Am 13. März 1920 putschten ehemalige kaiserliche Militärs gegen die demokratische Regierung unter Friedrich Ebert. 1918 hatten sie abdanken müssen, waren aber kurz darauf von der SPD-Regierung zur Niederschlagung sozialistischer Aktivitäten wieder zurückgerufen worden. Drahtzieher des Putsches waren General von Lüttwitz und Wolfgang Kapp, Vorsitzender des ostpreußischen Landesverbandes der »Deutschen Nationalen Volkspartei« (DNVP), weshalb der Anschlag auf die Demokratie Kapp-Lüttwitz-Putsch genannt wird. Ziel war die Errichtung einer Scheindemokratie unter Führung ultrarechter Militärs.
Der schlecht vorbereitete Putsch scheiterte jedoch durch einen Generalstreik der Arbeiter schon nach fünf Tagen, aber er bewirkte in Kamen eine fast unglaubliche, zu Unrecht weitgehend vergessene Geschichte.
Wie in anderen Städten auch gab es in Kamen eine Einwohnerwehr, eine halboffizielle, bewaffnete Truppe mit polizeiähnlichen Aufgaben, die aber, anders als in anderen Städten, von sozialdemokratischen Arbeitern, vor allem Bergarbeitern, gebildet wurde. Ihr Anführer war der SPD-Stadtverordnete Bernhard Strelinski. Auf die Nachricht vom Putsch hin wurden von Mitgliedern der Einwohnerwehr wichtige Punkte der Stadt besetzt und am Bahnhof sechs Gewehre mit Munition beschlagnahmt.
Nun war in Lünen als Folge des Putsches ein Aktionsausschuss aus fünf Parteien zur Leitung der Stadt gegründet worden, und Generalleutnant von Watter, verantwortlich für die Truppen in Westfalen und Sympathisant der Putschisten, war der Meinung, dass dieser Ausschuss zu Unrecht bestehe und folglich aufgelöst werden müsse. Also schickte er 220 Mann des Husarenregiments 8 aus Paderborn unter Befehl des Hauptmanns von Manstein dorthin. Von Unna kommend sollten sie über Kamen nach Lünen vordringen.
Am 15. März gegen 19 Uhr traf ihr Erkundungswagen in Kamen ein. Als der Sicherheitsposten an der Stadtgrenze erkannte, dass es sich um ein Militärfahrzeug handelte, gab er ein Haltezeichen. Aber die Husaren beachteten weder Zeichen noch Halterufe, worauf der Posten sie mit einem Maschinengewehr beschoss. Drei der sieben Insassen des Wagens wurden schwer verletzt, einer starb noch in der Nacht. Die Husaren erwiderten das Feuer und verletzten den MG-Schützen, der ein paar Tage später starb. Die Schüsse alarmierten die Einwohnerwehr, die anrückte und den Erkundungstrupp überwältigte. Der rechtsradikale Putsch hatte in Kamen seine ersten Opfer gefordert.
Als wenig später die LKW-Kolonne der Husaren eintraf, hatte sich die Einwohnerwehr auf verblüffende Weise darauf vorbereitet. Sie hatten einfach die Bahnschranken heruntergelassen. Von Manstein, Hauptmann der Truppe, tobte vor Wut. Als er vom Schicksal seines Vortrupps erfuhr, ließ er einfach drei Neugierige verhaften und vor die Scheinwerfer des vorderen Lastwagens stellen. Strelinski kletterte zusammen mit einem zweiten Mann der Einwohnerwehr über die Bahnschranken und wollte von dem Husarenhauptmann wissen, ob die Truppe im Auftrage der Putschisten handele. Sollte das nicht der Fall sein, würde freie Fahrt durch Kamen gewährt werden. Aber von Manstein glaubte, Arbeitern keine Antwort schuldig zu sein und ließ die beiden unter Schlägen ebenfalls vor die Scheinwerfer stellen.
Das löste hektische Aktivitäten auf der Kamener Seite aus. Telefonisch wurden die Einwohnerwehren der Nachbarstädte alarmiert und um Hilfe gebeten. Noch im Laufe der Nacht versammelten sich 2200 bewaffnete Arbeiter in Kamen.
Währenddessen verhandelte Kamens Postdirektor mit den Husaren und erreichte nach langen Verhandlungen, dass die ersten drei Geiseln im Austausch gegen die gefangenen Husaren frei gelassen wurden. Im Laufe der Nacht ließ von Manstein auch Strelinski und seinen Kollegen frei, nachdem er ihnen das ehrenwörtliche Versprechen abgenommen hatte, für freien Durchzug am nächsten Morgen zu sorgen. Strelinski war wohl auch bereit, Wort zu halten, aber es war inzwischen zu viel geschehen. Es war geschlagen worden, und vor allem war Blut geflossen.
Der Bergkamener Lehrer Lehnemann, ebenfalls SPD, sprach in der Nacht noch einmal mit von Manstein, erhielt aber auf seine Frage nach dem Verhältnis der Truppe zu den Putschisten in Berlin die Antwort, dass ihn das nichts angehe. Deshalb gewann Lehnemann den Eindruck, es mit Putschtruppen zu tun zu haben. So kam es am 16. März 1920 zu jenem denkwürdigen Kampf am Kamener Bahndamm.
In den Morgenstunden heulten überall in der Stadt die Sirenen auf, das Zeichen zum Angriff der Arbeiter. Aus ihren Stellungen hinter dem Bahndamm, hinter Häuserecken und Mauern schossen sie auf die Husaren. Ein Problem war für sie, dass die Husaren das erste Haus vor den Bahngleisen, das einer Frau Kurmann gehörte, besetzt hatten. In Richtung Osten hatten sie dort Dachpfannen abgehoben und ein Maschinengewehr in Stellung gebracht. Von dort aus konnten sie das ganze Gelände bis zum Gehöft Volkermann, heute ein Altenheim, unter Beschuss nehmen. Lehnemann, Offizier im ersten Weltkrieg, erkannte die Gefahr. Unter Feuerschutz schlich sich einer seiner Leute aus dem Garten des Viehhändlers Leiffermann, den es damals dort gab, über die Gleise und zerstörte das MG-Nest durch einen gezielten Wurf mit einer Handgranate. Drei Husaren kamen dabei ums Leben. Nun konnten die Arbeiter den Ring um die Husaren schließen, die dann auch nach kurzer Zeit die weiße Fahne hissten. Als sich ihnen daraufhin Arbeiter näherten, nahmen sie feige das Feuer wieder auf, aber es half ihnen nichts mehr. Ihre Unterlegenheit war zu groß.
Auf Lastwagen soll die Einwohnerwehr unter Jubel der Kamener die gefangenen Husaren durch die Stadt kutschiert haben. Es war ein beachtenswerter Sieg für sie und für die Demokratie, der allerdings Tote gefordert hatte. Ein Etappensieg für das Scheitern des Putsches. Die Husaren wurden später nach Unna abgeschoben und von dort per Bahn zurück nach Paderborn transportiert.
Dass die Ebert-Regierung, gerade wieder im Amt, genau solche Truppen zurückrief, um kurz darauf die »Rote Ruhrarmee« in Pelkum vernichtend zu schlagen, ist ihrer Ansicht geschuldet, dass die Hauptgefahr für die Demokratie von links und nicht von rechts komme. Ein verhängnisvoller Fehler, wie dieses Land leidvoll erfahren musste.