Ich wohne in einem Zipfel des Landes, das vor wenigen Wochen noch stolz war – kann man stolz darauf sein? –, die am geringsten mit Corona infizierte Bevölkerung zu beherbergen. In Bayern gab es längst hohe Zahlen.
Anfang November gab es den ersten Todesfall. Dann folgten fast hundert Infizierte in weniger als 70 Tagen. In der zweiten Woche des neuen Jahres hatten sich schließlich weit über 600 der rund hunderttausend Einwohner infiziert. Man stand an der Spitze des deutschen Infizierungsberges. Kann man stolz auf eine solche Position sein?
Zunächst also, im güldenen Herbst, war eine ganze Region scheinbar verschont geblieben. Man fragte sich dort: Muss man einen solchen Aufwand, von Mundschutz über Abstandhalten, gar bis zu Kontaktbeschränkungen, betreiben, wenn man nur ein paar Bruchteile von den Infektionen abbekommt?
Folglich zog ein Ex-Landrat aus der Region nach Berlin, um dort heftig querzudenken. Ein Hausarzt verharmloste die Gefahr mitten auf dem Kleinstadtmarkt. Überall wurden Zweifel an Alltagsmasken, an Abstand und Hygiene laut. Der »Maulkorb« wurde demonstrativ auf Halbmast getragen. Nachdem die Nachbarkreise schon heftig die Corona-Spaziergänger rügten, war man im bislang glücklichen Zipfel noch ganz lieb: Du! Du! Das darfst Du aber nicht machen.
Als der Landkreis schon auf dem deutschlandweiten Silberrang der Infizierungs-Hotspots lag, marschierten 40 mutige Corona-Leugner mitten durch die Kleinstadt, selbstredend unter Missachtung aller Infektionsschutzregeln. Mit farbechtdeutschen Plakaten erinnerten sie zugleich daran – immerhin eine Koinzidenz zum Pandemie-Geschehen –, dass im Landkreis bei der jüngsten Landtagswahl insgesamt 28,8 Prozent aller Wähler für AfD und NPD gestimmt hatten. Was dazu führte, dass erstmals eine Einheitsfront von AfD und CDU einen FDP-Ministerpräsidenten, wenn auch mit sehr geringer Haltbarkeitsdauer, wählte.
Wie hoch wird die Haltbarkeitsdauer beim Spitzenplatz der Infektionszahlen sein?