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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Deutsch-Deutsches

Die Fei­er­lich­kei­ten und Rück­blicke aus Anlass des 30. Jah­res­ta­ges der deut­schen soge­nann­ten Ver­ei­ni­gung sind ver­ebbt. Wie nun­mehr schon seit drei Jahr­zehn­ten hat das Ereig­nis die Mehr­heit der deut­schen Bevöl­ke­rung wohl nicht erreicht. Zumal der offi­zi­el­le Fei­er­tag auf einen ohne­hin arbeits­frei­en Sams­tag fiel. In Pres­se, Funk und Fern­se­hen wur­de dem Anlass des begrenz­ten Jubelns hin­ge­gen wie in jedem Jahr gro­ße Auf­merk­sam­keit gewidmet.

Und doch war es die­ses Mal etwas anders. Der Fokus lag in bis­lang unbe­kann­tem Aus­maß auf den Befind­lich­kei­ten der ost­deut­schen Bevöl­ke­rung. Ach ja, die­se aus der »Schock­star­re« – wie es Stef­fen Mau, Sozio­lo­gie-Pro­fes­sor an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät, nennt – erwa­chen­den Bei­getre­te­nen gibt es ja auch noch! Selbst damals am Über­ga­be- bezie­hungs­wei­se Über­nah­me­pro­zess betei­lig­te Poli­ti­ker geben zu, dass ihr Han­deln Pro­ble­me im Osten her­vor­ge­bracht hat, deren Aus­maß sie angeb­lich bis­lang nicht erahnt, schon gar nicht etwas davon gewusst haben. Eine erneu­te Wen­de scheint ein­ge­setzt zu haben. Nur die­ses Mal im Den­ken eini­ger West­po­li­ti­ker und so man­cher Jour­na­li­sten. Sogar der heu­ti­ge Bun­des­tags­prä­si­dent, der sei­ner­zeit den Eini­gungs­ver­trag qua­si mit sich selbst aus­han­del­te und der noch vor kur­zer Zeit mein­te, dass die Ossis zufrie­den sein müss­ten mit der Ver­ei­ni­gung, so wie sie gelau­fen ist, denn er habe vor dem Fall der Mau­er im Osten nur blas­se Men­schen gese­hen, gab jetzt in einem Inter­view mit dem Tages­spie­gel zu: »Das näch­ste Mal machen wir es bes­ser.« Ob er damit gemeint hat, dass eine Her­aus­lö­sung der ost­deut­schen Bun­des­län­der aus dem Repu­bliks­ver­band bes­ser orga­ni­siert sein wird? Oder hat er wei­te­re benach­bar­te Staa­ten oder Staa­ten­tei­le, die ver­ei­nigt wer­den möch­ten, im Blick? Auch im Sar­kas­mus befin­det sich immer ein Körn­chen von Wahrheit.

 

Media­ler histo­ri­scher Rückblick

Wie jedes Jahr waren die Fern­seh­pro­gram­me zur Zeit des ver­ord­ne­ten Jubi­la­ri­ums voll von Doku­men­ta­tio­nen und Spiel­fil­men zu The­men aus der DDR-Geschich­te. Über die Qua­li­tät muss man nicht unbe­dingt strei­ten. Viel­leicht wer­den die dies­jäh­ri­gen nach­denk­li­che­ren Töne in Bezug auf die Rea­li­tät der staat­li­chen Ver­ei­ni­gung auch auf die­sem Sek­tor jen­seits der medi­al offe­rier­ten Ost­al­gie und die ohne­hin von eini­gen Zeit­hi­sto­ri­kern und Sozio­lo­gen inzwi­schen gefor­der­te Revi­si­on der Bewer­tung der DDR-Geschich­te ent­spre­chen­de Reak­tio­nen hervorrufen.

Ein abend­fül­len­der Fern­seh­film am 3. Okto­ber fiel aus den vie­len DDR-Geschichts-Rück­schau­en her­aus: »Der Baa­der Mein­hof Kom­plex« unter der Regie von Uli Edel aus dem Jah­re 2008. Wie schon aus dem Titel her­vor­geht, geht es hier­in um ein Kapi­tel west­deut­scher Geschich­te, näm­lich um die ter­ro­ri­sti­schen Akti­vi­tä­ten der Roten Armee Frak­ti­on (RAF), aber auch um die poli­ti­schen Hin­ter­grün­de, die dazu füh­ren konn­ten. Auf einen Aspekt, auf den im Film nicht ein­ge­gan­gen wur­de, der jedoch mich als Afri­ka­hi­sto­ri­ker inter­es­siert, sei hier verwiesen.

