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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Freiheit der Presse

Die­ses Jahr ist Ita­li­en von der 41. auf die 58. Stel­le im World Press Free­dom Index abge­rutscht. Die­se Nach­richt macht natür­lich trau­rig, ist aber kei­ne gro­ße Über­ra­schung, wenn man sich den Jour­na­lis­mus und die Infor­ma­ti­ons­la­ge in Ita­li­en anschaut. Wie ich schon mal erzählt habe, sehe ich seit Anfang der Coro­na-Kri­se nicht mehr fern. Natür­lich nicht sofort, auch ich woll­te infor­miert sein und wis­sen, was los war. Wir waren alle durch Rat­lo­sig­keit und Angst erstarrt und ver­such­ten zu ver­ste­hen, wor­um es ging, und was zu tun wäre. Zuneh­mend jedoch wur­den die täg­li­chen Fern­seh­nach­rich­ten zu qua­si amt­li­chen Bul­le­tins, mit denen die Bevöl­ke­rung über die Anzahl der Kran­ken und Toten und die immer wie­der wech­seln­den Maß­nah­men infor­miert und instru­iert wur­de. Alle ande­ren The­men waren plötz­lich aus­ge­blen­det, und zu dem öffent­lich ein­zig ver­blie­be­nen The­ma (Coro­na) gab es vor allem Sta­ti­sti­ken und die Ver­kün­dung der nun abso­lut »zwin­gend erfor­der­li­chen« Schutzmaßnahmen.

Zwar gab es durch­aus Ver­su­che, über sol­che Maß­nah­men zu dis­ku­tie­ren, aber die wur­den schnell abge­bü­gelt. Was willst du groß dis­ku­tie­ren, wenn die Leu­te ster­ben, und man sich in einem Krieg befin­det? Es herrsch­te ein Krieg gegen das Virus, und um den zu »gewin­nen«, hilft kein Nach­den­ken, sind Zwei­fel sogar kon­tra­pro­duk­tiv. Zum Glück wur­de trotz­dem dis­ku­tiert, und es gab ent­ge­gen­ge­setz­te Fak­tio­nen. Die mei­sten waren für die Maß­nah­men, eini­ge weni­ge dage­gen. Die ersten waren die Guten, und die ande­ren waren die Bösen, Quer­den­ker, Ver­rück­te, Rechts­extre­mi­sten. Sie wur­den zu Fein­den, weil es im Krie­ge nur Freund oder Feind gibt.

Der Feind da drau­ßen war das Virus, aber in unse­rer Gesell­schaft wur­den unse­re Freun­de, Nach­barn, Kol­le­gen nun auch zu Fein­den, weil sie die Maß­nah­men in Fra­ge stell­ten und damit uns alle in Gefahr brach­ten. Das war eine har­te Zeit, und ich hof­fe, dass sie end­lich vor­bei ist, weil ich mei­ne Freun­de zurück­ha­ben möch­te. Wir waren doch auch vor­her längst nicht immer einer Mei­nung und haben gestrit­ten. War­um ist das nun ein Trennungsgrund?

Und sol­cher Kon­flikt »ums Gan­ze« geht lei­der wei­ter. Seit Ende Febru­ar sind wir in einen neu­en Krieg her­ein­ge­rutscht. Vie­le Leu­te ster­ben in der Ukrai­ne durch Putins Krieg, und wie­der haben wir in unse­rer Gesell­schaft Freun­de und Feinde.

Laut Umfra­gen sind 60 Pro­zent der Ita­lie­ner gegen die Waf­fen­lie­fe­rung an die Ukrai­ne und dafür, dass man sofort kon­kre­te Ver­hand­lungs­ver­su­che unter­neh­men müs­se. Im Fern­se­hen und in den mei­sten Medi­en hat aber die­se Mei­nung kei­ne gro­ße Stim­me. Der Pazi­fis­mus, auf den wir uns doch lan­ge Zeit alle irgend­wie eini­gen konn­ten, wird jetzt nur noch von eini­gen muti­gen Intel­lek­tu­el­len ver­tre­ten, die Bücher schrei­ben und in eini­gen unab­hän­gi­gen Medi­en ver­öf­fent­li­chen. Sie wer­den immer wie­der auch im Fern­se­hen zu Talk­shows ein­ge­la­den, wo sie aber nie­der­ge­met­zelt und als Putin­ver­ste­her abge­stem­pelt wer­den. Die­se Sen­dun­gen haben Erfolg, weil die Ita­lie­ner es anschei­nend lie­ben, wenn die Gäste der Talk­shows laut wer­den und sich strei­ten. Sie haben sicher auch die Funk­ti­on, zu demon­strie­ren, dass wir in einem demo­kra­ti­schen System leben, in dem unter­schied­li­che Mei­nun­gen »selbst­ver­ständ­lich« geäu­ßert wer­den dür­fen. Scha­de nur, dass die Pazi­fi­sten im Fern­se­hen in Wahr­heit kaum zu Wort kom­men, weil sie stän­dig unter­bro­chen und ange­grif­fen werden.

Seit Anfang des Krie­ges wer­den Listen von die­sen bösen Pazi­fi­sten in den gro­ßen Zei­tun­gen ver­öf­fent­licht. Es gibt »gute« Jour­na­li­sten, die ihre Zeit und Ener­gie dafür ein­set­zen, die inne­ren Fein­de unter uns zu fin­den und bekannt zu machen. Die­se Jour­na­li­sten publi­zie­ren ihre Listen in »guten« Zei­tun­gen wie Repubbli­ca oder Il Cor­rie­re del­la Sera. Vor ein paar Wochen hat eine die­ser Listen für gro­ße Auf­re­gung gesorgt. Il Cor­rie­re del­la Sera hat­te eine Liste mit Namen und Fotos von ita­lie­ni­schen Putin­freun­den ver­öf­fent­licht. Der Arti­kel beruft sich auf ein Doku­ment des »Copa­sir« (Comi­ta­to par­la­men­ta­re per la sicu­rez­za del­la Repubbli­ca), eines par­la­men­ta­ri­schen Komi­tees, des­sen Auf­ga­be in der Über­wa­chung der ita­lie­ni­schen Geheim­dien­ste besteht. Laut dem Arti­kel hat das Copa­sir her­aus­ge­fun­den, dass es einen Zusam­men­schluss von Intel­lek­tu­el­len, Influen­cern, Jour­na­li­sten gebe, die für Putin und Russ­land Pro­pa­gan­da machen. Die­se bösen Pazi­fi­sten wür­den im rich­ti­gen Moment ein­grei­fen, um Putins Poli­tik zu unter­stüt­zen und unse­re Regie­rung zu schwächen.

Das aber hat das Copa­sir mit­nich­ten her­aus­ge­fun­den und sogleich demen­tiert. Es han­de­le sich kei­nes­wegs um ein Netz von bezahl­ten Agen­ten von Putin, son­dern um Intel­lek­tu­el­len, die ihre Mei­nung äußern. Die Mei­nung kann gefal­len oder nicht, aber wir sind in einer Demo­kra­tie. Oder nicht?

Die Auf­re­gung und die Empö­rung waren groß, es wur­de viel dis­ku­tiert, und die Zei­tung wird von eini­gen der an die Pran­ger gestell­ten soge­nann­ten Putin­ver­ste­her ver­klagt. Der Arti­kel aller­dings bleibt im Netz, so wie der Ein­druck, dass man bes­ser auf­passt, was man sagt. Alles darf man nicht sagen, sonst ist man ein Feind!