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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Brut einer Eintagsfliege

Es war den Medi­en nur eine kur­ze Mel­dung wert: Der Bun­des­kanz­ler for­dert, dass das Han­dels­ab­kom­men CETA zwi­schen der EU und Kana­da nicht von allen EU-Staa­ten, son­dern nur von der EU an sich rati­fi­ziert wer­den soll. Dies kam irgend­wann Anfang Okto­ber, war sozu­sa­gen eine jour­na­li­sti­sche »Ein­tags­flie­ge«. Aber deren Kon­se­quen­zen könn­ten zu einem GAU für die Regie­run­gen aller betei­lig­ten Staa­ten wer­den. Denn die­se Kurz­mel­dung hat eine Vorgeschichte:

Herr Scholz reist bekannt­lich durch die Welt, um Gas zu besor­gen. Bei dem Ter­min in Kana­da ver­sprach er – viel­leicht als eine Art Gegen­lei­stung? – das seit 2017 teil­wei­se wirk­sa­me Abkom­men vor­an­zu­brin­gen. Die bis­he­ri­ge par­ti­el­le Umset­zung beinhal­tet bereits wesent­li­che Tei­le von CETA, jedoch nicht die Klau­seln des Inve­sti­ti­ons­schut­zes. Die­se sol­len also jetzt kom­plett umge­setzt wer­den. Inter­es­sant ist dabei der ver­trag­li­che Zusammenhang.

Im Ursprung die­ses Han­dels­ab­kom­mens zwi­schen der EU und Kana­da ging es um Han­dels­er­leich­te­run­gen, z. B. soll­ten die exor­bi­tan­ten Import-Zöl­le weg­fal­len (z. B. bei Käse aus der EU von 245 Pro­zent, auf kana­di­sches Rind­fleisch von 408 Pro­zent, laut Wiki­pe­dia). Dies wäre eigent­lich leicht zu regeln gewe­sen, denkt man. Aber aus die­sem Ansatz wur­de mehr. Seit 2009 wur­de ver­han­delt – nur im Gehei­men, ohne Offen­le­gung gegen­über den euro­päi­schen Par­la­men­ten. Als dann die ersten Eck­punk­te bekannt wur­den, war die Kat­ze aus dem Sack: Für den »Schutz« von Inve­sti­tio­nen des Pri­vat­ka­pi­tals soll­ten spe­zi­el­le Regeln gel­ten – kei­ne an par­la­men­ta­ri­sche Kon­trol­len gebun­de­ne Recht­spre­chung, son­dern die Ent­schei­dun­gen von Schieds­ge­rich­ten, die außer­halb der staat­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen Recht sprechen.

Die Per­so­nen die­ser Schieds­ge­rich­te sol­len von allen Ver­trags­par­tei­en benannt wer­den (sie­he auch Kapi­tel acht, Arti­kel 8.27 des deut­schen Ver­trags­tex­tes laut EU-Kom­mis­si­on). Das klingt nach Serio­si­tät, jedoch steckt noch mehr dahin­ter: Laut Wiki­pe­dia tref­fen damit die­se sozu­sa­gen »außer­halb des staat­li­chen Geset­zes­raums« agie­ren­den Schieds­ge­rich­te Ent­schei­dun­gen, die für die betref­fen­den Staa­ten bin­dend sind. Die­ser Sach­ver­halt hat schein­bar min­de­stens einen US-Völ­ker­recht­ler zu der Äuße­rung ver­an­lasst, dass damit die Poli­tik Instru­men­te schafft, um die bestehen­den demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren abzuschaffen.