 

Ein unbe­kann­tes Kapi­tel deutsch-deut­scher Zusammenarbeit

Bekannt ist, dass in kaum noch zu über­blicken­dem Umfang Lite­ra­tur pro­du­ziert wur­de, in der der DDR Unter­stüt­zung des inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus vor­ge­wor­fen wird, oft exem­pli­fi­ziert an der Unter­stüt­zung der RAF-Aus­stei­ger in der DDR. Inzwi­schen darf vor­aus­ge­setzt wer­den, dass die Kennt­nis über den Auf­ent­halt der ehe­ma­li­gen bun­des­deut­schen Ter­ro­ri­sten, die der Gewalt abge­schwo­ren hat­ten und in der DDR unter Beob­ach­tung des Mini­ste­ri­ums für Staats­si­cher­heit (MfS) stan­den, dem Bun­des­kanz­ler sowie den BRD-Geheim­dien­sten über­mit­telt wor­den war. Immer­hin hat­te nach­weis­lich der DDR-Staats- und Par­tei­chef sei­nen hoch­ran­gi­gen Besu­cher, den Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt, 1981 dar­über infor­miert, und von­sei­ten US-ame­ri­ka­ni­scher Geheim­dien­ste gab es eben­sol­che Infor­ma­tio­nen an die west­deut­schen Partnerdienste.

Das fol­gen­de Bei­spiel kann bele­gen, dass die Poli­tik der DDR in Bezug auf Ter­ro­ris­mus das Gegen­teil beinhal­te­te von dem, was man ihr nach ihrem Ende in die­ser Fra­ge vor­ge­wor­fen hat.

Als im Okto­ber 1977 ein Ter­ror­kom­man­do die Luft­han­sa-Maschi­ne »Lands­hut« auf dem Flug von Mal­lor­ca nach Frank­furt am Main kaper­te und von der deut­schen Bun­des­re­gie­rung die Frei­las­sung von ver­ur­teil­ten RAF-Mit­glie­dern aus der Haft ver­lang­te, fand eine lan­ge geheim gehal­te­ne deutsch-deut­sche Zusam­men­ar­beit zur Befrei­ung der Gei­seln statt. Denn die Maschi­ne hat­te meh­re­re Flug­hä­fen ange­flo­gen, dar­un­ter auch die jeme­ni­ti­sche Haupt­stadt Aden. Die Regie­rung Jemens ver­wei­ger­te die Lan­de­er­laub­nis und ließ die Lan­de­bah­nen blockie­ren. Die Maschi­ne ging neben der Piste nie­der, weil sie sonst wegen Treib­stoff­man­gels abge­stürzt wäre. Nach dem Auf­tan­ken flog sie weiter.

Die Bun­des­re­gie­rung war mit Bekannt­wer­den der Ent­füh­rung der Luft­han­sa-Maschi­ne »Lands­hut« besorgt und ner­vös, da Über­le­gun­gen, eine gewalt­sa­me Befrei­ung der Gei­seln in Ita­li­en, Zypern oder der Volks­de­mo­kra­ti­sche Repu­blik Jemen (VRJ), die von einer sich zum Mar­xis­mus beken­nen­den Ein­heits­par­tei regiert wur­de, durch­zu­füh­ren, von den dor­ti­gen Regie­run­gen abge­lehnt wor­den waren. Dar­über infor­mier­te das MfS die Par­tei- und Staats­füh­rung der DDR.

In der Haupt­stadt Soma­li­as, in Moga­di­schu, wur­de das Flug­zeug letzt­lich von der bun­des­deut­schen Spe­zi­al­ein­heit GSG 9 gestürmt, die Gei­seln wur­den befreit und die Ter­ro­ri­sten erschos­sen. Das sind die bekann­ten Fak­ten. Weit weni­ger bekannt ist die Tat­sa­che, die der letz­te SED-Chef Egon Krenz vor eini­gen Jah­ren der Öffent­lich­keit zur Kennt­nis gab, näm­lich, dass die DDR einen wesent­li­chen Anteil an der Befrei­ung der Gei­seln hat­te. Als die »Lands­hut« aus Treib­stoff­man­gel zwangs­wei­se in Aden nie­der­ging, schick­te Erich Hon­ecker den DDR-Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster, Armee­ge­ne­ral Heinz Hoff­mann, nach Jemen. Er wur­de bei der Regie­rung vor­stel­lig, da die DDR gute Bezie­hun­gen zur VRJ und zur regie­ren­den Jeme­ni­ti­sche Sozia­li­sti­sche Par­tei unter­hielt. Krenz berich­te­te, dass es »beson­de­ren Ein­druck« mach­te, wenn »ein Armee­ge­ne­ral in Aden erschien«. Aden wie­der­um hat­te gute Bezie­hun­gen zur Regie­rung in Soma­lia. »Hoff­mann sorg­te dafür, dass der von Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt ent­sand­te Staats­se­kre­tär Hans-Jür­gen Wisch­new­s­ki und die GSG 9 in Soma­lia ein­ge­las­sen und von Moga­di­schu Pro­ku­ra zum selb­stän­di­gen Han­deln erhiel­ten. Ohne den Ein­satz der DDR und ihres Ver­tei­di­gungs­mi­ni­sters hät­te weder Wisch­new­s­ki noch die Ein­satz­grup­pe ope­rie­ren können.«

