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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Tanker fährt unbeirrt auf die Eisberge zu

In ganz Deutsch­land feh­len Schu­len oder war­ten auf ihre Sanie­rung, auch in Ber­lin. Seit über drei Jah­ren wird dort an einer Kon­struk­ti­on geba­stelt, die schon wegen ihrer Grö­ßen­ord­nung von ursprüng­lich 5,5 Mil­li­ar­den Euro her­aus­sticht. Die Ber­li­ner Bezir­ke sol­len das Eigen­tum an inzwi­schen 43 Schu­len an die lan­des­ei­ge­ne, aber in pri­va­ter Rechts­form geführ­te Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft Howo­ge GmbH abtre­ten, damit die­se sie baut oder saniert und an die Bezir­ke ver­mie­tet. Dafür erhält die Howo­ge GmbH ein Erb­bau­recht für 37 Jah­re, das sie rein recht­lich auch ver­kau­fen oder mit Schuld­ti­teln bela­sten darf. Zu Beginn der Pla­nung, 2017, soll­te die Erb­pacht für die Howo­ge übri­gens für 25 Jah­re gel­ten. Die pri­va­ti­sie­rungs­kri­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on Gemein­gut in Bür­ge­rIn­nen­hand (GiB) warnt seit Jah­ren vor dem Vor­ha­ben, inzwi­schen hat sich der Ber­li­ner Rech­nungs­hof voll­um­fäng­lich der Kri­tik ange­schlos­sen. War­um wählt eine rot-rot-grü­ne Koali­ti­on eine solch merk­wür­di­ge Kon­struk­ti­on, deren Vor­be­rei­tung allein mitt­ler­wei­le schon drei Jah­re in Anspruch genom­men hat?

Die Begrün­dung ist schlicht: Land und Bezir­ke könn­ten die für Neu­bau­ten und Sanie­run­gen nöti­ge Gesamt­sum­me nicht mehr über den regu­lä­ren Haus­halt auf­brin­gen, und das Kre­dit­auf­nah­me­ver­bot (vul­go »Schul­den­brem­se«) ver­weh­re zusätz­li­che Kre­di­te. Des­halb sol­le ein Teil der Neu­bau­schu­len sowie alle Groß­sa­nie­run­gen über Kre­di­te der Howo­ge finan­ziert wer­den, die nicht unter die öffent­li­che Ver­schul­dung fal­len, für die aller­dings die Bezir­ke über die jahr­zehn­te­lan­ge Zah­lung von Mie­ten für die Schu­len geradestehen.

Die lin­ken Ver­tei­di­ger des Pri­va­ti­sie­rungs­mo­dells lie­ben nach eige­ner Aus­sa­ge die Kon­struk­ti­on nicht (so bei der Ver­an­stal­tung der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung im August 2018), hal­ten sie aber »aus Not­wehr« gegen das Ver­schul­dungs­ver­bot ange­sichts unzu­rei­chen­der staat­li­cher und kom­mu­na­ler Ein­nah­men für alternativlos.

Das wür­de aber als Begrün­dung nicht rei­chen, weil im Koali­ti­ons­ver­trag aus­drück­lich fest­ge­legt wur­de: »Die Koali­ti­on schließt beim Neu­bau jede Form von Public Pri­va­te Part­ner­ship aus.«

Die­se Hür­de hat man dadurch »aus­ge­räumt«, dass man die Kon­struk­ti­on der soge­nann­ten Ber­li­ner Schul­bau­of­fen­si­ve (BSO) über eine öffent­lich-öffent­li­che Part­ner­schaft (ÖÖP) mit der Howo­ge GmbH als »kei­ne Pri­va­ti­sie­rung« dar­stellt, schließ­lich befin­de sich die Howo­ge GmbH im Eigen­tum des Lan­des Ber­lin. Damit behal­te die öffent­li­che Hand die Kon­trol­le und garan­tie­re für Trans­pa­renz. Wenn das stim­men wür­de, könn­te man sich zurück­leh­nen, hät­te aber immer noch das Pro­blem der ein­ge­schränk­ten poli­ti­schen Ein­fluss­nah­me­mög­lich­kei­ten auf eine pri­vat­recht­lich ver­fass­te Gesellschaft.

Über­ra­schend ist die­se Argu­men­ta­ti­on nicht zuletzt des­halb, weil es unter lin­ken Kri­ti­ke­rIn­nen bis heu­te Kon­sens ist, die 2017 in einem umfang­rei­chen Geset­zes­pa­ket beschlos­se­ne und 2018 erfolg­te Grün­dung der Auto­bahn-GmbH als zumin­dest for­mel­le Pri­va­ti­sie­rung zu bezeichnen.

