Das Militär im kapitalistischen Deutschland hat stets erheblichen Einfluss auf den Staatsapparat, speziell das Sicherheitssystem und die Ideologiefabrikation ausgeübt. Es fungiert als Staat im Staate, Schule der Nation. Militaristische Propagandisten loben die Bundeswehr als Instrument der Demokratie, den einzelnen Soldaten als einen Vertreter der »inneren Führung«, und bei »rechtsextremen Vorkommnissen« handele es sich stets um Einzelfälle. In der If Information für die Truppe – Zeitschrift für Innere Führung der Bundeswehr (4/17) wird »die Seele der Bundeswehr« auf den »Geist von Himmerod« zurückgeführt, der wirke »bis heute fort«. Das ist ein kaum verhülltes Bekenntnis zur Bundeswehr als Fortsetzerin der faschistischen Wehrmacht.
Das Bekenntnis kommt spät. Jahrzehntelang wurde in der Bundesrepublik die Himmeroder Tagung verschwiegen. Ganz anders in der DDR, wo am 11. August 1951 gemeldet wurde: »Der Nationalrat der Nationalen Front übergibt der Weltöffentlichkeit auf einer Pressekonferenz ein ›Weißbuch über die amerikanisch-englische Interventionspolitik in Westdeutschland und das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus‹« (Chronik der Arbeiterbewegung). In einem spannenden Krimi des DDR-Militärverlages aus dem Jahr 1975 mit dem Titel »Das unsichtbare Visier« wird geschildert, wie ein »Kundschafter des Friedens« die Tagung in einem Kloster ausspionierte. Auch ein Fernsehfilm entstand zum Thema der Wiederherstellung einer deutschen Wehrmacht, um »unter Führung der USA die Vormachtstellung in Europa« zu erlangen.
Im Eifelkloster Himmerod formulierten im Oktober 1950 ehemalige Generäle Hitlers – im Auftrag des Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU), aber in Widerspruch zum Grundgesetz – eine geheime Denkschrift zur Aufstellung und Ausrüstung einer neuen Wehrmacht für die BRD. Sie sollte nur nicht so heißen. Die Generäle, die bald zu den militärischen Gründern der Bundeswehr werden sollten, stellten klar: Wir machen nur mit, wenn die Bestrafung ehemaliger SS- und Wehrmachtsangehöriger wegen ihrer Kriegsverbrechen aufhört und diese Männer wieder in die Armee aufgenommen werden, sie rehabilitiert werden. Nicht ein einziger Wehrmachtssoldat, der zur Bundeswehr kam, wurde wegen seiner Kriegsverbrechen verurteilt. Die Bundeswehr war und blieb ein Hort der Nazis und Neonazis, die Justiz bewahrte sie vor Ermittlungen und Bestrafung.
So sorgte im hessischen Rotenburg die Staatsanwaltschaft Mitte der 1990er Jahre dafür, dass keinerlei Bestrafung eines Soldaten mit neofaschistischer Gesinnung in Erwägung gezogen wurde, der den jungen Antinazi Pjotr Kania auf offener Straße erstochen hatte. Straffrei blieb Oberst Georg Klein mit seinen über hundert unschuldigen Opfern am Kundusfluss. Er wurde später sogar General und einer der höchsten »Ausbilder«. »Lebenslänglich« bekam nach der Wende allerdings der DDR-Bürger Gerhard Bögelein, weil er im Kriegsgefangenenlager Klaipėda in Russland am Tod eines verhassten deutschen Menschenschinders und Kriegsrichters schuldig gewesen sein soll.
Noch heute gibt es Kasernen, deren Namen von der Wehrmacht hergeleitet werden. Der Bundeswehrverband hat einen Bildungswerk mit Namen »Karl-Theodor Molinari Stiftung«. Molinari war in Frankreich an Kriegsverbrechen beteiligt. Ein Todesurteil aus dem Jahre 1950 wurde nie aufgehoben.
Wie die Alten, so auch die Jungen. »Geh zur Bundeswehr oder Polizei« heißt es in einem Neonazi-Aufruf. »Junge Kameraden und Kameradinnen« in der Berufswahl sollten »eine Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei in Erwägung ziehen, mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen«. Denn: »Widerstand, der auf die Beseitigung eines volksfeindlichen Systems zielt, muss professionell geplant sein« (so Steffen Hupka in der NPD-Jugendzeitschrift Umbruch aus dem Jahr 1995). Der Aufruf war erfolgreich. Zahlreiche Anhänger des Neofaschismus gehörten und gehören der Bundeswehr an. Der kürzlich erfolgte Start des freiwilligen »Heimatschutzes« ist ein Geschenk an die Neonazis.
