Martin Luther predigte immer wieder: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat« (Römer 13,1). Zum Glück hielt er sich nicht daran gegenüber Papst und Kaiser, aber zum Unglück der Juden und aufständischen Bauern meinte er es ihnen gegenüber ernst: Unterwerft Euch der Gewalt der Obrigkeit.
Fünfhundert Jahre danach heißt derselbe Satz, gesprochen auch von christlichen Politikern: »Es besteht das Gewaltmonopol des Staates.« Das bedeutet, die Obrigkeit darf Gewalt gegen das Volk anwenden, das Volk sich aber nicht wehren. Das bedeutet ferner, dass im Grundgesetz Artikel 20 zwar steht: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.« Es steht dort aber nicht, wo die Gewalt dann hingeht. Zurzeit erleben wir den Staat als Befehlenden, nicht als einen um die Corona-Abwehrmaßnahmen um Verständnis ringenden.
Ganz konkret heißt ab dem 1. Januar in vielen nordrhein-westfälischen Städten, dass die Gewalt dann von Uniformierten ausgeht, die Zivilisten mit Tasern traktieren, verletzen, ja auch in Lebensgefahr bringen dürfen. In der Pandemie fiel diese Anordnung der Landesregierung nicht groß auf.
Was sind Taser? Das sind »Distanz-Elektroimpulsgeräte« der gleichnamigen Firma. Die Elektroschocker, die mit einer Spannung von 50 000 Volt arbeiten, können tödlich sein und schwerwiegende Verletzungen nach sich ziehen. Das ist eindeutig dokumentiert (Frankfurter Rundschau vom 15.11.20). Amnesty International informierte darüber, dass zwischen 2001 und 2008 allein in den USA 334 Menschen während oder nach dem Einsatz der Waffe gestorben sind. Mit den Elektroschockern können mit Drähten versehene Projektile über eine Entfernung von bis zu zehn Metern auf Menschen geschossen werden. Es sind zweifellos Folterinstrumente.
Was immer gemeldet wird über die Rechtsentwicklung, es ist immer etwas aus NRW dabei. Im Falle des Spezial-Einsatzkommandos SEK, das in Güstrow auf einem Schießplatz der Rechtsradikalen trainierte, sind beispielsweise Polizisten aus Ruhr-Städten zu nennen. Vor allem aus Dortmund. Und diese dürfen nun Gewalt gegen das Volk anwenden?
Am 14. Dezember meldete die Berliner Zeitung: »Den österreichischen Sicherheitsbehörden ist ein schwerer Schlag gegen ein grenzübergreifendes rechtsextremes Netzwerk gelungen. Bei mehreren Razzien wurden in der vergangenen Woche große Mengen an illegalen Waffen, Munition und Sprengstoff sichergestellt. Nach Aussagen eines der fünf in Österreich festgenommenen Tatverdächtigen waren die Waffen für deutsche Neonazis gedacht, die eine bewaffnete Miliz aufbauen wollten. Auch in der Bundesrepublik gab es Festnahmen. Einer (der Festgenommenen) soll ausgesagt haben, die Waffen wären für den geplanten Aufbau einer rechten Miliz in Deutschland gedacht gewesen.« Zu diesen Waffen zählen nun Taser.
In manchen Städten hat sich im Ringen gegen Neonazis eine durchaus konstruktive Zusammenarbeit von Polizei und Antifaschisten entwickelt. Verwiesen sei auf die Gemeinsamkeit gegen Dortmunder Naziläden, die es gab und die hoffentlich auch gegen den neuen Naziladen Thor Steinar an der Dortmunder Kuckelke geben wird. Dies wäre der einzige dieser Naziläden in Westdeutschland.
Aber derzeit nimmt die Dortmunder Polizei einen Spitzenplatz in der Repressionspolitik und -praxis ein. Eine empörte Bürgerin schrieb an die Medien der Stadt: »Es ist an Zynismus und abgrundtiefer Menschenverachtung nicht zu überbieten! Folterinstrumenten gleichkommende Waffen – Taser – gegen die Bevölkerung der Dortmunder Nordstadt einzusetzen, ist (…) ein Hinweis auf das völlige Versagen der Dortmunder Politik gegenüber der Lebenssituation der dort lebenden Menschen.«
Die Nordstadt Dortmunds befindet sich zwischen dem legendären Borsigplatz, Heimat des BVB, und dem Hafen. Den Dortmunder Norden prägen mit der höchsten Bevölkerungsdichte und über 73 Prozent Migrationsanteil auch die höchsten Werte im Bereich Arbeitslosigkeit, geringfügiger Beschäftigung und Wohnraumknappheit. Corona lässt den Stadtteil zum explosiven Hotspot werden. Nirgendwo in der Stadt sind die Lernbedingungen und Zukunftschancen für die Kinder aus großen Familien so schlecht wie in der Nordstadt. Hier wird Armut konzentriert und stigmatisiert. Die Bürgerin: »Es macht mich wütend und fassungslos. Nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus oder Investitionen ins Schulwesen werden hier forciert, nein bestenfalls Gentrifizierung, Förderung von Mietspekulation bzw. Verdrängung der Menschen aus der Nordstadt als Konzept der Armutsbekämpfung.«
Und nun noch dies: Die Menschen der Nordstadt als Versuchskaninchen für eine Waffe, die die Opfer lähmt, in einen Schockzustand versetzt oder bei entsprechenden Vorerkrankungen zum Tod führen kann. Der Protestbrief fragt: »Was wird hier geprobt? Das Aufbegehren gegen strukturelle Gewalt in diesem gettoisierten Stadtteil einzudämmen?«
Es ist nicht zu übersehen: Neben den alten rechten Gruppierungen, neben AfD und Hooligans gibt es inzwischen eine feste rechtsextreme Struktur im Beamtenapparat der Polizei und der Bundeswehr. Dies besonders im Ruhrgebiet, aber nicht nur dort.
Und diesem Apparat gegenüber, dieser Obrigkeit gegenüber sollen wir untertan sein? Nein, lieber Martin Luther und sehr geehrte Obrigkeit.