Eine Bukarester Künstlerin, die Ich-Erzählerin des Romans, kehrt aus Paris zurück nach Rumänien, in die Walachei, nach B. Im Klappentext ist das der »Ferienort ihrer Kindheit bei Transsilvanien«. Das ist ungefähr so präzise, wie wenn man sagte: Wolfsburg liegt bei Sachsen-Anhalt. Schaut man die Kapitelüberschriften an, in denen folgende Wörter dominieren: Tod, Angst, Gruft, gepfählt, Drang zum Tode, Pfähler, Tote, Hinrichtung – dann kann es nicht lang dauern, und es erscheint Dracula! Die Ich-Erzählerin teilt mit: »Es huschte an mir vorbei, vom Dach her, eine Kreatur. Menschenähnlich, die auf allen vieren die Hausmauer hinunterkletterte, den Kopf nach unten, wie eine Eidechse. Es war in Schwarz gekleidet, sodass ich unweigerlich auf die weißen Hände schaute, lange, blasse Finger, klauenhaft verbogen.«
Der prominenteste aller Vampire hat sein historisches Vorbild bekanntlich in dem walachischen Fürsten Vlad III. Dracula, der den Beinamen Ţepeş (Pfähler) bekam, weil er diese besonders grausame Hinrichtungsmethode (Auskunft erteilt das Internet, auch die Autorin geht durchaus in medias res) schätzte. Was Wunder, dass in B. bald eine geschändete Leiche gefunden wird, auf dem Grab, das für das Vlads gehalten wird. Aber man könnte aus der Vermutung eine Touristenattraktion machen, was auch gelingt. Denn Geld wäre im Ort willkommen, der sich zwar in den Bergen befindet, mit dem es aber bergab geht. Internet- und Handyempfang hat man nur auf einem Hügel außerhalb des Ortes, aber wenn man hat, dann kann man auf der News Site adevarul.ro (übersetzt: »Wahrheit«) lesen: »Gepfählt in Transsilvanien. Ein mysteriöser Tod schafft es in die Weltpresse.«
Gepfählt wurde ein junger Mann. Dass die Ich-Erzählerin einst ein Techtelmechtel mit ihm hatte, versteht sich; noch im Tode schürzt er ihr »die zerfledderten Lippen« wie zu einem Kuss entgegen. Während die erotischen Szenen im Unterschied zu vielen anderen Werken der rumänischen Gegenwartsliteratur eher brav bleiben, sind die Beschreibungen von Grausamkeit oft profund.
Was ist los im Orte?
Dass man sich der Gespenster der Vergangenheit nicht so leicht entledigen kann, ist eine Binsenwahrheit. In Rumänien scheint es aber besonders schwierig zu sein, denn es sind die keinesfalls neuen rumänischen Probleme, die dem Ort zu schaffen machen: Korruption, Betrug, Chauvinismus, Dekadenz. Zwar hat die »bürgerliche« Tante der Ich-Erzählerin die kommunistische Diktatur Ceauşescus immer verlacht und höchstens die allgemeine Verlumpung beklagt, aber ändern kann sie nichts daran, dass die alte Nomenklatura im postkommunistischen Land weiterhin schaltet und waltet. Freiheiten, die zu Ceauşescus Zeiten undenkbar waren, das Reisen etwa, verschärfen die politische und soziale Malaise. Denn viele der Einwohner von B. sind ins Ausland gegangen, wo sie besser verdienen als zu Hause. Entvölkerung ist die Folge, der einst hochgemut begonnene Häuserbau stagniert.
Und wie immer in solchen ausweglosen Situationen wird die Sehnsucht nach dem starken Führer, einem strengen, gerechten Richter laut. Und da böte sich Vlad Ţepeş, der Pfähler, an. »Ach, Pfähler! Herrscher! Kämst du doch!«, wird der Nationaldichter Mihail Eminescu zitiert. Auch die Tante der Ich-Erzählerin ruft das aus, und es ist wohl auch das Bekenntnis der Künstlerin. Wenig tröstlich ist, dass »gepfählt werden« im modernen Rumänisch auch den Reinfall bezeichnet, an dem man selbst Schuld hat.
Erschreckend sind die rumänischen Verhältnisse und der Ruf nach dem Pfähler. Bis auf Platz 4 der »Bestenliste« des SWR (Mai 2021) ist der Roman gelangt. Mit der dortigen Bezeichnung »schöne Schauergroteske« aber wird man seinem Wert nicht ganz gerecht.
Dana Grigorcea: Die nicht sterben, Penguin Verlag, 272 Seiten, 22 €.