Ich möch­te an die­ser Stel­le auch den Arti­kel 8.23 zitie­ren: »Der Inve­stor kann bei Ein­rei­chung sei­ner Kla­ge vor­schla­gen, dass nur ein ein­zi­ges Mit­glied des Gerichts mit dem Fall befasst wird. Der Beklag­te prüft einen sol­chen Vor­schlag wohl­wol­lend.« Fügt man bei­de Arti­kel zusam­men, kom­men zwangs­läu­fig Fra­gen auf:

Hat damit eine ein­zel­ne Per­son Ent­schei­dungs­ge­walt zugun­sten des pri­va­ten Klä­gers, die der beklag­te Staat nahe­zu wider­spruchs­los akzep­tie­ren muss – unter Umge­hung aller demo­kra­ti­schen Instru­men­te? Und wel­cher Staat bzw. wel­cher Poli­ti­ker wür­de nicht nur die­se Pra­xis aus­han­deln, son­dern frei­wil­lig – wie kürz­lich gesche­hen – sei­ne legis­la­ti­ven Mög­lich­kei­ten aus der eige­nen Hand und an die EU übergeben?

Aber dies ist nicht der ein­zi­ge unde­mo­kra­ti­sche Aspekt. Eben­so kön­nen die Arti­kel 8.6 und 8.7 zur Inlän­der­be­hand­lung und Meist­be­gün­sti­gung auch als Basis die­nen, um sei­tens der Fir­men gegen einen Ver­trags­staat um bes­se­re Inve­sti­ti­ons­be­din­gun­gen zu kla­gen; viel­leicht ist auch noch eine Ent­schä­di­gung für die beklag­te Ungleich­be­hand­lung raus­zu­ho­len… Aus den bis­he­ri­gen Dar­le­gun­gen wird bereits deut­lich, zu wes­sen Gun­sten die­se Klau­seln for­mu­liert wur­den und wer dabei die Ver­lie­rer sind.

Um es an einem mög­li­chen Bei­spiel zu demon­strie­ren: Die Chip-Her­stel­ler Sie­mens und AMD haben am Stand­ort Dres­den Staats- und Lan­des­hil­fen bekom­men, damit sank ihr Kapi­tal­auf­wand für die­se Pro­duk­ti­ons­stät­ten um ca. 30 Pro­zent. Will jetzt z. B. der Chip-Rie­se Intel (oder sei­ne kana­di­sche Toch­ter?) für 7 Mil­li­ar­den bei Mag­de­burg bau­en, könn­ten sie aus dem deut­schen Steu­er­auf­kom­men eine Sum­me von über 2 Mil­li­ar­den Euro – nein, nicht ver­han­deln, son­dern einklagen!

Inter­es­sant ist auch, dass ein­mal fest­ge­leg­te »Dere­gu­lie­run­gen und Pri­va­ti­sie­run­gen« nie mehr rück­gän­gig gemacht wer­den kön­nen. Dies betrifft in der BRD eine aktu­el­le Ent­wick­lung sehr mas­siv: Ver­schie­de­ne Kom­mu­nen möch­ten ihre Ener­gie­ver­sor­gung wie­der in eige­ne Hän­de neh­men; in Ber­lin ist die Ent­eig­nung gro­ßer Immo­bi­li­en­kon­zer­ne per Volks­ent­scheid befür­wor­tet wor­den. Die­se demo­kra­tisch legi­ti­men Hand­lungs­spiel­räu­me wären damit auf allen Staats­ebe­nen gekappt! (In Ber­lin wird die­se Pra­xis auch bereits »auf kal­tem Wege« durch­ge­setzt, indem die Umset­zung des Volks­ent­scheids ver­zö­gert wird.)

Ein wei­te­rer kri­ti­scher Aspekt folgt aus Arti­kel 8.40; Zitat aus­zugs­wei­se: »Ein Beklag­ter darf nicht als Ein­wand (…) gel­tend machen, dass (…) auf­grund eines Ver­si­che­rungs- oder Garan­tie­ver­trags (…) eine Ent­schä­di­gung bean­sprucht wird (…) das Gericht gibt einem sol­chen Vor­brin­gen nicht statt.« Es ist also durch­aus mög­lich, dass das kla­gen­de Unter­neh­men nicht nur vom beklag­ten Staat eine hohe Sum­me ein­for­dert, son­dern dazu noch eine ver­gleich­bar hohe Sum­me aus einer Aus­fall-Ver­si­che­rung ein­heimst – und wie­der ist ein dicker Pro­fit da; die Aktio­nä­re des Groß­ka­pi­tals sind zufrie­den; die ver­han­deln­den Fir­men­an­wäl­te krie­gen einen dicken Bonus und klet­tern die Kar­rie­re­lei­ter hoch!

