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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Donna Leon wird 80

Die US-ame­ri­ka­ni­sche Schrift­stel­le­rin Don­na Leon, am 28. Sep­tem­ber 1942 in Montclair/​New Jer­sey gebo­ren, hat 26 Jah­re lang (von 1981 bis 2007) in Vene­dig gelebt und seit 1992 Jahr für Jahr einen neu­en in Vene­dig spie­len­den Kri­mi­nal­ro­man geschrie­ben. Im Mai die­ses Jah­res erschien mit »Mil­de Gaben« bereits ihr ein­und­drei­ßig­ster Kri­mi, alle mit dem sym­pa­thi­schen Com­mis­sa­rio Gui­do Bru­net­ti als Prot­ago­ni­sten, mit dem sie ein eben­bür­ti­ges ita­lie­ni­sches Pen­dant zum fran­zö­si­schen Kol­le­gen Mai­gret geschaf­fen hat.

Zunächst hat­te Leon in New Jer­sey Eng­lisch und eng­li­sche Lite­ra­tur stu­diert. Im Alter von 23 Jah­ren ver­ließ sie Ame­ri­ka und leb­te bis heu­te stän­dig im Aus­land. Es war der Beginn eines äußerst wech­sel­vol­len Lebens. Sie sie­del­te nach Ita­li­en über und setz­te in Peru­gia und Sie­na ihr Stu­di­um fort. Anschlie­ßend ging sie nach Rom, wo sie als Rei­se­lei­te­rin arbei­te­te. Doch bald ver­ließ sie Ita­li­en wie­der, um in Lon­don als Wer­be­tex­te­rin ihr Brot zu ver­die­nen. Nach Lon­don folg­te die Schweiz, wo sie als Leh­re­rin an einer ame­ri­ka­ni­schen Schu­le beschäf­tig war. Ihre Leh­rer­tä­tig­keit setz­te sie dann im Iran, in Chi­na und in Sau­di-Ara­bi­en fort.

Im Jahr 1981 kehr­te Leon nach Ita­li­en zurück und erklär­te es zu ihrer Wahl­hei­mat. Sie ließ sich in Vene­dig nie­der. Bis 1995 war sie als Pro­fes­so­rin für eng­li­sche und ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur an der Außen­stel­le der Uni­ver­si­tät Mary­land auf dem US-Luft­waf­fen­stütz­punkt Vicen­za tätig. Erst mit rund fünf­zig Jah­ren fing sie an zu schrei­ben. Und das eher zufäl­lig. Wäh­rend eines Besuchs im vene­zia­ni­schen Opern­haus La Fenice erei­fer­te sich ihr Beglei­ter: »Ich könn­te den Diri­gen­ten umbrin­gen!« Don­na Leon beru­hig­te ihn: »Ich erle­di­ge das für dich, aber in einem Roman.« Das Resul­tat war der Roman »Death at La Fenice«, der 1992 erschien. Ein Jahr spä­ter in deut­scher Über­set­zung als »Vene­zia­ni­sches Fina­le«. Bereits mit ihrem Erst­ling erziel­te Leon ihren lite­ra­ri­schen Durch­bruch; so wur­de sie mit dem japa­ni­schen Sun­to­ry-Preis geehrt.

Aus die­sem erfolg­rei­chen Auf­takt wur­de eine Rei­he, die im Jah­res­takt lite­ra­ri­schen Zuwachs bekam. Ihre Kri­mis erschei­nen seit­dem im Dio­ge­nes Ver­lag und erreich­ten stets Spit­zen­plät­ze in den inter­na­tio­na­len Best­sel­ler­li­sten. Die mei­sten ihrer Kri­mis spie­len in Vene­dig. Neben der span­nen­den Hand­lung und der Auf­lö­sung des Falls (meist Kor­rup­ti­on, Betrug oder Mafia­me­tho­den) baut Leon auch oft gesell­schafts­kri­ti­sche Töne in ihre Roma­ne ein. Die pri­va­te Fami­li­en­idyl­le ihres Kom­mis­sars bil­det dabei den wohl­tu­en­den Gegen­pol zu der kri­mi­nel­len Sei­te der Lagu­nen­stadt. Gewalt kommt in ihren Roma­nen sel­ten vor. »Mir geht es um die Auf­klä­rung, um die Dar­stel­lung der Zusam­men­hän­ge – nicht um Blut und sprit­zen­de Hirn­mas­se«, äußer­te sie ein­mal in einem Interview.

Seit Jah­ren hat Don­na Leon ihren festen Wohn­sitz in der Schweiz. Vene­dig stat­tet sie zwar regel­mä­ßig, meist aber nur noch kur­ze Besu­che ab. Sie kennt die Lagu­nen­stadt in und aus­wen­dig und muss für einen neu­en Roman nicht extra eine Tat­ort­be­sich­ti­gung vornehmen.

