Die Stadt liegt annähernd in der Mitte Deutschlands. Sie hat eine Universität, eine »Reformuniversität« sogar, die schon 1737 gegründet wurde und mit ihrem Namen »Georg-August« an einen König erinnert, an Georg II von England. 45 Nobelpreisträger werden in Beziehung zur Stadt genannt, der die französische Chanson-Sängerin Barbara ein herzerwärmendes Lied widmete. Die Stadt ist beglückt davon, stolz ist sie dazu auf ihre Universität. Dafür steht ihr Slogan: »Stadt, die Wissen schafft«. Wer kennt nicht ihren Namen: GÖTTINGEN.
Nun kann es allerdings geschehen, dass die Wissenschaft nicht nur das Ansehen der Stadt mehrt, sondern ihr und der Universität auch Probleme schafft, und zwar ausgerechnet mit ehemals verliehenen Ehrendoktorwürden. Das war 2015 so, als eine Untersuchung herausfand, dass sich die Universität unbedingt von acht ihrer 35 Ehrenbürger und Ehrendoktoren, die sie zwischen 1933 und 1945 gewürdigt hatte, distanzieren müsste. Unter den ehemaligen fünf Ehrenbürgern war z.B. seit 1939 einer der führende NS-Verbrecher, Hermann Göring; die drei Würdenträger, die aus der Liste der Ehrendoktoren entfernt werden sollten, waren der Prähistoriker Oswald Menghin, der Theologe Martin Redecker und der Schriftsteller Heinrich Zillich (so meldete es dpa am 13.02.2015). Zillich hatte für Hitler in seinem Loblied »Den Deutschen von Gott gesandt« folgende Worte gefunden: »Gütiges Auge, blau, und erzene Schwerthand, dunkle Stimme du und der Kinder treuester Vater. (…) Hell in das Große hinein führt sie dein sicherer Schritt. (…) Aber noch niemals ward solches Los goldner gewährt als jetzt, Führer der Deutschen, seitdem du sie geadelt!« Der »Eintrag« für diesen »deutsche Dichter« findet sich immer noch in der gegenwärtigen 225 »Einträge« umfassenden Liste »Kategorie: ›Ehrendoktor der Georg-August-Universität Göttingen‹« (WIKIPEDIA, Stand 16. Juli 2022) –, nur vier Buchstaben entfernt von einem anderen Namen, der zurzeit in der Öffentlichkeit und der hiesigen Universität viel genannt wird: Gerhard Schröder.
Altkanzler Schröder wurde, mit »Lobeshymnen überschüttet«, als er auf Vorschlag der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät 2005 von der Universität seine Ehrendoktorwürde erhielt, trotz deutscher Teilnahme am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen das damalige Jugoslawien, genannt »Kosovokrieg«, die er als Bundeskanzler der Bevölkerung in einer Fernseherklärung am 24. März 1999 mitteilte.
Nach dem 24. Februar dieses Jahres wurden die maßgeblichen Gremien der Universität in der Sache ihres Ehrendoktors Schröder wieder aktiv: »Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, der einen Bruch des Völkerrechts darstellt«, forderten sie jetzt: »Schröder soll seine Ehrendoktorwürde niederlegen!« Es sei nämlich »für die Universität unverständlich, dass er den verbrecherischen Angriffskrieg nicht klar als solchen benennt und seine Tätigkeiten in russischen Unternehmen zumindest ruhen lässt« (Göttinger Tageblatt vom 28.04.2022). Nach diesen Worten wurde auch der Studierenden-Ausschuss (ASTA) ganz stark: Er forderte die Aberkennung seiner Ehrendoktorwürde, denn sonst »nimmt das öffentliche Bild der Universität empfindlichen Schaden« (Göttinger Tageblatt vom 13.05.2022).
Wie immer die Causa Schröder ausgeht: Der Vorgang müsste bewirken, dass, wie 2015, ein Untersuchungsausschuss auch andere Problemfälle überprüfen und bewerten müsste, und zwar nun solche, an die die Ehrendoktorwürden bald nach 1945 vergeben wurden. In einem Schreiben an die örtliche Presse, an den ASTA sowie an die theologische Fachschaft schlug ich dieses Verfahren vor und nannte zugleich vier solcher Problemfälle aus der Liste der Ehrendoktoren und nannte auch Belegliteratur dazu:
Johannes Wolff (1884-1977), Theologe, von 1923 bis 1960 Leiter des Stephanstiftes in Hannover. Von dieser Diakonenanstalt berichtet 1934 ihr Monatsbote, sie wolle »ihre Schüler als echte Nationalsozialisten und gehorsame Untertanen des Dritten Reiches erziehen«. Gemäß diesen Erziehungsziels forderte Wolff die Diakonieschüler auf, »die Eingliederung in die SA, soweit es bisher noch nicht geschehen ist, nunmehr zu vollziehen«. 1934 wurden dann »drei Brüder«, die zugleich SA-Männer waren, als Wachleute ins KZ Papenburg »entsandt«. 1948 erhielt Wolff den Ehrendoktor der Theologie in Göttingen, wozu der Präsident der Synode der Landeskirche Hannovers bemerkte: »Wir freuen uns, dass die reichen Verdienste (…) eine solche schöne Anerkennung gefunden haben.«
Karl Georg Kuhn (1906-1976), Theologe, trat 1932 in die NSDAP ein, war SA-Mitglied und 1933 Mitorganisator des Judenboykotts in Tübingen. Er schrieb 1939 eine Abhandlung über Juden als »parasitäres Händlervolk« und war Träger des SS-Ehrendolches. 1949 wurde er Professor für Neues Testament in Göttingen und 1957 Leiter der Qumran-Forschungsstelle.
Hans Freiherr von Campenhausen (1903-1989), Theologe, 1930 Privatdozent in Göttingen, unterschrieb im November 1933, so, wie mehr als 900 andere wissenschaftliche Lehrkräfte, das »Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat«.
Wilhelm Henke (1897-1981), Theologe, Ehrendoktor in Göttingen 1956, unterschrieb als Landessuperintendent für die schaumburg-lippische Kirche 1939 »Fünf Grundsätze« in denen es u.a. heißt: »Die Evangelische Kirche ehrt im Staat eine von Gott gesetzte Ordnung. Sie fordert von ihren Gliedern treuen Dienst in dieser Ordnung und weist sie an, sich in das völkisch-politische Aufbauwerk des Führers mit voller Hingabe einzufügen. (…) Im Bereich des völkischen Lebens ist eine ernste und verantwortungsbewusste Rassenpolitik zur Reinerhaltung unseres Volkes erforderlich.«
Dem ASTA, der seine Geschäftsstelle in der Göttinger Goßlerstraße hat, gab ich noch den Hinweis, dass der Göttinger Ehrendoktor Gustav von Goßler als preußischer Kultusminister in seiner Rede zur Einweihung des neuen Völkerkundemuseums in Berlin im Dezember 1886 »lobte, wie sehr die Kaiserliche Marine die Interessen des Museums mit ´mächtiger, fruchtbringender Unterstützung› fördere«, also Anteil an dem damaligen Kolonialismus hatte, wie man aus dem lesenswerten Buch von Götz Aly »Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten« (2021, S.65) erfahren kann.
Eine Antwort auf meine drei Schreiben habe ich bis heute nicht erhalten.
Belegliteratur zu den genannten vier theologischen Ehrendoktoren sind insbesondere die Schriften von Ernst Klee, »Personenlexikon zum Dritten Reich«, 2003, sowie sein Fischer-Tb 1998, »Die SA Jesu Christi. Die Kirche im Banne Hitlers«.