Aus »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus. 1. Akt. Erste Szene (Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Etliche Wochen später. Fahnen an den Häusern. Vorbeimarschierende Soldaten werden bejubelt. Allgemeine Erregung. Es bilden sich Gruppen.):
Ein Wiener (hält von einer Bank eine Ansprache): – denn wir mussten die Manen des ermordeten Thronfolgers befolgen, da hats keine Spompanadeln geben – darum, Mitbürger, sage ich auch – wie ein Mann wollen wir uns mit fliehenden Fahnen an das Vaterland anschließen in dera großen Zeit! Sind wir doch umgerungen von lauter Feinden! Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir! Also bitte – schaun Sie auf unsere Braven, die was dem Feind jetzt ihnere Stirne bieten, ungeachtet, schaun‘s wie‘s da draußen stehn vor dem Feind, weil sie das Vaterland rufen tut, und dementsprechend trotzen‘s der Unbildung jeglicher Witterung (…)! Und darum sage ich auch – es ist die Pflicht eines jedermann, der ein Mitbürger sein will, stantape Schulter an Schulter sein Scherflein beizutragen. Dementsprechend! – Da heißt es, sich ein Beispiel nehmen, jawoohl! Und darum sage ich auch – ein jeder von euch soll zusammenstehn wie ein Mann! Dass sie‘s nur hören die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg was mir führn! Wiar ein Phönix stema da, den‘s nicht durchbrechen wern, dementsprechend – mir san mir und Österreich wird auferstehn wie ein Phallanx ausm Weltbrand sag ich! Die Sache, für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien – muss sterbien!
Stimmen aus der Menge: Bravo! So ist es! – Serbien muss sterbien! – Ob’s da wüll oder net! – Hoch! – A jeder muss sterbien!
Einer aus der Menge: Und a jeder Russ–
Ein Anderer (brüllend): – ein Genuss!
Ein Dritter: An Stuss! (Gelächter.)
Ein Vierter: An Schuss! (…)
Der Zweite: Und a jeder Franzos?
Der Dritte: A Roß! (Gelächter.)
Der Vierte: An Stoß!
Alle: Bravo! An Stoß! So is!
Der Dritte: Und a jeder Tritt – na, jeder Britt!?
Der Vierte: An Tritt!
Alle: Sehr guat! An Britt für jeden Tritt! Bravo!
Ein Bettelbub: Gott strafe England!
Stimmen: Er strafe es! Nieda mit England!
Ein Mädchen: Der Poldl hat mir das Beuschl von an Serben versprochen! Ich hab das hineingeben in die Reichspost!
Zur inhaltlichen Sprachaufklärung – Stuss ist Blödsinn, Beuschl ist die Lunge und die Reichspost die »christliche« und gleichzeitig konservativ antisemitische Zeitung in der damaligen Medienlandschaft, die der heutigen »Siegermächtementalität« entspricht.
Ich begegnete dem Krieg mit viereinhalb Jahre als Kind Mitte 1944 in Sibiu/Hermannstadt. Mein Vater, Nazikriegsberichterstatter, war Ende 1942 vor Stalingrad gefallen. Meine Mutter, gebürtige Siebenbürgerin, floh mit mir zu ihren Eltern nach Sibiu. Rumänien wechselte am 23. 8. 1944 das Bündnis mit dem 3. Reich. Vor diesem Wechsel bombardierte die Rote Armee Sibiu. Nach dem Sturz der rumänischen faschistischen Regierung unter General Ion Antonescu gab es Bombenangriffe durch die Deutsche Armee. In Erinnerung blieb mir Großvaters Satz. »Alle haben uns bombardiert«, während wir aus unserer Wohnung in die nahegelegenen Splittergräben im Harteneckpark Schutz suchten und fanden.
Die große Einheitsmacherei von taz bis Bild hat einige Weisheiten in diesem noch jungen Jahrhundert verinnerlicht, die fast komplett jene kritische Masse verdrängt hat, die, die diese »kritische Vierte Kraft« in dem nichtunseren Land mal beanspruchte!
»Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.« Hermann Göring in einem Interview in der Gefängniszelle mit Gustave Gilbert, April 1946: »Russische Soldaten sollen auch Männer und Jungen vergewaltigt haben.« Und: »Auf der anderen Seite steht ein substanzieller Teil der Friedensbewegung, die ich den deutschen Lumpen-Pazifismus nennen möchte.«
Angebliches deutsches Nachrichtenmagazin 2022: »Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben« (Joachim Gauck, Pfarrer und ehemaliger Bundespräsident).
Die Strategie der »Gürtelengschnallerei« funktioniert, wie so oft, mal wieder und wirkt auch schon dort, wo Gesinnung zur Gesindelei wird.
Hilflos bei der Corona-Pandemie, mutet man jenem Volk, das beispielsweise bei der Landtagswahl in NRW mit seiner Nichtwählerei deutlich signalisierte, was es von dieser Art Politik hält, nun eine Inflation zu, die längst eine Unflation geworden ist.
Die »Meinung« des Volkes verkündet man, nach der Befragung von 1000 weiblichmännlichen Ahnungslosen: »Mehrheit der Deutschen für die Lieferung schwerer Waffen«. Das ist ein immer wieder wirkender Propagandaschmäh: Es ist völlig unklar, ob die Befragten wissen, was das ist, ob das legal ist und welche Folgen das hat. Notrationen aus Klopapier, Kartoffeln und Speiseöl samt einigen Konserven helfen wenig, wenn man eine kleine Minderheit, die immer noch für »Frieden schaffen ohne Waffen« ist, in eine Ecke drängt, in der jene Kriegstreiberei, die weit über Putin hinaus das Sagen hat, sie haben will. Krieg und Frieden sind als Wörter nicht mehr gefragt, teilweise bei Strafe verboten, dafür propagandiert man den Sieg, über eine Dummheit, die schon viel zu weit geht.
Ob es »Schwere Waffen« braucht, bestreite ich mal, es bedarf intelligenter Abwehrsysteme, und die sind in Gewicht und Handhabung »leicht« und können von der Schulter eines Soldaten abgefeuert werden. Dazu ein wirksames Informationssystem zur Bekämpfung des völkerrechtswidrigen Angriffs. Panzer jeder Art, wie »schwer« auch immer, haben jene Wirkung, die im Mittelalter die Ritter samt Rüstung vom Kriegsschauplatz verschwinden ließ. Wirksam gegen angreifende Panzer vorzugehen, bedarf es hochpräziser Panzerabwehrwaffen (https://de.wikipedia.org/wiki/Panzerabwehrlenkwaffe) – auch das extrem »schwere« Kriegsschiff »Moskwa« ist mit ähnlichen, technisch hochentwickelten Abwehrgeräten vernichtet worden.
Das sind kostengünstige, intelligente und wirksame Verteidigungsgeräte, die im Vergleich zum ständig und immer wieder von der Ukraine geforderten »schwerem« Gerät zum Einsatz kommen sollten. Braucht es da das 100-Milliardenbundeswehraufrüstungssondervermögen?
Es wird gesiegt, bis die Welt untergeht. 3,5 Milliarden Menschen droht der Hungertod. Gibt es irgendwo »Verantwortliche«, die schon ausgerechnet haben, wie durch diesen Massentod das »Klimaziel« erreicht werden kann?
Nirgendwo gibt es auch nur im Ansatz eine Diskussion, wie wir alle auf dieser Erde zu einer friedlichen Solidargesellschaft werden. Eher wirkt die Weisheit, dass sich die Regierungen eher ein anderes Volk suchen, als ein kritisches zu behalten. Es sei denn, man ist in der Lage, es zu einer Herde blökender meinungsloser Schafe umzufunktionieren.
In seinem Text »Das Ehrenkreuz« hat Karl Kraus am Ende den Satz »Denn die Justiz ist eine Hure, die sich nicht blitzen lässt und selbst von der Armut den Schandlohn einhebt« geschrieben. Statt »Justiz« lassen sich viele andere Wörter einsetzen. Also – wer findet die richtigen, oder ist der Weg frei für die »WirwerdenSiegen«-Ideologie?