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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der märkische Firdusi

Drei umfang­rei­che mili­tär­hi­sto­ri­sche Abhand­lun­gen hat Theo­dor Fon­ta­ne geschrie­ben, Bücher über die preu­ßi­schen Krie­ge von 1864 gegen Däne­mark, 1866 gegen Öster­reich und 1870-71 gegen Frank­reich. Mei­ster­wer­ke an Dis­po­si­ti­on, Fleiß und For­mu­lie­rungs­kunst. Viel Zeit und Ener­gie hat­te er dar­an­ge­setzt, die­se Wer­ke zu schrei­ben. Aber die erhoff­te Aner­ken­nung blieb aus. Zwar lie­ßen sich zahl­lo­se Wür­di­gun­gen in Fach­zeit­schrif­ten ver­bu­chen, und Hof­buch­drucker Rudolf von Decker ver­wahr­te pie­tät­voll die Dan­kes­schrei­ben der hoch­ge­stell­ten kai­ser­li­chen Per­sön­lich­kei­ten für die Respekt­s­exem­pla­re, die er ihnen zuge­sandt hat­te, obwohl die­sel­ben nur scha­blo­nen­haft abge­fasst waren. Aber eine brei­te Rezep­ti­on woll­te nicht ein­set­zen. Und beson­ders die peku­niä­re Aner­ken­nung blieb aus, mit der der Autor geglaubt hat­te, rech­nen zu dür­fen. Am 30. Novem­ber 1876 lamen­tier­te Fon­ta­ne in einem Brief an Mat­hil­de von Rohr, der Kai­ser hät­te eine Gra­ti­fi­ka­ti­on für sein 2000-Sei­ten-Werk Der Krieg gegen Frank­reich abge­lehnt, und der Chef des Gehei­men Zivil­ka­bi­netts, Karl von Wil­mow­ski, sei­ne Nach­fra­ge mit »dür­rer Beam­ten­haf­tig­keit« abgefertigt.

»Zwölf Jah­re habe ich an die­sen Kriegs­bü­chern Tag und Nacht gear­bei­tet; sie fei­ern, nicht in gro­ßen, aber in emp­fun­de­nen Wor­ten unser Volk, unser Heer, uns­ren König und Kai­ser; ich berei­ste 1864 das gegen uns fana­ti­sier­te Däne­mark, war 1866 in dem von Ban­den und Cho­le­ra über­zo­ge­nen Böh­men, und ent­ging in Frank­reich, nur wie durch ein Wun­der, dem Tode. Unab­ge­schreckt, weil mei­ne Arbeit das Wag­nis erheisch­te, kehr­te ich an die bedroh­li­chen Punk­te zurück. Dann begann mei­ne Arbeit. Da steht sie, wenn auch wei­ter nichts, das Pro­dukt gro­ßen Flei­ßes, ihrem Gegen­stan­de nach aber das Ein­zi­ge reprä­sen­tie­rend, dem gegen­über man eine Art Recht hat, das Inter­es­se des Kai­sers, als des per­sön­li­chen Mit­tel­punkts, des Hel­den die­ser gro­ßen Epo­pöe (ich spre­che nur vom Stoff) zu erwar­ten. Und eben die­ser Held und Kai­ser, gefragt ›ob er einen Grund habe dem Ver­fas­ser die­ses umfang­rei­chen Wer­kes wohl­zu­wol­len oder gnä­dig zu sein‹ ver­neint die­se Frage.«

Die Situa­ti­on erin­ner­te Fon­ta­ne an die Anek­do­te über den per­si­schen Dich­ter Abul Kasim Mans­ur, die er aus Hei­nes Roman­zero kann­te und leicht modi­fi­ziert nacherzählte:

»Fir­du­si, als er dem Schah Maho­met sein Hel­den-Epos brach­te, erhielt 200.000 Sil­bermün­zen zum Geschenk und schenk­te, in bit­trem Unmut, die gan­ze Sum­me einem Bade­knecht zu Gas­na, denn er hat­te geglaubt, 200.000 Goldmün­zen erwar­ten zu dürfen.«