Leons Roma­ne wur­den bis­her in 35 Spra­chen über­setzt; auf ihren Wunsch hin jedoch nicht ins Ita­lie­nisch, damit die Vene­zia­ner, von denen sie ihre Geschich­ten und Ideen hat, wei­ter­hin unvor­ein­ge­nom­men mit ihr umge­hen. Sie möch­te eine von ihnen sein. Zur gro­ßen Popu­la­ri­tät – vor allem in Deutsch­land – tru­gen auch die bis­her 26 TV-Ver­fil­mun­gen bei. Seit 2000 ermit­tel­te Com­mis­sa­rio Bru­net­ti im Ersten Deut­schen Fern­se­hen. In den ersten vier Fäl­len der Rei­he wur­de der Ermitt­ler noch von Joa­chim Król ver­kör­pert; ab 2003 über­nahm Uwe Kockisch die Rol­le. Die letz­te Fol­ge wur­de am 25. Dezem­ber 2019 aus­ge­strahlt; aus ihrer Hand­lung ging jedoch nicht her­vor, dass die Rei­he endet.

Ihre Kri­mi-Rei­he hat Don­na Leon den­noch fort­ge­setzt. Com­mis­sa­rio Bru­net­tis neue­ster, ein­und­drei­ßig­ster Fall »Mil­de Gaben« beginnt zunächst recht harm­los. Über Vene­dig hat sich eben­falls die Ruhe der Pan­de­mie aus­ge­brei­tet. Die Tou­ri­sten blei­ben weg, Geschäf­te und Restau­rants sind geschlos­sen. Selbst die Straf­ta­ten sind auf einem Tiefst­stand. Da wird Bru­net­ti – natür­lich voll­stän­dig geimpft – von einer alten Bekann­ten, einer ehe­ma­li­gen Nach­bars­toch­ter, um einen Freund­schafts­dienst gebe­ten. Die­se macht sich ernst­haf­te Sor­gen um ihre Toch­ter und bit­tet den Kom­mis­sar, ver­deckt zu ermit­teln. Natür­lich ist Bru­net­ti hilfs­be­reit, doch wird die Toch­ter wirk­lich bedroht, oder sind es nur über­trie­be­ne müt­ter­li­che Befürch­tun­gen? Nach einem Ein­bruch in die Tier­arzt­pra­xis der Toch­ter stößt Bru­net­ti jedoch auf einen Sumpf von Schein­ge­schäf­ten, Unter­schla­gun­gen und Steu­er­hin­ter­zie­hun­gen. Nur lang­sam kom­men die Ermitt­lun­gen in Fahrt, doch wie so oft schon führt sei­ne Intui­ti­on Bru­net­ti schließ­lich zur Auf­lö­sung des Fal­les. Der Leser darf dabei jeden ein­zel­nen sei­ner Gedan­ken­gän­ge mitverfolgen.

Zu ihrem 80. Geburts­tag gibt Don­na Leon, deren Name übri­gens kein Pseud­onym ist, auch etwas aus ihrem Pri­vat­le­ben preis. In »Ein Leben in Geschich­ten« erzählt sie von den Sta­tio­nen ihres Lebens. Dabei kehrt sie weit zurück zu ihren Wur­zeln in New Jer­sey, wo sie sich an das Farm­le­ben der Groß­el­tern, ihren ersten Schul­tag, an die fami­liä­ren Weih­nachts­fei­ern oder ihre Teen­ager-Lie­be für klas­si­sche Musik erin­nert. Danach berich­tet sie unter »Drugs, Sex, and Rock ’n’ Roll« von ihren Erleb­nis­sen im Iran, den Gele­gen­heits­jobs in Chi­na oder von ihrem aka­de­mi­schen Jahr in Sau­di-Ara­bi­en. Eini­ge Geschich­ten sind Ita­li­en und der Schweiz gewid­met, wo sie z. B. in Vene­dig auf der Suche nach dem per­fek­ten Cap­puc­ci­no ist, oder wie sie im Gott­hard­tun­nel stets eine kri­mi­nel­le Fan­ta­sie beschleicht. Die auto­bio­gra­fi­schen Essays – kurz­wei­lig, humor­voll und ehr­lich – bewei­sen das bun­te Leben von Don­na Leon, Geschich­te für Geschich­te. Und sie gesteht, dass die Vor­stel­lung, sich mit acht­zig end­gül­tig an einem Ort nie­der­zu­las­sen und nur noch eine Sache zu tun, für sie über­haupt kei­nen Reiz hat.

Don­na Leon: Mil­de Gaben, Dio­ge­nes Ver­lag, Zürich 2022, 343 S., 25 €.
Don­na Leon: Ein Leben in Geschich­ten, Dio­ge­nes Ver­lag, Zürich 2022, 160 S., 22 €.