Da ich ein politisch und am Gemeinwohl unseres Landes interessierter Bürger bin, habe ich beschlossen, zur Gesundung der Staatsfinanzen beizutragen. Anlass ist ein Hinweis durch die uns politisch Leitenden in den Medien, wir alle, wie es heißt, hätten über unsere Verhältnisse gelebt (wobei ich nicht so genau weiß, was diejenigen, die von »unseren« bzw. meinen Verhältnissen reden, damit meinen). Nun ist es mir gelungen, meinen Gürtel enger zu schnallen, das heißt ich habe ihn von 105 Zentimeter Länge auf 95 Zentimeter verkürzt. Der Gürtel sitzt jetzt auf dem sogenannten letzten Loch, aus dem manche Leute dann noch pfeifen können sollen. Mehr geht aus Alters- und medizinischen Gründen nicht, denn mein Hausarzt hat warnend seinen Finger erhoben und mir versichert, ein weiteres Loch zur Verkürzung zu bohren sei ernsthaft gesundheitsschädlich. Auch meine Krankenkasse protestierte, denn ich sei verpflichtet, mich um meine Gesundheit zu kümmern, um nicht die Gemeinschaft der Versicherten unnötig zu belasten. Zum ersten Mal habe ich übrigens als junger Mensch vom Gürtelengerschnallen gehört, als ein gewisser Ludwig Erhard Bundeskanzler war. Der hatte vorher als Wirtschaftsminister angeblich für das deutsche Wirtschaftswunder gesorgt, aber das Gürtelproblem wohl vergessen.
Was nun?
Ich esse nur noch die Hälfte und kaufe vorwiegend bei ALDI und NETTO, die aber, was die Behandlung ihrer Angestellten und den Bezug ihrer Waren betrifft, keinen allzu guten Ruf haben. Da unsere Gesellschaft in Deutschland dabei ist zu überaltern, wie man fast allen Medien entnehmen kann, möchte ich auch aus diesem Grund mein Scherflein zur Gesundung unserer Staatsfinanzen beitragen (meine eigenen Finanzen habe ich bisher in Ordnung halten können, ich bin nicht überschuldet). Meine Rente ist nicht sehr hoch, sodass ich damit den Sozialsystemen nicht allzu sehr zur Last falle. Da ich – wie empfohlen – privat zusätzlich vorgesorgt habe, wäre möglicherweise alles einigermaßen in Ordnung gewesen. Leider ist durch die Finanz-, Wirtschafts- und Systemkrise so einiges durcheinandergeraten, auch das Zinsniveau. Ich bekomme einen Zinssatz für meine Ersparnisse, der erheblich unter der Inflationsrate liegt. Zurzeit beträgt dieser Satz 0,01 Prozent. Das kann man wohl gar nicht mehr ausrechnen. Auch haben unsere Regierung und die Vereinigung der Versicherungen ziemlich klammheimlich eine Neuregelung beschlossen, wodurch meine Lebensversicherung mir wesentlich weniger als geplant auszahlen wird. Das bedeutet, der Gürtel wird mir automatisch durch die Verhältnisse enger geschnallt. Rettungsschirme gibt es, wie mir das Bundesamt für Finanzen mitteilte, nicht für Privatpersonen. Wo kämen wir da hin! Einmalige Sonderzahlungen nützen im Prinzip nichts, denn ich brauche jeden Monat eine Summe Geldes, die ausreicht. So aber werde ich automatisch ärmer gemacht und kann leider die Binnennachfrage nicht erhöhen. Deshalb werde ich in manchen Medien als geizig verschrien.
Medikamente und Beiträge für Krankenkassen werden stetig teurer. Genehmigt hat das der sogenannte Gesetzgeber, also unsere Vertreter, obwohl zurzeit drei Minderheitsparteien, die ich nicht gewählt habe, zusammen die Regierung bilden. Die Mehrheit des Volkes wollte es so. Man kann von Lemmingen allerdings keinen Verstand erwarten, obwohl die meisten Menschen, im Gegensatz zu den Lemmingen, lesen, hören und denken können sollten. Wie lange ich mir noch ein relativ normales Leben in diesem unseren Staat leisten kann, weiß ich nicht. Hartz IV und das Sozialamt sind keine verlockenden Angebote. Ich habe schon einmal einem Hartz-IV-Empfänger geholfen und kenne mich da ein wenig aus. Ich habe mein Auto abgeschafft, weil das einen unkalkulierbaren Kostenfaktor bedeutet. Allerdings werden die Monatsfahrkarten der öffentlichen Verkehrsmittel stetig teurer, die Leistungen schlechter. Ob wenigstens eine Art Sozialticket zustande kommt, ist noch offen. Die Leistungen der öffentlichen Verkehrsanbieter werden dadurch wohl nicht automatisch besser.
Da ich bei meinem Ableben nicht viel hinterlassen werde, weiß ich nicht, wozu es nötig ist, dass die mir gegen meinen Willen zugeteilte Identifikationsnummer zwanzig Jahre über meinen Tod hinaus ihre Gültigkeit behält. Dass sie auch ab der Geburt gilt, interessiert mich nicht, da es diese Regelung der Erfassung zum Zeitpunkt meiner Geburt in Nazideutschland noch nicht gab. Allerdings hatten die Nazis auch schon raffinierte Möglichkeiten der Erfassung, ihnen ist schon damals kaum jemand entgangen. Allzu weit in die Zukunft schauen möchte ich im Augenblick nicht. Das ist mir zu ungewiss – und wer kann das schon? Selbst die Prognos AG in der Schweiz ist in dieser Hinsicht sehr vorsichtig.
Wie ich gelesen habe, ist die nächste Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten und eine Gehaltserhöhung der Minister und Ministerinnen nebst Kanzler bereits von diesen selbst beschlossen worden.
Ich wünsche uns allen gut Loch und hoffe, dass die Maßnahmen greifen.