Mans­ur, Schöp­fer des per­si­schen Natio­nal­epos »Buch der Köni­ge«, bekannt unter sei­nem Bei­na­men »Fir­du­si« (»der Glän­zen­de«), den ihm der Schah ver­lie­hen hat­te, ver­schenk­te den Lohn, weil er ihn für sei­ne Arbeit nicht ange­mes­sen fand. Der Schah hat­te sein Ver­spre­chen gehal­ten und jeden der Ver­se Fir­du­sis mit einer Mün­ze ver­gol­ten, trotz­dem fühl­te sich der Dich­ter betro­gen. Hat­te er in Erwar­tung auf das zuge­sag­te Hono­rar das größ­te Epos aller Zei­ten geschrie­ben? Sicher nicht. Da Eigen­lob leicht unbe­schei­den wirkt, fuhr Fon­ta­ne nach die­sem stol­zen Ver­gleich fort:

»Ich bin kein Fir­du­si. Aber der Unter­schied zwi­schen Fir­du­si und mir ist doch nicht so groß, dass Herr v. Wil­mow­ski sagen dürf­te: ›Herr F. hat durch mei­nen Amts­vor­gän­ger die Sum­me von 400 Tha­lern erhal­ten; nach einem so exor­bi­tan­ten Geschenk ist es mir nicht mög­lich, für dies neue, grö­ße­re, sie­ben Jah­re spä­ter erschei­nen­de Werk aber­mals eine Aus­zeich­nung zu bean­tra­gen. Ich will indes­sen S. M. fragen‹.«

Dass der Staats­haus­halt »weder für die poe­ti­schen Quis­qui­li­en eines Fir­du­si, noch am aller­we­nig­sten für die Pro­sa-Kapi­tel eines Fon­ta­ne« eine ange­mes­se­ne Sum­me Gel­des übrig haben soll­te, fand Fon­ta­ne zum Lachen. Für ein ein­zi­ges nie­der­län­di­sches Gen­re­bild sei­en 140.000 Francs gezahlt wor­den, »wenn man will, so fliegt das Geld nur so.« Und er schluss­fol­ger­te: »Mir gegen­über woll­te man ein­fach nicht.«

Fon­ta­nes Schrei­ben an Mat­hil­de von Rohr ver­rät viel über Lite­ra­tur und die Ver­hält­nis­se, unter denen sie ent­steht, wie über Fon­ta­ne selbst, der im Lauf sei­nes Schrift­stel­ler­le­bens wie­der­holt ver­gleich­ba­re Krän­kun­gen weg­stecken muss­te. Hier betraf sie aller­dings einen zen­tra­len Bereich sei­nes Schaf­fens, den er ambi­tio­niert abge­steckt hat­te. Er hat­te sei­ne Schrift­stel­ler-Lauf­bahn mit Gedich­ten begon­nen. Lou­is Schnei­der ver­mit­tel­te den Abdruck im Mili­tär-Wochen­blatt, im Sol­da­ten­freund, in der Antho­lo­gie Ley­er und Schwert des Sol­da­ten­freun­des und im Pots­da­mer Ver­lag von A. W. Hayn und mach­te die Tex­te als Vor­le­ser auch am Hof in Pots­dam bekannt. Män­ner und Hel­den und Von der schö­nen Rosa­mun­de waren die bei­den ersten selb­stän­dig erschie­ne­nen Wer­ke Fon­ta­nes. Mars und Venus. Mit sei­nen Feld­her­ren­ge­dich­ten ver­herr­lich­te er die preu­ßi­schen Gene­rä­le, deren Denk­mä­ler am Ber­li­ner Wil­helm­platz stan­den: Der Alte Derff­ling, Der Alte Des­sau­er, Der Alte Zie­ten, Seid­litz, Keith, Schwe­rin mit der Fah­ne, Schill. Das waren die Tex­te Fon­ta­nes, die in die preu­ßi­schen Schul-Lese­bü­cher auf­ge­nom­men wur­den. Spä­ter kamen Gedich­te über fri­de­ri­zia­ni­sche Sol­da­ten hin­zu, über beson­de­re Hel­den­ta­ten der zeit­ge­nös­si­schen Krie­ge, den Pio­nier Klin­ke etwa, der den Pul­ver­sack in die Schan­zen von Düp­pel trug und sich selbst wie ein Kami­ka­ze-Krie­ger mit in die Luft spreng­te, die Land­wehr bei Lan­gen­sal­za, Die Gar­de­mu­sik bei Chlum und die Ein­zugs­ge­dich­te für die Sie­ges­pa­ra­den von 1864, 1866 und 1871.

