Drei umfangreiche militärhistorische Abhandlungen hat Theodor Fontane geschrieben, Bücher über die preußischen Kriege von 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870-71 gegen Frankreich. Meisterwerke an Disposition, Fleiß und Formulierungskunst. Viel Zeit und Energie hatte er darangesetzt, diese Werke zu schreiben. Aber die erhoffte Anerkennung blieb aus. Zwar ließen sich zahllose Würdigungen in Fachzeitschriften verbuchen, und Hofbuchdrucker Rudolf von Decker verwahrte pietätvoll die Dankesschreiben der hochgestellten kaiserlichen Persönlichkeiten für die Respektsexemplare, die er ihnen zugesandt hatte, obwohl dieselben nur schablonenhaft abgefasst waren. Aber eine breite Rezeption wollte nicht einsetzen. Und besonders die pekuniäre Anerkennung blieb aus, mit der der Autor geglaubt hatte, rechnen zu dürfen. Am 30. November 1876 lamentierte Fontane in einem Brief an Mathilde von Rohr, der Kaiser hätte eine Gratifikation für sein 2000-Seiten-Werk Der Krieg gegen Frankreich abgelehnt, und der Chef des Geheimen Zivilkabinetts, Karl von Wilmowski, seine Nachfrage mit »dürrer Beamtenhaftigkeit« abgefertigt.
»Zwölf Jahre habe ich an diesen Kriegsbüchern Tag und Nacht gearbeitet; sie feiern, nicht in großen, aber in empfundenen Worten unser Volk, unser Heer, unsren König und Kaiser; ich bereiste 1864 das gegen uns fanatisierte Dänemark, war 1866 in dem von Banden und Cholera überzogenen Böhmen, und entging in Frankreich, nur wie durch ein Wunder, dem Tode. Unabgeschreckt, weil meine Arbeit das Wagnis erheischte, kehrte ich an die bedrohlichen Punkte zurück. Dann begann meine Arbeit. Da steht sie, wenn auch weiter nichts, das Produkt großen Fleißes, ihrem Gegenstande nach aber das Einzige repräsentierend, dem gegenüber man eine Art Recht hat, das Interesse des Kaisers, als des persönlichen Mittelpunkts, des Helden dieser großen Epopöe (ich spreche nur vom Stoff) zu erwarten. Und eben dieser Held und Kaiser, gefragt ›ob er einen Grund habe dem Verfasser dieses umfangreichen Werkes wohlzuwollen oder gnädig zu sein‹ verneint diese Frage.«
Die Situation erinnerte Fontane an die Anekdote über den persischen Dichter Abul Kasim Mansur, die er aus Heines Romanzero kannte und leicht modifiziert nacherzählte:
»Firdusi, als er dem Schah Mahomet sein Helden-Epos brachte, erhielt 200.000 Silbermünzen zum Geschenk und schenkte, in bittrem Unmut, die ganze Summe einem Badeknecht zu Gasna, denn er hatte geglaubt, 200.000 Goldmünzen erwarten zu dürfen.«
Mansur, Schöpfer des persischen Nationalepos »Buch der Könige«, bekannt unter seinem Beinamen »Firdusi« (»der Glänzende«), den ihm der Schah verliehen hatte, verschenkte den Lohn, weil er ihn für seine Arbeit nicht angemessen fand. Der Schah hatte sein Versprechen gehalten und jeden der Verse Firdusis mit einer Münze vergolten, trotzdem fühlte sich der Dichter betrogen. Hatte er in Erwartung auf das zugesagte Honorar das größte Epos aller Zeiten geschrieben? Sicher nicht. Da Eigenlob leicht unbescheiden wirkt, fuhr Fontane nach diesem stolzen Vergleich fort:
»Ich bin kein Firdusi. Aber der Unterschied zwischen Firdusi und mir ist doch nicht so groß, dass Herr v. Wilmowski sagen dürfte: ›Herr F. hat durch meinen Amtsvorgänger die Summe von 400 Thalern erhalten; nach einem so exorbitanten Geschenk ist es mir nicht möglich, für dies neue, größere, sieben Jahre später erscheinende Werk abermals eine Auszeichnung zu beantragen. Ich will indessen S. M. fragen‹.«
Dass der Staatshaushalt »weder für die poetischen Quisquilien eines Firdusi, noch am allerwenigsten für die Prosa-Kapitel eines Fontane« eine angemessene Summe Geldes übrig haben sollte, fand Fontane zum Lachen. Für ein einziges niederländisches Genrebild seien 140.000 Francs gezahlt worden, »wenn man will, so fliegt das Geld nur so.« Und er schlussfolgerte: »Mir gegenüber wollte man einfach nicht.«