Der »Geist von Himmerod« wehte auch über der Armee der Einheit. Der stellvertretende Chef der Bundeswehr Ost, General von Scheven, hatte am 3. Oktober 1990 in Strausberg NVA-Offizieren klargemacht, wo es lang geht in der bundesdeutschen Wehr: »Die Leistungsfähigkeit ihrer Soldaten und ihrer Waffen soll nach unserer Überzeugung nicht hinter den Leistungen der Wehrmacht zurückstehen.« Genau 30 Jahre später sprach Heeresinspekteur General Alfons Mais Klartext: Das Heer müsse »kriegsbereit und siegesfähig« sein, das deutsche Militär müsse »letztendlich gewinnen können« (aus der Schrift: »Das Deutsche Heer im Lichte eingegangener Bündnisverpflichtungen«, Nov. 2020)
Die Bundeswehr marschierte in die DDR ein. Und so wie jede Behörde West zur Kolonialbehörde im Osten wurde, so wollte auch die West-Truppe nicht abseitsstehen. Die Gebirgsjäger der Bundeswehr bestanden darauf, aus den Alpen (bis zu 2900 m ü. M.) ins Erzgebirge nach Schneeberg (470 m) herabzusteigen. Schneeberg wurde dann oft im Zusammenhang mit »Vorkommnissen« genannt. Chef war General Reinhard Günzel, der später das berüchtigte Kommando Spezialkräfte mit aufbaute und stets bemüht war, die Wehrmacht als vorbildlich zu preisen.
Das Kommando Spezialkräfte KSK wurde 1996 gegründet, vor allem, um die Polizeieinheit GSG 9 zu ersetzen, die 1977 von einem arabischen Terrorkommando entführte Deutsche befreite. In einem Prozess gegen einen terrorverdächtigen KSK-Mann, der Unmengen von Waffen und Munition von Calw, dem Sitz des KSK, in seinen heimischen Garten nach Sachsen verbracht hatte, wurde ein mildes Urteil gesprochen. Der Mann habe »gestanden«, wurde ihm zugebilligt. Weitere Munitionsdiebstähle wurden vom KSK-General Markus Kreitmayr ganz ohne Bestrafung geklärt. Die Diebe sollten ihr Diebesgut anonym zurückgeben, was wohl auch einige taten. Andere wohl nicht. Allein zwischen 2017 und 2020 wurden 26 KSK-Angehörige aus dem Kommando entfernt. 20 Verdachtsfälle, darunter Verdacht auf Rechtsterrorismus, waren im März 2020 noch unerledigt (Süddeutsche Zeitung vom 29. März 21).
Zu einer neuen Teilstreitkraft gaben die Bundesministerien für Verteidigung und Inneres am 11. August 2020 eine gemeinsame Presseerklärung heraus: »Mit der Unterzeichnung der Gründungsurkunde ist der Startschuss für die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit ›Cyberagentur‹ gegeben worden. Dies ist (…) ein wichtiger Schritt zu mehr Technologie-Souveränität in der Cybersicherheit.« Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte: »Kernaufgabe der Cyberagentur ist es, die Entwicklung innovativer Technologien der Cybersicherheit voranzutreiben. Wir wollen damit auch unsere digitale Souveränität stärken.«
Die enge Verbindung des Innen- und Verteidigungsministeriums, des Militärs und der Polizei sowie der Geheimdienste, wie sie in der gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck kommt, sollte die Linke, nicht nur die LINKE, alarmieren. Die Rechtsentwicklung äußert sich heute weniger in der Entwicklung der extremen Rechten, sei sie parteiförmig oder bewegungsorientiert. Diese wird von der Regierungsseite sogar – wenn auch milde – bekämpft. Seehofer sieht die »größte Gefahr« im Rechtsextremismus, wie er immer wieder betont. Was er nicht sagt: Der Staat nimmt den Rechtsruck selbst in die Hand. Die geduldeten Fälle der Hilfen von Polizisten per Chatrooms und Munitionslieferungen für Terroristen sind erschreckend. Jährlich werden eintausend junge Menschen für den neuen »Heimatschutz« angeworben, sie sollen nur ein Jahr dienen – doch sie bleiben Reservisten. Reservisten sind es zumeist, die in der Pandemie im Gesundheitswesen halfen. Weil das Geld in das Militär und die Rüstung fließt, fehlt es im Gesundheitswesen.
Von Eich Kästner wird oft der Satz aus dem Jahr 1958 zitiert: »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.« Was besagt das für uns heute? Zwar bröckelt die deutsch-nationale, rassistische AfD ein wenig, was Wählerstimmen anbelangt. Aber es wächst ihr NS-Flügel. Und es wachsen rechte Bewegungen auf den Straßen und Plätzen.
Und es wächst der Militarismus. Der Weg nach ganz Rechts geht über den Staatsapparat, über die Armee, die Polizei. Aber wäre das so anders als zu Zeiten, da der Schneeball zur Lawine wurde?
Während ich diesen Beitrag schrieb, bekam ich Schwierigkeiten, die selbst mich, der ich seit Jahren als »Linksextremist« vom Inlandsgeheimdienst beobachtet werde, verblüfften. Mein Internetanschluss war acht Tage lang nicht erreichbar, und ich konnte nichts senden. Das galt auch für mein Netztelefon. Von dieser Sperre ist bei Redaktionsschluss auch das Adressbuch zum Netztelefon und zum Mobiltelefon betroffen, letzteres verstummte ganz. Freunde fragten mich: Gab es bei dir einen Cyberangriff. Ich antwortete: Das wird so sein.