In den letz­ten Lebens­jah­ren Fon­ta­nes deu­tet sich jedoch eine Um-Bewer­tung des Mili­tä­ri­schen an. Im Stech­lin-Roman, der als Ver­mächt­nis-Werk des Roman­ciers gilt, gelang­te Fon­ta­ne zu neu­en Auf­fas­sun­gen von Begrif­fen wie Mut und Hel­den­tum. Um sei­ne Mei­nung zu erläu­tern, erzählt Pastor Loren­zen von Adolp­hus Washing­ton Gre­e­ly, dem ame­ri­ka­ni­schen Offi­zier, der sich als Lei­ter einer Nord­po­lar­ex­pe­di­ti­on ent­schloss, einen Expe­di­ti­ons­teil­neh­mer, der Lebens­mit­tel ent­wen­det hat­te, zu erschie­ßen, um die ande­ren zu retten:

»In sol­chem Augen­blicke rich­tig füh­len und in der Über­zeu­gung des Rich­ti­gen fest und unbe­irrt ein furcht­ba­res Etwas tun, ein Etwas, das, aus sei­nem Zusam­men­han­ge geris­sen, allem gött­li­chen Gebot, allem Gesetz und aller Ehre wider­spricht, das impo­niert mir ganz unge­heu­er und ist in mei­nen Augen der wirk­li­che, der wah­re Mut.«

Ein ähn­li­ches The­ma hat Fer­di­nand von Schi­rach 2015 in sei­nem Thea­ter­stück Ter­ror bear­bei­tet. Fon­ta­ne hät­te ver­mut­lich auch für Frei­spruch gestimmt. Kom­pli­zier­ter wird die Sache, wenn man Schirachs Figur Lars Koch, der sich in der fik­ti­ven Situa­ti­on für das klei­ne­re Übel ent­schied und 70.000 Men­schen­le­ben ret­te­te, mit Paul W. Tib­bets und Robert Lewis ver­gleicht, den Pilo­ten der B-29 »Eno­la Gay«, die am 6. August 1945 die 4,4 t schwe­re Atom­bom­be »Litt­le Boy« über Hiro­shi­ma abwar­fen, mit einem Schlag 70.000 Men­schen­le­ben aus­lösch­ten und die gesam­te Stadt ein­äscher­ten, oder mit Charles W. Sweeney, dem Pilo­ten der B-29 »Bockscar«, der am 9. August 1945 die 4.7 t schwe­re Atom­bom­be »Fat Man« über Naga­sa­ki abwarf, die eben­falls ver­hee­ren­de Wir­kung hat­te. Tib­bets und Sweeney waren zeit­le­bens stolz dar­auf, ihren Job gemacht zu haben. Lewis schrieb in sein Log­buch: »Mein Gott, was haben wir getan? «

Die Bei­spie­le zei­gen, wie kom­pli­ziert es sein kann, Tuchol­skys berühm­ten Satz über die Sol­da­ten in der Pra­xis anzu­wen­den. Es war Ber­tha von Sutt­ner, die die nöti­gen Kon­se­quen­zen zog. Ihr Roman, in dem sie über die­sel­ben Krie­ge schrieb, die Fon­ta­ne mit so gro­ßer Mühe ver­herr­licht hat­te, trägt einen Auf­ruf im Titel: »Die Waf­fen nie­der!« Er wur­de 1889 ver­öf­fent­licht und fand welt­weit ein Mil­lio­nen­pu­bli­kum. Ob Fon­ta­ne ihn auch gele­sen hat, ist nicht bekannt. Er hat sich nicht dar­über geäu­ßert. Aber das Auf­se­hen, das die­ses Buch mach­te, ist ihm sicher nicht ver­bor­gen geblieben.