur im hin­ter­sten Regal der Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur oder (wie in mei­ner Buch­hand­lung) in der Nähe des Kun­den-WC. Hier war­ten Goe­the, Schil­ler, Hei­ne, Brecht oder die Gegen­warts­au­toren, inzwi­schen etwas ange­staubt, auf irgend­ei­nen Lyrik­freund, der sie aus dem Dorn­rös­chen­schlaf erweckt.

Apro­pos Lyrik­freund: Es gibt ja das böse Gerücht, dass es mehr Leu­te geben soll, die Lyrik schrei­ben, als sol­che, die Lyrik lesen. Die Lyrik wird geschätzt und trotz­dem kaum gele­sen. Frü­her war Poe­sie für Ver­la­ge zumin­dest noch eine Fra­ge des Renom­mees, heu­te wird sie häu­fig aus dem Sor­ti­ment gewor­fen. Zusam­men mit dem Dra­ma und dem Essay macht die Lyrik nicht ein­mal zwei Pro­zent der jähr­li­chen Neu­erschei­nun­gen in Deutsch­land aus. Wer sich mit zeit­ge­nös­si­scher Lyrik, die oft als schwie­rig wahr­ge­nom­men wird, beschäf­ti­gen will, muss meist das Inter­net bemü­hen, wo sich eine klei­ne, aber leben­di­ge Lyrik-Sze­ne eta­bliert hat. Hier müs­sen die Autoren nicht bei zig Ver­la­gen ver­geb­lich Klin­ken put­zen und errei­chen doch eine Fan-Gemeinschaft.

Trotz­dem soll­ten wir wie­der ein­mal einen gedruck­ten Gedicht­band zur Hand neh­men und uns von der Lyrik ver­zau­bern las­sen. Nur so wird es wohl gelin­gen, eine der älte­sten Kunst­gat­tun­gen der Mensch­heit aus ihrem Nischen­da­sein oder dem Abort-Dunst­kreis zu befreien.