Fontanes Schreiben an Mathilde von Rohr verrät viel über Literatur und die Verhältnisse, unter denen sie entsteht, wie über Fontane selbst, der im Lauf seines Schriftstellerlebens wiederholt vergleichbare Kränkungen wegstecken musste. Hier betraf sie allerdings einen zentralen Bereich seines Schaffens, den er ambitioniert abgesteckt hatte. Er hatte seine Schriftsteller-Laufbahn mit Gedichten begonnen. Louis Schneider vermittelte den Abdruck im Militär-Wochenblatt, im Soldatenfreund, in der Anthologie Leyer und Schwert des Soldatenfreundes und im Potsdamer Verlag von A. W. Hayn und machte die Texte als Vorleser auch am Hof in Potsdam bekannt. Männer und Helden und Von der schönen Rosamunde waren die beiden ersten selbständig erschienenen Werke Fontanes. Mars und Venus. Mit seinen Feldherrengedichten verherrlichte er die preußischen Generäle, deren Denkmäler am Berliner Wilhelmplatz standen: Der Alte Derffling, Der Alte Dessauer, Der Alte Zieten, Seidlitz, Keith, Schwerin mit der Fahne, Schill. Das waren die Texte Fontanes, die in die preußischen Schul-Lesebücher aufgenommen wurden. Später kamen Gedichte über friderizianische Soldaten hinzu, über besondere Heldentaten der zeitgenössischen Kriege, den Pionier Klinke etwa, der den Pulversack in die Schanzen von Düppel trug und sich selbst wie ein Kamikaze-Krieger mit in die Luft sprengte, die Landwehr bei Langensalza, Die Gardemusik bei Chlum und die Einzugsgedichte für die Siegesparaden von 1864, 1866 und 1871.
In den letzten Lebensjahren Fontanes deutet sich jedoch eine Um-Bewertung des Militärischen an. Im Stechlin-Roman, der als Vermächtnis-Werk des Romanciers gilt, gelangte Fontane zu neuen Auffassungen von Begriffen wie Mut und Heldentum. Um seine Meinung zu erläutern, erzählt Pastor Lorenzen von Adolphus Washington Greely, dem amerikanischen Offizier, der sich als Leiter einer Nordpolarexpedition entschloss, einen Expeditionsteilnehmer, der Lebensmittel entwendet hatte, zu erschießen, um die anderen zu retten:
»In solchem Augenblicke richtig fühlen und in der Überzeugung des Richtigen fest und unbeirrt ein furchtbares Etwas tun, ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhange gerissen, allem göttlichen Gebot, allem Gesetz und aller Ehre widerspricht, das imponiert mir ganz ungeheuer und ist in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut.«
Ein ähnliches Thema hat Ferdinand von Schirach 2015 in seinem Theaterstück Terror bearbeitet. Fontane hätte vermutlich auch für Freispruch gestimmt. Komplizierter wird die Sache, wenn man Schirachs Figur Lars Koch, der sich in der fiktiven Situation für das kleinere Übel entschied und 70.000 Menschenleben rettete, mit Paul W. Tibbets und Robert Lewis vergleicht, den Piloten der B-29 »Enola Gay«, die am 6. August 1945 die 4,4 t schwere Atombombe »Little Boy« über Hiroshima abwarfen, mit einem Schlag 70.000 Menschenleben auslöschten und die gesamte Stadt einäscherten, oder mit Charles W. Sweeney, dem Piloten der B-29 »Bockscar«, der am 9. August 1945 die 4.7 t schwere Atombombe »Fat Man« über Nagasaki abwarf, die ebenfalls verheerende Wirkung hatte. Tibbets und Sweeney waren zeitlebens stolz darauf, ihren Job gemacht zu haben. Lewis schrieb in sein Logbuch: »Mein Gott, was haben wir getan? «
Die Beispiele zeigen, wie kompliziert es sein kann, Tucholskys berühmten Satz über die Soldaten in der Praxis anzuwenden. Es war Bertha von Suttner, die die nötigen Konsequenzen zog. Ihr Roman, in dem sie über dieselben Kriege schrieb, die Fontane mit so großer Mühe verherrlicht hatte, trägt einen Aufruf im Titel: »Die Waffen nieder!« Er wurde 1889 veröffentlicht und fand weltweit ein Millionenpublikum. Ob Fontane ihn auch gelesen hat, ist nicht bekannt. Er hat sich nicht darüber geäußert. Aber das Aufsehen, das dieses Buch machte, ist ihm sicher nicht verborgen geblieben.