Der Autor Oskar Ansull legt eine papierne Ver(w)ortung seiner Papierstreifen vor, die er ab März 2020 unter dem Titel »Lese Z e i t« digital kursieren ließ. Jetzt also – wie es das Wort schon sagt – »Papierstreifen« im traditionellen Medium, einem Buch, gedruckt auf Papier.
Bücher werden geschrieben und gedruckt und gebunden. Bei ihrer Produktion entstehen Zu-, Ab-, Rein- und Un-Fälle, zum Beispiel bleiben ganz materiell Streifen von Papier übrig, die anderem Gebrauch zugeführt werden können – durchaus auch literarischem. Davon zeugt das jetzt erschienene Buch »Papierstreifen«, durch das eine LeserInnenschaft streifen kann – und sollte! Der Verfasser Oskar Ansull (der auch Rezitator, Kulturforscher; Herausgeber und gelernter Buchhändler ist) hat sich »verzettelt« (S. 229) und charakterisiert sich bescheidend als jemand, der »Dichterei eher nachlässig« (S. 230) betrieben habe und auch keine Tagebücher schrieb (S. 229). Er legt nun einen Mix, eine Vielzahl von Texten, ein »Blattwerk« (S. 229) vor, das in seiner Summe sowohl beiläufig als auch bedeutsam ist. Der Autor streift kollegial durch Papiere auch anderer Autorinnen und Autoren und hält eigensinnig Ohren und Augen offen für Töne und Tönungen des Alltagslebens. Das »Nebenbei« ist Oskar Ansull nicht unwichtig, notiert zu werden. Ganz im Verständnis von »Zeitung«; denn das meinte einst so viel wie Nachricht, Mitteilung, Kunde geben, Ereignis, bedeutende Neuigkeit, Vorkommnis, ja, vielleicht auch hat die literarische Gattung »Novelle« darin einen Ursprung.
So entsteht nun im Buch des Autors und Kompositeurs Oskar Ansull ein gekonntes »Kunterbunt«. Das Grimmsche »Deutsche Wörterbuch« liefert uns einen alten Vers zum Verständnis des Wortes »Kunterbunt«: »conterbunt war darbi zwar, / lieplich gieng es durch einander gar / ganz mit rechter kunst und art, / als do lert musica die zart.« Und meine Print-Ausgabe des »KLUGE. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache« von 1999 weiß: »kunterbunt (…) Herkunft unklar; vielleicht aus älterem kontrabund ›vielstimmig‹ (…) Kontrapunkt (…) Nebeneinanderführen mehrerer Stimmen.«
Natürlich hat dieses Buch ein hilfreiches Inhaltsverzeichnis: Es gliedert das vielsprachige »Parlament der Texte« in elf »Fraktionen«, die solche Namen tragen: »Miniaturen«, »Aus dem Dorf«, »Reflexionen«, »Gott und die Welt«, »Menschenbilder«, »Dichter & Denker«, »Griechische Skizzen«, »Orte«, »Auflösung«, »Anfänge« – und viele, bunte Text-Mitglieder treffen sich als Lektüre-Angebote unter diesen Namens-Schildern.
Eine kreative Um-Gangs-Zu-Gangs-Empfehlung: Der Autor ist ja unter anderem auch als Rezitator aktiv. Davon zeugen einige seiner Texte durch ihre ansprechende Wirkweise. Deshalb ein Vorschlag an den Leser, die Leserin: Werden Sie mit-/co-produktiv und lesen Sie (eventuell halb-)laut das vom Autor Geschriebene (vor). Nehmen Sie es als eine Gabe; gönnen Sie dem bedruckten Papier und sich einen akustischen Gestaltwandel. Etwa mit S. 74 und der Frage: »Was nun, Rimbaud? (…) NUN, ICH WÄRE GERN ein Anderer geworden, nicht, wie Rimbaud sagt, der Andere, der ich bin, seit ich nicht mehr ich bin oder (im Gegenteil) seit ich erst ich bin, was ja ohnehin kein ganz klarer Zustand ist. Wer bin ich schon, wer ist nun wirklich wer? Aber der, der ich dann wurde, das war es – der war ich auch nicht. Verwirrte Jugend eines Siebzehnjährigen. Wie gesagt, ich wäre schon gern ein Anderer geworden, aber diese Position war entweder schon besetzt von einem Anderen, oder ich war es vielleicht bei genauem Hinsehen bereits, ohne es zu wissen. Später sollte es noch viel verwickelter werden.«
Oskar Ansull belegt mit seinem Buch das prismatische Vermögen von Literatur/Dichtung auf der Fläche von Papier. Viele, verschiedene, unterschiedliche Blickrichtungen sind möglich; verwunderliche Einzelheiten treten – auch aphoristisch, ane©kdotisch – zutage in einem »samt und sonders«, einem »Gesamt und Besonders«. Zivile, poetische Streifzüge durch und mittels »Papierstreifen« ermöglichen Weltergänzung – nicht zuletzt unter solchem Motto: »Ich ging im Buche so für mich hin …«
Oskar Ansull, Papierstreifen, Wehrhahn Verlag 2020, 240 Seiten (Hardcover), 2. Auflage 2021 (Klappbroschur), 22 €