Zwei­fel am Vor­ha­ben las­sen sich nicht unter­drücken. Was bewegt Kri­ti­ker wie GiB mit der Volks­in­itia­ti­ve »Unse­re Schu­len« dazu, viel Zeit und Ener­gie dar­auf zu ver­wen­den, 30.000 Unter­schrif­ten zu sam­meln, um eine öffent­li­che Anhö­rung im Abge­ord­ne­ten­haus zu errei­chen und mit einer 100-sei­ti­gen Stel­lung­nah­me das Schwei­gen aufzubrechen?

Eine Ant­wort liegt in den Erfah­run­gen, die kri­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen in jahr­zehn­te­lan­gen und immer ähn­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen gewon­nen haben. Die Déjà-vu-Ereig­nis­se rei­chen von unzäh­li­gen Pro­jek­ten öffent­lich-pri­va­ter Part­ner­schaf­ten (ÖPP), die im Vor­feld schön­ge­rech­net wur­den, von Toll Coll­ect bis hin zu den Rechts­strei­tig­kei­ten um einen ÖPP-Abschnitt der Auto­bahn A1, über Cross-Bor­der-Lea­sing bis hin zu Pro­jek­ten wie Stutt­gart 21 und dem Ber­li­ner Flug­ha­fen BER.

Letz­te­rer drängt sich nach nur drei Jah­ren »Schul­bau­of­fen­si­ve« als abschrecken­des Bei­spiel förm­lich auf, sowohl hin­sicht­lich des lan­gen Rea­li­sie­rungs­zeit­raums als auch in Bezug auf die Ent­wick­lung der Kosten.

»Howo­ge-Schul­sa­nie­rung ver­ur­sacht Kosten­ex­plo­si­on und zehn Jah­re Bau­ver­zö­ge­rung«, über­schrieb GiB am 24. Novem­ber eine Pres­se­er­klä­rung. In nur zwei­ein­halb Jah­ren Pla­nungs­pha­se stieg das Volu­men für die der Howo­ge zuge­dach­ten Schul­sa­nie­run­gen um 460 Pro­zent – von 198 Mil­lio­nen Euro auf aktu­ell 913 Mil­lio­nen Euro. Dabei lie­gen die von der Howo­ge pro­gno­sti­zier­ten Kosten pro Schul­platz fast beim Fünf­fa­chen des bun­des­wei­ten Durch­schnitts: Sie betra­gen 77.286 Euro gegen­über 16.598 Euro.

Dazu kommt, dass die Howo­ge bis­her in kei­ner Ber­li­ner Schu­le irgend­et­was saniert hat. Wohin­ge­gen Senat und Bezir­ke ihre Schu­len behut­sam und kosten­gün­stig sanie­ren können.

In sei­ner Kri­tik moniert der Lan­des­rech­nungs­hof, dass die Kosten der mit dem Pro­gramm ins­ge­samt geplan­ten Maß­nah­men aktu­ell mehr als elf Mil­li­ar­den Euro betra­gen sol­len und sich die Kosten­pro­gno­sen damit bereits ver­dop­pelt haben. Zudem sei der Zeit­plan der Schul­bau­of­fen­si­ve bis 2026 schon Maku­la­tur. Die Senats­ver­wal­tung habe zudem »mög­li­che Alter­na­ti­ven [zur Ein­bin­dung der Howo­ge; H. S.] nicht im Rah­men einer Wirt­schaft­lich­keits­un­ter­su­chung ermit­telt und bewer­tet. Die behaup­te­te Alter­na­tiv­lo­sig­keit der für die BSO fest­ge­leg­ten Lösung ist nicht gege­ben.« Den Senats­be­schlüs­sen zur Schul­bau­of­fen­si­ve feh­le es an belast­ba­ren Bedarfsgrundlagen.

Außer­dem erge­be sich durch die geplan­te Jah­res­mie­te pro Schu­le von 3 bis 4 Mil­lio­nen Euro mit den dar­in ent­hal­te­nen hohen Trans­ak­ti­ons­ko­sten und Bau­ko­sten von 50 Mil­lio­nen Euro pro Schu­le allein bei 25 Jah­ren eine Über­stei­ge­rung der Mie­ten gegen­über den Bau­ko­sten um das 1,5- bis 2-Fache.

