Eine alte Frau, Auschwitzüberlebende, Jahrgang 1921, erzählt ihre Geschichte. Kindheit und Jugend im polnischen Łodź, Ghetto und mehrere Konzentrationslager, Befreiung und Zusammentreffen mit Adi, dem Mann ihres Lebens, Emigration in die USA, Rückkehr nach Deutschland und Übersiedlung in die DDR, Familien- und Berufsleben, der Untergang der DDR und der Tod von Adi, die letzten Jahre im Seniorenheim.
Wer glaubt, das alles zu kennen, schon hundert Mal gelesen zu haben, wird überrascht sein, denn da ist ein ganz besonderer Ton in dem Büchlein. Die Erzählerin kennt die Frau, in deren Mikrophon sie spricht, seit siebzig Jahren, quasi von Geburt an. Sie spricht manches aus, über das sie noch nie geredet hat, teilweise unter Tränen, aber es wird nie rührselig, und wenn ihre Gesprächspartnerin in solchen Situationen meint, sie wolle mit dem Fragen aufhören, erwidert die Erzählerin nur: Nein, nein, ich muss das doch mal loswerden. So, wenn sie sich erinnert, wie die Mutter in Auschwitz nach links beordert wird, sie nach rechts, und sie sich seither fragt, ob sie die Mutter nicht auf ihrem letzten Weg – in die Gaskammer – hätte begleiten müssen.
Das Buch folgt zwar über weite Strecken der Chronologie des erzählten Lebens, aber immer wieder unterbrochen von kleinen Begebenheiten am Rande des Gesprächs, das in einfacher Sprache geführt wird, denn die Muttersprache der Erzählerin war Polnisch. Da werden die freundlichen Pflegekräfte erwähnt und die Spatzen auf dem Balkon, da wird ein Apfel für die Besucherin geschnitten und an das Theaterleben in der DDR erinnert. Vergangenheit und Gegenwart werden miteinander verwoben.
Auf diese Weise hat Antje Leetz nicht nur eine Überlebensgeschichte aufgeschrieben, sondern ein Kunstwerk geschaffen, dessen Lektüre jedem ans Herz gelegt sei.
Marischa – mehr als ein Wunder. Eine Überlebensgeschichte. Aufgezeichnet und herausgegeben von Antje Leetz. Wallstein Verlag Göttingen 2021, 165 Seiten, 20 €.