Das Buch ergänzt bisher Bekanntes und auch bereits von Egon Krenz selbst Veröffentlichtes. In diesen persönlichen Erinnerungen geht es um den Zeitraum von 1937 bis 1971. Diese zeitliche Begrenzung ist verständlich, aber auch nicht unproblematisch, da sich der Erinnerungsschreiber im Buch gelegentlich mehrfach auch ganz prononciert zu späteren Abläufen und Ereignissen äußert, sogar zur Ukraine-Problematik.
Der Autor behandelt Persönliches, Familiäres. Anschaulich, offen und ehrlich. Er schildert, wie es ihm als Kriegskind ergangen ist, und weshalb die Losung »Nie wieder Krieg« auch zu seinem Lebensmotto wurde. Nach seinem Lehrerstudium wurde er Funktionär der Freien Deutschen Jugend (FDJ), deren Chef er von 1974 bis 1983 war. Danach war er in unterschiedlichen Funktionen Mitglied der Partei- und Staatsführung der DDR. Es ist gut, dass am Lebensweg von Egon Krenz anschaulich wird, wie im Osten Deutschlands, in der DDR, strebsame Menschen vorangekommen sind und auch in Führungspositionen gelangen konnten.
Interessant und im Einzelnen so noch nicht öffentlich bekannt, äußert sich Krenz zu vielen seiner politischen Weggefährten, zu Förderern und mehr oder auch weniger Gleichgesinnten. Er deutet aber auch an, wer ihm zum Beispiel aus dem Kreis der Funktionäre wohl »weniger sympathisch« war. (s. nur die Andeutungen zu G. Mittag, E. Mielke, K. Naumann.) Diese Äußerungen zu Persönlichkeiten sowie auch zur Abfolge maßgeblicher politischer Entscheidungen der SED- und DDR-Staatsführung erwecken aber zuweilen den Eindruck, als schreibe da jemand über Erlebtes, der zwar irgendwie dabei – aber doch wohl eher Betrachter der Abläufe gewesen sei!
Recht anschaulich erörtert Krenz auch die unterschiedlichen Positionen von Walter Ulbricht und Erich Honecker sowie die Differenzen zwischen Führern der KPdSU und der SED. Da gibt es auch kritische Passagen. Erwähnt werden auch einzelne, seiner Meinung nach »falsche« Entscheidungen im Laufe der Jahre. Inhaltliche Wertungen zu den Ursachen des Scheiterns des Realsozialismus und dem Untergang der DDR werden aber aus meiner Sicht nur wenig überzeugend angedeutet. Das kann auch aus der Textbegrenzung dieser Erinnerungen nur bis zum Tod von Walter Ulbricht 1971 folgen – was die Frage aufwirft, ob Egon Krenz auch noch Zeit und Kraft findet, seine persönlichen Erinnerungen an die Folgejahre aus heutiger Sicht aufzuschreiben.
Auf dem Buchrücken ist schließlich vermerkt: »Krenz sorgte dafür, dass im Herbst ’89 kein Schuss fiel und Frieden im Land blieb« – eine wichtige Aussage, zu der man aber wohl im Kontext und aus heutiger Sicht aus den persönlichen Erinnerungen von Egon Krenz doch gern noch einiges Genaueres erhofft.
Egon Krenz, Aufbruch und Aufstieg, Erinnerungen, edition ost, Berlin 2022, 286 S., 24 €.