Neben den Kosten­stei­ge­run­gen hat GiB bereits im Mai die­ses Jah­res auf Ver­trags­lücken in den Miet- und Erb­bau­rechts­ver­trä­gen zwi­schen den Bezir­ken und der Howo­ge hin­ge­wie­sen, die im Extrem­fall zu ech­ten Pri­vat­sie­run­gen füh­ren kön­nen. Alles in allem sind das wohl mehr als genug Grün­de, die Ein­bin­dung der Howo­ge in den Ber­li­ner Schul­bau sofort zu stop­pen. Noch ist es nicht zu spät, denn die Ver­trä­ge für die ein­zel­nen Schul­pro­jek­te – vor­aus­sicht­lich drei pro Schu­le – sind von den Bezir­ken noch nicht unter­zeich­net. Anfang Okto­ber schrieb GiB in einem Brand­brief per­sön­lich die Abge­ord­ne­ten der Koali­ti­on, den Senat, die Bezirks­bür­ger­mei­ste­rIn­nen und die Schul­stadt­rä­tIn­nen an und warn­te und vor den Pri­va­ti­sie­rungs­ri­si­ken, den Kosten­ex­plo­sio­nen und Ver­zö­ge­run­gen. Wei­te­re Apel­le von Bür­ge­rIn­nen folg­ten mit der Auf­for­de­rung, die Ver­trä­ge nicht zu unterschreiben.

Bis­her ist nur eine Ant­wort bekannt: Char­lot­ten­burg-Wil­mers­dorf ver­si­chert, mit der Howo­ge kei­ne Schu­le zu bauen.

Als Mit­un­ter­zeich­ner habe auch ich appel­liert: »Man muss Feh­ler wie beim Ber­li­ner Flug­ha­fen nicht wie­der­ho­len. Noch ist nichts zu spät. Die vom Rech­nungs­hof erwar­te­ten 5,5 Mil­li­ar­den Euro Mehr­ko­sten sind ver­meid­bar. Sie soll­ten nicht in den pri­va­ten Ren­di­te­be­reich abflie­ßen, son­dern den Betrof­fe­nen zugu­te­kom­men. Die Ver­zö­ge­rung beträgt bereits vier Jah­re. Und es dro­hen 10 Jah­re Ver­spä­tung zu wer­den. Wir for­dern Senat und Bezir­ke in Ber­lin auf, die Howo­ge-Ver­trä­ge auf kei­nen Fall zu unterschreiben.«

Kom­ple­xe Finanz­kon­struk­tio­nen im Über­schnei­dungs­be­reich von Pri­vat und öffent­li­cher Hand sind nie leicht zu durch­schau­en. Es gibt bis­her kein Bei­spiel, das für die öffent­li­che Hand vor­teil­haft aus­ge­gan­gen ist, obwohl vor­her immer wie­der behaup­tet. Vie­le Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen bil­den hier eine »kri­ti­sche Mas­se«. Die­se mit Nicht­be­ach­tung zu stra­fen, wie in Ber­lin zu beob­ach­ten, rächt sich schon auf kur­ze Sicht.

Es bestä­tigt sich immer mehr, dass die tra­gen­den Säu­len der Recht­fer­ti­gung für die Ber­li­ner Schul­bau­of­fen­si­ve, wie sie 2017/​18 vor­ge­tra­gen wur­den, das Dach schon nach drei Jah­ren nicht hal­ten. Nicht zuletzt wenn man sich vor Augen führt, dass der Senat die Schü­ler­zah­len inzwi­schen so stark nach unten revi­diert hat, dass man auf die Ein­bin­dung der Howo­ge glatt ver­zich­tet könn­te. Aber auch das staat­li­che Kre­dit­auf­nah­me­ver­bot wird aktu­ell anders gese­hen. Jetzt Eigen­tums­rech­te für 37 Jah­re aus der Hand zu geben, erscheint nach den bis­he­ri­gen Erfah­run­gen ris­kant, um es gelin­de zu formulieren.

Rot-rot-grün hat noch die Chan­ce, eine fal­sche Wei­chen­stel­lung zu kor­ri­gie­ren und aus Feh­lern der Ver­gan­gen­heit wie den staat­li­chen Woh­nungs­ver­käu­fen oder dem Flug­ha­fen BER zu ler­nen. Es geht auch in Ber­lin kein Weg dar­an vor-bei, die öffent­li­chen Kapa­zi­tä­ten und Kom­pe­ten­zen zurück­zu­ho­len, wie es zum Bei­spiel Frank­furt am Main mit sei­nem Amt für Bau und Immo­bi­li­en getan hat.

Her­bert Storn hat sich auch in sei­nem neu­en Buch »Ger­ma­ny first« auf die Suche nach der »kri­ti­schen Mas­se« gemacht (Büch­ner-Ver­lag, 251 Sei­ten, 18 €).