Man will es einfach nicht glauben, aber auf dem Buchmarkt ist seit Jahren deutlich ein Trend zum Sachbuch zu beobachten – vom Ratgeber bis zum Kochbuch, vom Reiseführer bis zum Bildband. In der Belletristik liegen vor allem Krimis und Fantasy gut im Rennen. Ein Stiefmütterchen-Dasein fristet dagegen die Lyrik. Seit Jahren findet man sie nur im hintersten Regal der Unterhaltungsliteratur oder (wie in meiner Buchhandlung) in der Nähe des Kunden-WC. Hier warten Goethe, Schiller, Heine, Brecht oder die Gegenwartsautoren, inzwischen etwas angestaubt, auf irgendeinen Lyrikfreund, der sie aus dem Dornröschenschlaf erweckt.
Apropos Lyrikfreund: Es gibt ja das böse Gerücht, dass es mehr Leute geben soll, die Lyrik schreiben, als solche, die Lyrik lesen. Die Lyrik wird geschätzt und trotzdem kaum gelesen. Früher war Poesie für Verlage zumindest noch eine Frage des Renommees, heute wird sie häufig aus dem Sortiment geworfen. Zusammen mit dem Drama und dem Essay macht die Lyrik nicht einmal zwei Prozent der jährlichen Neuerscheinungen in Deutschland aus. Wer sich mit zeitgenössischer Lyrik, die oft als schwierig wahrgenommen wird, beschäftigen will, muss meist das Internet bemühen, wo sich eine kleine, aber lebendige Lyrik-Szene etabliert hat. Hier müssen die Autoren nicht bei zig Verlagen vergeblich Klinken putzen und erreichen doch eine Fan-Gemeinschaft.
Trotzdem sollten wir wieder einmal einen gedruckten Gedichtband zur Hand nehmen und uns von der Lyrik verzaubern lassen. Nur so wird es wohl gelingen, eine der ältesten Kunstgattungen der Menschheit aus ihrem Nischendasein oder dem Abort-Dunstkreis zu befreien.