Im Umriss eines roten Sterns sind zwei mit Erde beschmutzte Handflächen zu sehen. Eine hält einen sowjetischen Tapferkeitsorden, die andere zeigt eine deutsche Wehrmachts-Erkennungsmarke. Die Objekte wurden bei Ausgrabungen in Küstrin – heute Kostrzyn nad Odra – neben anderen Zeugnissen des barbarischen Krieges, gefunden. Die »Festung Küstrin« unter dem Kommando des SS-Gruppenführers Reinefarth, des »Henkers von Warschau«, sollte unbedingt gehalten werden. Unzählige sinnlose Opfer sind zu beklagen. Reinefarth wurde in der BRD Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtags und Bürgermeister von Westerland auf Sylt. Für seine Taten wurde er nie belangt.
Das Foto mit dem roten Stern ist auf dem Titelbild von Gabriele Senfts neuem Bildband »Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten / Der langersehnte Frühling« abgebildet. Ein krasser Gegensatz bewegt: die leuchtenden Apfelblüten und der Flieder, der in diesem Frühjahr 1945 besonders prächtig blühte – und die vom Krieg zerstörten Orte und die unzähligen Gräber der Opfer.
Das Buch ist dem 75. Jahrestag der Befreiung der Völker Europas vom deutschen Faschismus gewidmet, es geht zu Herzen. Beim Lesen erinnert man sich an Filme: »Ich war 19«, »Ein Menschenschicksal«, »Die Kraniche ziehen« und andere; auch sie bringen diese unauslöschbaren historischen Ereignisse wieder ins Bewusstsein. Die Autorin verfolgt den Weg der Roten Armee von der Oder im Januar 1945 bis zum Mai in Berlin. Sie hat viele Orte besucht und sprach mit Zeitzeugen. Erinnerungen von Umsiedlern, Schriftstellern, Kommandanten und Filmemachern lassen diese schwere Zeit nacherleben. Einfühlsame Naturaufnahmen vervollständigen das Buch, ergänzt durch gut ausgewählte, kurze Texte. Von Fritz Cremers Buchenwald-Denkmal sieht man ins weite, friedliche Weimarer Land. Der Schwur der Häftlinge von Buchenwald ist für uns heute eine bitter nötige Verpflichtung. Und uns wird beim Betrachten und Lesen des Buches immer mehr bewusst: Es sind nicht nur Anfänge, derer wir uns heute zu erwehren haben!
Ganz selbstverständlich schließt sich ein gut durchdachter Teil des Buches an; hier wird das Heldentum der Soldaten der Roten Armee mit berührenden Fotos gewürdigt. Das Buch endet mit einem Abschnitt »Ent-
deckungen«, der Wissenswertes zu den Fotografien enthält. Die hervorragende künstlerische Gestaltung, die in den Händen des Verlegers Wiljo Heinen lag, entspricht ganz dem anspruchsvollen Inhalt. Gerade heute, wo alle Register gezogen werden, um Russland zu verteufeln, ist dieses Buch so wichtig. Es macht nachdenklich, doch es ermutigt auch, das Leben zu feiern. Wer es in der Hand hält, der legt es nicht so schnell zurück.
Gabriele Senft: Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten / Der lang ersehnte Frühling. Verlag Wiljo Heinen 2020, 195 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 28