Der adlige Philosoph und Naturforscher Johann August von Einsiedel (1754-1837), zu seiner Zeit als scharfsinniger Denker geschätzt, ist heute kaum bekannt. Literaturinteressierte kennen ihn allenfalls als kritischen Geist im Umfeld von Goethe und Herder. Im »goldenen Weimar« trat er zumeist als Gast in Erscheinung, von 1781 bis 1785 pflegte er dort dann intensivere Beziehungen.
Der Notar und Autor Veit Noll beschäftigt sich seit über dreißig Jahren mit Einsiedels Leben und Wirken. Umfangreiche Forschungen in Archiven, verbunden mit der Erschließung neuer Quellen, führten zu ersten Ergebnissen und fanden bereits ihren Niederschlag in zahlreichen Publikationen – darunter zwei Quellenbände mit Niederschriften, Tagebuchnotizen und Briefen. Nun legt Noll als Band 1 seines Einsiedel-Projektes den ersten Teil einer umfangreichen Biografie vor, die neue Zusammenhänge seines Lebensweges darlegt und Licht in das Denken und die Persönlichkeit Einsiedels bringt.
Der am 4. März 1754 in Lumpzig geborene Johann August von Einsiedel entstammte einer alten sächsischen Adelsfamilie. Der Tradition folgend war er für eine militärische Laufbahn bestimmt, die allerdings nicht seinem inneren Wunsch entsprach. Nach einem Dienst in einem holländischen Regiment konnte er sich der Familie gegenüber durchsetzen und begann 1779 in Göttingen ein Studium der Natur- und Bergwerkswissenschaften. Ein Jahr später wechselte er an die Bergakademie nach Freiberg. Nach Abschluss des Studiums war er in den folgenden Jahren in leitenden Stellungen im Freiberger Oberbergamt tätig.
Über seinen älteren Bruder Friedrich Hildebrand, der Kammerherr der Herzogin Anna Amalia war, hatte Einsiedel bereits ab 1777 Kontakt zum Weimarer Fürstenhof, vor allem aber mit Herder, Goethe und Goethes »Urfreund«, dem Lyriker Karl Ludwig von Knebel. Er gehörte bald zum engsten Kreis der Weimarer Kulturszene. Besonders mit Herder und dessen Familie verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Gelegentlich fand er hier auch Quartier. Die mehrfachen Aufenthalte Einsiedels in Weimar wurden zum geistigen Austausch, zu freundschaftlichen und anregenden Gespräche genutzt. Unter vielen Fragen waren es die der Reli-gion und der alten Schriften, die Herder und Einsiedel gemeinsam diskutierten. Einsiedels philosophische Gedanken und Reflexionen sind jedoch nur in Abschriften von Herder überliefert, die sich in dessen Nachlass befanden. Einsiedel, der mit den Ideen Rousseaus und später mit der Französischen Revolution sympathisierte, beschäftigte sich mit weltanschaulichen Fragen der Theologie, Wissenschaft und der Beherrschung der Natur durch den Menschen. So strebte er eine wissenschaftliche Erkenntnis der konkreten Welt an und unterzog das bestehende Wissen seiner Zeit einer ganz nachhaltigen Kritik. Mit seinen sozialutopischen Anschauungen und gesellschaftspolitischen Positionen gehörte Einsiedel zu den Repräsentanten des »linken Flügels« der deutschen Aufklärung, der sich am französischen Materialismus orientierte. Zur Veröffentlichung seiner Schriften kam es zu Lebzeiten nicht, wahrscheinlich waren Einsiedels Ansichten, vor allem seine strikte Ablehnung des Militärs, zu radikal für die damalige Zeit. Neben dem fürstlichen Hof von Carl August pflegte Einsiedel auch Kontakte zu anderen höfischen Kreisen und Fürsten in Deutschland sowie in die Republik der Vereinigten Niederlande und nach Frankreich.
1784 hatte Einsiedel für ein knappes Jahr seinen Wohnsitz in Oberweimar, wo er sich für seine naturwissenschaftlichen Interessen sogar ein Laboratorium einrichtete. Hier nahm er ein Projekt in Angriff, das er schon seit einigen Jahren verfolgte: eine Ent-
deckungsreise in das Innere von Afrika. Ihn interessierte Geschichte, Erd- und Völkerkunde von Afrika sowie das menschliche Zusammenleben ohne Einflüsse der Kulturentwicklung. Für die finanzielle Unterstützung seines Vorhabens konnte Einsiedel Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg gewinnen. Auf zwei Vorbereitungsreisen nach Paris versuchte er außerdem, das Interesse des französisches Hofes und Marineministeriums zu wecken.
Schließlich brach Einsiedel – begleitet von seinen Brüdern und seiner Geliebten (der verheirateten Emilie von Werthern) – im Mai 1785 von Weimar über Frankfurt a. M. nach Marseille auf, von wo die Überfahrt per Segelschiff nach Tripolis gelang. In der nordafrikanischen Hafenstadt hielt man sich einige Monate auf und wollte dann Karawanenwege zur Weiterreise nutzen. Die Gruppe gelangte bis Tunis, wo die Pest jedoch zum Abbruch der Expedition zwang. Nach einem Aufenthalt in Südfrankreich kehrte Einsiedel erst wieder im Frühjahr 1787 nach Sachsen-Gotha zurück. Die Erkenntnisse dieser kurzen Forschungsreise fanden ihren Niederschlag im »Afrikanischen Tagebuch« (1785-86).
Hier endet die Biografie, die mit der ersten, bewegten Lebenshälfte von August von Einsiedel bekannt macht. Für die Fortsetzung verspricht der Autor, »dass weitere spannende Bezüge unter der Oberfläche zutage treten werden«. In rund 200 kleinere Kapitel mit Inhaltsüberschriften ist die Neu-erscheinung unterteilt, was sicherlich das Auffinden von bestimmten Themen und Zeitabschnitten erleichtert, aber den Lesefluss (auch durch zahlreiche Zitate und längere Gedanken-Exkurse zu seinen Schriften) immer wieder ins Stocken bringt. Keine belletristische Biografie, eher eine wissenschaftliche, aber hochinteressante Abhandlung.
Veit Noll: Johann August von Einsiedel – Biografie, Forschungsverlag Salzwedel 2020, 560 Seiten, 69 €.