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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Zwei-Prozent-Deal

Wie lan­ge Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er das neue Amt der Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin beklei­den wird, hängt nicht so sehr davon ab, wie sich der Streit in der Gro­ßen Koali­ti­on über die künf­ti­gen Rüstungs­aus­ga­ben ent­wickelt, son­dern wie CDU und SPD bei den bevor­ste­hen­den Land­tags­wah­len in drei ost­deut­schen Bun­des­län­dern abschnei­den. Geht es wei­ter berg­ab mit ihnen, wer­den sie wohl in den sau­ren Apfel einer vor­ge­zo­ge­nen Neu­wahl des Bun­des­ta­ges bei­ßen müs­sen. Jeden­falls wer­den die Kar­ten dann neu gemischt.

Ob die Nach­fol­ge­rin Ursu­la von der Ley­ens mit ihrem Behar­ren auf einer Erhö­hung des Mili­täre­tats einen guten Ein­druck bei der Bun­des­wehr und der deut­schen Rüstungs­in­du­strie machen woll­te, spielt inso­fern kei­ne gro­ße Rol­le. Der kom­mis­sa­ri­sche Vor­sit­zen­de der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on, Rolf Müt­zenich, hat die neue Mini­ste­rin bereits sanft, aber nach­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ihr Ziel, die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben auf zwei Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts zu stei­gern, wenig Aus­sicht auf Erfolg hat und vom Koali­ti­ons­ver­trag auch nicht gedeckt ist.

Was es mit dem Zwei-Pro­zent-Deal in Wirk­lich­keit auf sich hat, ist den wenig­sten bewusst. Ent­ge­gen der land­läu­fi­gen Mei­nung hat er ursprüng­lich nichts mit der Krim und dem Gesche­hen in der Ost­ukrai­ne und einem expli­zi­ten Drän­gen der USA zu tun, son­dern ist ein Neben­pro­dukt der 2002 auf dem NATO-Gip­fel in Prag beschlos­se­nen west­li­chen Ein­däm­mungs­po­li­tik gegen­über Russ­land. Damals wur­den die bal­ti­schen Staa­ten, Bul­ga­ri­en, Rumä­ni­en und die Slo­wa­kei ein­ge­la­den, Mit­glied der NATO zu wer­den. Bedin­gung sei gewe­sen, dass sie »genü­gend Res­sour­cen« in die Ver­tei­di­gung inve­stie­ren, und zwar im Umfang von jeweils zwei Pro­zent des eige­nen Brut­to­in­lands­pro­duk­tes. Der Gerech­tig­keit hal­ber soll­ten die­ses Ziel auch jene Staa­ten anstre­ben, die bereits der NATO ange­hör­ten, so Sil­via Stö­ber in tagesschau.de.

Bereits vor Beginn der Kon­fe­renz bezeich­ne­te NATO-Gene­ral­se­kre­tär Geor­ge Robert­son den Gip­fel in Prag als »histo­ri­sche Weg­mar­ke«. Ähn­lich wie der bri­ti­sche Labour-Poli­ti­ker äußer­te sich der Vor­sit­zen­de des Mili­tär­aus­schus­ses der NATO, der deut­sche Gene­ral Harald Kujat. Er sah das Bünd­nis »am Schei­de­weg«. In Prag wur­de näm­lich die fol­gen­schwe­re Ost­erwei­te­rung der NATO und die Auf­stel­lung einer NATO-Inter­ven­ti­ons­trup­pe beschlos­sen. Tobi­as Pflü­ger von der Infor­ma­ti­ons­stel­le Mili­ta­ri­sie­rung e.V. schrieb damals, der Pra­ger Gip­fel wer­de für Deutsch­land wohl bedeu­ten, dass Zusa­gen zur Erhö­hung des Mili­tär­haus­halts gemacht und Prä­ven­tiv­krie­ge künf­tig zur deut­schen Poli­tik gehö­ren wür­den (https://www.imi-online.de/).

Auf dem NATO-Gip­fel vom 4. und 5. Sep­tem­ber 2014 in Newport/​Wales wur­de das Zwei-Pro­zent-Ziel bekräf­tigt. In dem ent­spre­chen­den Beschluss hieß es, die NATO-Staa­ten ziel­ten dar­auf ab, »sich inner­halb von zehn Jah­ren auf den Richt­wert von zwei Pro­zent zuzu­be­we­gen« und min­de­stens 20 Pro­zent davon in »neu­es Groß­ge­rät ein­schließ­lich damit zusam­men­hän­gen­der For­schung und Ent­wick­lung« zu inve­stie­ren, also der Rüstungs­in­du­strie neue Auf­trä­ge zu beschaf­fen. Für Deutsch­land bedeu­tet dies nach Medi­en­be­rich­ten eine Ver­dopp­lung der Mili­tär­aus­ga­ben bis 2024. Das ergä­be – abhän­gig von der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung – einen Betrag von 60 bis 80 Mil­li­ar­den Euro. Der Prä­si­dent der Bun­des­aka­de­mie für Sicher­heits­po­li­tik, Karl-Heinz Kamp, nann­te die zwei Pro­zent ange­sichts die­ser Dimen­si­on eine »hoch­po­li­ti­sche Zahl«.

Ob sich Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er des­sen bewusst war, als sie sich zu dem Zwei-Pro­zent-Ziel bekann­te, kann dahin­ge­stellt blei­ben. Erin­nert wer­den soll­te an die­ser Stel­le an eine Über­schrift des Han­dels­blat­tes vom 21. Juni 2014, knapp drei Mona­te vor dem NATO-Gip­fel in Wales, die da lau­te­te: »Kri­se der Rüstungs­in­du­strie – EUROPAS KRIEGSMÜDIGKEIT IST SCHLECHT FÜRS GESCHÄFT – Die Bran­che rech­net mit neu­en Auf­trä­gen durch die Ukraine-Krise«.