Sicher sind für die Fach­leu­te noch wei­te­re »Stol­per­fal­len« in dem CETA-Ver­trags­text erkenn­bar; die auf­ge­zeig­ten Aspek­te sol­len zur Gesamt­be­trach­tung aus­rei­chend sein. Waren anfangs noch pro­mi­nen­te Stim­men gegen CETA laut­ge­wor­den (ein­schließ­lich des dama­li­gen EU-Kom­mis­si­ons­chefs Jun­cker), ist es momen­tan sehr still gewor­den – aktu­ell sind die Poli­ti­ker lei­der mit ande­ren Din­gen beschäf­tigt; viel­leicht hof­fen ver­schie­de­ne Kräf­te, dass damit das CETA-Abkom­men still und lei­se voll »durch­ge­winkt« wer­den würde.

Jetzt könn­te als Ein­wand kom­men, dass in die­sem Bei­trag nur das Nega­tiv-Sze­na­rio auf­ge­zeigt wird und kei­ne der posi­ti­ven Mög­lich­kei­ten. Genau das ist die Absicht – hat man schon ver­ges­sen, wie die Kraft­stoff-Her­stel­ler sich die Taschen füll­ten, als die Bun­des­re­gie­rung die Ben­zin­steu­er senk­te, und die End­kun­den, also wir, trotz­dem den hohen Preis bezah­len muss­ten? Und der­ar­ti­ge Prak­ti­ken sind ja seit Jahr­zehn­ten und welt­weit zu beob­ach­ten. Wer heu­te vom Groß­ka­pi­tal immer noch gute Absich­ten erwar­tet, ist des­sen Mei­nungs­ma­chern auf den Leim gegan­gen. Denn deren Ziel ist mit­nich­ten, sozi­al und demo­kra­tisch zu agie­ren (sie­he Pfi­zer-Ver­trä­ge für Coro­na-Impf­stof­fe), son­dern eine mög­lichst hohe Pro­fi­tra­te zu erzie­len – auch gegen die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit, wenn es »etwas bringt«.

Damit drän­gen sich vie­le Fra­gen auf: War­um set­zen sich die gewähl­ten Poli­ti­ker dafür ein? Wür­den sie damit nicht nur ihre Glaub­wür­dig­keit ver­lie­ren, son­dern auch ihre Posi­tio­nen, den Mini­ster­ses­sel, Büro und Body­guard? Oder ist ihre Zukunft schon ander­wei­tig »abge­si­chert« (denkt man an die vie­len Chef­ses­sel ehe­ma­li­ger Staats­se­kre­tä­re und Minister)?

CAMPACT und ande­re NGOs haben inten­siv über CETA und TTIP auf­ge­klärt – aber letzt­end­lich wird das The­ma in den öffent­lich-recht­li­chen Medi­en nur schwach behan­delt, und es geht schlicht unter neben Ukrai­ne-Krieg, selbst­ver­schul­de­ter Ener­gie­ver­knap­pung und Inflation.

Was aus mei­ner per­sön­li­chen Sicht ganz kri­tisch ist: Wer­den auf die­se Wei­se – um eine selbst­ver­schul­de­te Ener­gie­kri­se zu kom­pen­sie­ren – wesent­li­che demo­kra­ti­sche Instru­men­te der BRD unter­lau­fen – nicht vom Groß­ka­pi­tal oder des­sen Lob­by­isten, son­dern vom ober­sten Regie­rungs­ver­tre­ter, dem Ver­tre­ter einer Par­tei, die sich nicht nur als Volks­par­tei ver­steht, son­dern als DIE Par­tei für alle Werktätigen?