Nach der erfolg­rei­chen Ope­ra­ti­on bedank­te sich Schmidt bei Hon­ecker und der bun­des­deut­sche Außen­mi­ni­ster Hans-Diet­rich Gen­scher bei sei­nem DDR-Kol­le­gen Oskar Fischer. Egon Krenz füg­te hin­zu: »Die Ost-West-Aus­ein­an­der­set­zung ist doch angeb­lich seit 1990 zu Ende. Da könn­te man so etwas, wenn auch nicht an die gro­ße Glocke hän­gen, aber doch der Voll­stän­dig­keit hal­ber in die Geschichts­bü­cher schrei­ben: Die DDR zeig­te sich bei der Ter­ror­ab­wehr mit der Bun­des­re­pu­blik soli­da­risch. Sie unter­stütz­te nicht, wie immer unter­stellt, inter­na­tio­na­le Ter­ro­ri­sten, son­dern sie wehr­te die­se gemein­sam mit der Bun­des­re­pu­blik ab.« (Diet­her Dehm (Hg.): »›Ich will hier nicht das letz­te Wort‹: Heinz Rudolf Kun­ze und Egon Krenz im Gespräch«, Ber­lin 2016, S. 84 – 85)

In den zur Flug­zeug­ent­füh­rung über­lie­fer­ten Akten im Archiv des Bun­des­be­auf­trag­ten für die Sta­si-Unter­la­gen fin­det sich über die­se Hil­fe kei­ne Infor­ma­ti­on. Hin­ge­gen, so ist aus einer Publi­ka­ti­on des Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­am­tes der Bun­des­re­gie­rung zu ent­neh­men, hat­te der Bun­des­kanz­ler am Mon­tag, dem 17. Okto­ber 1977, um 8.10 Uhr, ein Gespräch mit dem DDR-Bot­schaf­ter in Bonn. War­um wohl?

Der Spie­gel erwähn­te in einer aus­führ­li­chen Dar­stel­lung über die Gei­sel­be­frei­ung in Soma­lia spä­ter kurz, dass der DDR-Außen­mi­ni­ster der BRD-Regie­rung diplo­ma­ti­sche Ver­mitt­lung ange­bo­ten hat­te (Heft 44/​1977). Und auch das Neue Deutsch­land reich­te sei­nen Lesern etwas über eine offi­zi­el­le Ver­laut­ba­rung wei­ter, die in Bonn Jour­na­li­sten zu dem Vor­gang mit­ge­teilt wor­den war: »BRD-Regie­rungs­spre­cher Böl­ling äußer­te sich … mehr­fach vor der Pres­se zur Situa­ti­on und zu den Umstän­den, die zur Befrei­ung der 86 Flug­zeug­insas­sen geführt hat­ten. Böl­ling erwähn­te dabei die kon­struk­ti­ve Hal­tung der DDR und ihre Bereit­schaft, an der Ret­tung von Men­schen­le­ben mit­zu­wir­ken.« (19.10.1977)

Etwas spä­ter war in dem SED-Zen­tral­or­gan unter Beru­fung auf eine Mel­dung der US-ame­ri­ka­ni­schen Nach­rich­ten­agen­tur AP zu lesen: »Wie [Bun­des­kanz­ler – UvdH] Schmidt erklär­te, gilt sein beson­de­rer Dank neben Soma­lia Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich, den USA, Grie­chen­land, Sau­di-Ara­bi­en, der UdSSR und der DDR.« Erläu­ternd heißt es in dem Arti­kel: »Die Regie­rung der DDR hat­te ihrem Bot­schaf­ter in Aden ent­spre­chen­de Auf­trä­ge erteilt.«

Viel­leicht könn­ten neben den Kon­fron­ta­tio­nen, die die Bezie­hun­gen bei­der Staa­ten zwei­fels­frei präg­ten, auch ein­mal The­men (sei­en sie auch noch so epi­so­den­haft ver­lau­fen) der Zusam­men­ar­beit und Hil­fen in der Not vor dem Fall der Mau­er beson­ders in den über­see­ischen Regio­nen der Welt im Mit­tel­punkt der For­schun­gen, der öffent­li­chen Wahr­neh­mung ste­hen. Es gibt sie, wenn man nach­gräbt. Sei­en es deutsch-deut­sche Skat­spie­le unter Ent­wick­lungs­hel­fern in Tan­sa­nia oder die Hil­fe bun­des­deut­scher Diplo­ma­ten bei der Auf­klä­rung des Todes des DDR-Bot­schaf­ters 1979 in Uganda.