»DGB verliert rund 130.000 Mitglieder«, meldet das Handelsblatt. Ende 2021 gehörten nur noch gut 5,7 Millionen Menschen einer DGB-Gewerkschaft an. Zur Jahrtausendwende zählte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) noch 7,7 Millionen Mitglieder. »Corona ist der Feind der Mitgliederwerbung«, meint der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Zweifellos steht die Mitgliederschrumpfkur im Zusammenhang mit der Pandemie – aber vor allem mit der gewerkschaftlichen Positionierung in Corona-Zeiten, die bis heute von DGB-Vertretern nicht infrage gestellt wird. Um »die ohnehin angespannte Wirtschaft« nicht zu schwächen, »sollten Betriebe unter Wahrung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes geöffnet bleiben«, gab der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zu Beginn der Pandemie die Maxime vor. Und beschrieb damit die politische Zielsetzung von Bundesregierung und Kapitaleignern: Die Maschinen müssen laufen. Streiks wie in Italien für Gesundheitsschutz der Arbeiter in Pandemie-Zeiten sind für deutsche Gewerkschafter unvorstellbar.
Die eh schon seltenen Kontrollen zum Arbeitsschutz wurden in Pandemie-Zeiten noch weiter eingeschränkt. Regionale Gewerbeaufsichten und Berufsgenossenschaften schickten ihre Prüfer ins Homeoffice.
Die Regelung, Mund-Nase-Masken am Arbeitsplatz zu tragen, wenn Schutzabstände nicht eingehalten werden können, hat auch Folgen für die Gesundheit. Vor Ausbruch der Pandemie gab es eine klare Positionierung: KOBAS, der Koordinierungskreis für Biologische Arbeitsstoffe der gesetzlichen Unfallversicherung, empfiehlt eine maximale Tragedauer von zwei Stunden mit anschließender 30-minütiger Erholungsunterbrechung. Mit Einführung der Tragepflicht wurde diese Vorgabe wichtiger denn je – in der Praxis wurde sie jedoch totgeschwiegen. Auf öffentliche Kampagnen, diese bezahlten Arbeitsunterbrechungen zum Schutz der Beschäftigten durchzusetzen, verzichteten die Gewerkschaften.
Stattdessen folgte ein gemeinsamer Appell des DGB mit dem Bundespräsidenten und dem BDA, dem »Bundesverband der Arbeitgeberverbände«. »Leider erkranken bei uns im Land nach wie vor viel zu viele Menschen an Corona. Und die hohe Zahl der Menschen, die an dem Virus sterben, ist traurig und erschütternd«, erklärte Frank-Walter Steinmeier. Dies »veranlasst mich heute zu dem Schritt, gemeinsam mit dem Präsidenten der BDA und dem Vorsitzenden des DGB, an alle Menschen in Deutschland zu appellieren: Wir müssen auch die Kontakte – wo irgend möglich – am Arbeitsplatz reduzieren. Weniger ist mehr«, deshalb erfolge »unser gemeinsamer Aufruf an Unternehmen, Personalverantwortliche und Führungskräfte: Ermöglichen Sie das Arbeiten von zu Hause!«
Dieser Appell entpuppte sich schnell als reine Show-Veranstaltung, denn Konsequenzen hatte er keine: Weder wurde ein Gesetzesentwurf eingefordert, noch sorgten BDA und DGB für Tarifverträge zu Homeoffice mit Rechten auf Ausstattung und Entschädigungen für das Einrichten des Heimarbeitsplatzes.
Selbst offizielle Daten zum Infektionsgeschehen in den Betrieben forderten die Gewerkschaftsvorstände nicht ein. Dabei erwies sich »der Betrieb« durchaus als ernstzunehmender Infektionsort. Offizielle Statistiken des Robert-Koch-Instituts blieben zwar aus. Aber eine Untersuchung von Nico Dragano und Morten Wahrendorf, Medizinsoziologen an der medizinischen Fakultät und am Klinikum der Uni Düsseldorf, legt die Gefahren offen. Die Wissenschaftler hatten im Februar und März 2021 die Covid-Infektionen in der Bevölkerung im Erwerbsalter in 401 Kreisen mit den Daten zur Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftszweigen abgeglichen. Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang: »Kreise mit einem hohen Anteil Erwerbstätiger in der Produktion hatten und haben im Durchschnitt höhere Inzidenzen im Vergleich zu Kreisen mit einem weniger ausgeprägten Produktionssektor«, stellten die Forscher fest.
Das alles ist für die Kapitalseite kein Thema. Stattdessen loben sie die »enge Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft gerade in den schwierigsten Phasen der Corona Pandemie«, so Markus Wassenberg, Vorstand von »Heidelberger Druckmaschinen«.
Aber damit nicht genug. Kurz vor den nächsten Betriebsratswahlen setzen ABB und SAP »ein klares Zeichen«, meldet die IG Metall. Die Unternehmensvertreter appellieren an die Belegschaften, an den Betriebsratswahlen 2022 teilzunehmen. »Wir brauchen mehr junge Menschen, mehr Frauen, mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund in den Betriebsratsgremien«, fordert Cawa Younosi, Personalchef von SAP. Die Mitgliedschaft im Betriebsrat sei kein »Karrierekiller«. Und die Wahlbeteiligung habe eine hohe Bedeutung, ergänzt ABB-Vorstand Alexander Zumkeller.
Das Danaergeschenk wird dankend angenommen – der IG Metall-Sekretär Türker Baloglu lobt die Werbeoffensive der Unternehmen: »Es ist wichtig, dass das Vertrauen in die Arbeitnehmervertretung wieder wachsen kann.« Austritte wundern da kaum noch.