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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der General und die Grüne

Der dop­pel­te Tod von Gert Basti­an und Petra Kel­ly schlug im Herbst 1992 nicht nur in der dama­li­gen deut­schen Bun­des­haupt­stadt wie eine Bom­be ein, zumal ja ein Gene­ral a.D. betei­ligt war. Die bei­den Poli­ti­ke­rIn­nen hat­ten trotz eines beträcht­li­chen Alters­un­ter­schie­des von gut 24 Jah­ren gemein­sam ein zwei­ge­schos­si­ges Rei­hen­haus in Bonn-Tan­nen­busch bewohnt. Sie starb mit 44, er mit 69. Basti­an war schon im Zwei­ten Welt­krieg Offi­zier gewe­sen, brach­te es dann bei der Bun­des­wehr bis zum Gene­ral­ma­jor, ehe er 1980 sei­nen Hut nahm. Er hat­te sich inzwi­schen zum Atom- und Kriegs­geg­ner gewan­delt und tat sich des­halb mit den Grü­nen und eben auch mit deren »cha­ris­ma­ti­scher« Gali­ons­fi­gur Kel­ly zusam­men. Offi­zi­ell blieb er mit sei­ner Gat­tin Char­lot­te ver­hei­ra­tet und besuch­te sie sogar öfter in Mün­chen. Sie hat­ten zwei Kinder.

Basti­an saß nun, wie Kel­ly, im Bun­des­tag (er bis 1987, sie bis 1990) und folg­te der Gali­ons­fi­gur anson­sten auf Schritt und Tritt. Ob er sie dabei eher stütz­te oder ihr eher wie eine Kano­nen­ku­gel am Bein hing, ist umstrit­ten. Man­che ver­un­glimp­fen ihn als Kel­lys unent­behr­li­chen Für­sor­ger und Trot­tel, an dem sie ihre Lau­nen aus­las­sen konn­te. Sie habe ihn auch durch­aus mit ande­ren Män­nern betro­gen. Jeden­falls waren zuneh­men­de, teils laut­star­ke Strei­tig­kei­ten zwi­schen den bei­den zu bemer­ken, aus wel­chem Grund auch immer.

Kel­ly, stu­dier­te Poli­to­lo­gin, muss eine schil­lern­de klei­ne Per­son gewe­sen sein, obwohl ihrem fei­nen, schma­len Gesicht zumeist eine besorg­nis­er­re­gen­de Bläs­se beschei­nigt wird. Das wür­de sich mit ihrem mär­ty­rer­haf­ten Zug decken: Es gab kein Leid in der Welt, das vor ihren dunk­len Argus­au­gen sicher war. Das Grün­dungs­mit­glied der Grü­nen (1980) galt als mit­rei­ßend, for­dernd, arbeits­wü­tig und stets abge­hetzt. Kel­ly wet­ter­te gegen Krieg, aber auch gegen Abtrei­bung. Sie war für Tibet, für die Kur­den, für alle mög­li­chen India­ne­rIn­nen. Unge­fähr ab 1990 tra­ten die Grü­nen aller­dings die umge­kehr­te Wand­lung des Gert Basti­an an: zurück zum Krieg. Aber soweit ich sehe, zogen sich er und Kel­ly weni­ger des­halb von der poli­ti­schen Büh­ne in das Rei­hen­häus­chen zurück. Kel­ly war vie­len Mit­strei­te­rIn­nen zu eigen­sin­nig und unko­ope­ra­tiv. Sie lieb­te den Rum­mel der Medi­en um ihre Per­son zu sehr. Trotz ihrer eher »fun­da­men­ta­li­sti­schen« grü­nen Posi­tio­nen befür­wor­te­te sie, schon damals, bezahl­te Berufs­po­li­tik. Ent­spre­chend boy­kot­tier­te sie das »Rota­ti­ons­prin­zip« (den regel­mä­ßi­gen Ämter­wech­sel) und den »Öko­fonds« ihrer Par­tei. Ver­ständ­li­cher­wei­se tru­gen die Anfein­dun­gen nicht gera­de zu ihrer Gesund­heit bei. Laut Bio­gra­fin Saskia Rich­ter von Kind auf nie­ren­krank, wirk­te sie inzwi­schen aus­ge­laugt und durch­äng­stigt. Bei der Poli­zei hielt man sie für gefähr­det. Als Schul­kind hat­te sie einen aus den USA stam­men­den Stief­va­ter bekom­men. Erstaun­li­cher­wei­se war John Edward Kel­ly auch schon hoher Offi­zier gewe­sen, ein Oberst.

Nun, ver­mut­lich am 1. Okto­ber 1992, schießt ihr betag­ter Gene­ral und Gefähr­te sie, der amt­li­chen Ver­si­on zufol­ge, bei einem Nach­mit­tags­schläf­chen in die Schlä­fe. Anschlie­ßend rich­tet Basti­an sei­ne Pisto­le (von schräg oben) gegen die eige­ne Stirn. Es dau­ert merk­wür­di­ger­wei­se fast drei Wochen, bis die bei­den ver­misst und ent­deckt wer­den. Umso rascher hat sich der Staats­an­walt sein Bild gemacht: Basti­an habe bei­de Schüs­se abge­ge­ben, ent­we­der im Ein­ver­neh­men mit Kel­ly oder in der Über­zeu­gung, ohne ihn sei sie ver­lo­ren. Damit lie­ge ein »erwei­ter­ter Sui­zid« vor. Für ein »Fremd­ver­schul­den« gebe es kei­ne Anhaltspunkte.

Etli­che Beob­ach­te­rIn­nen sehen das anders. Mal hal­ten sie Basti­an für den Mör­der sei­ner Gefähr­tin; mal glau­ben sie, Drit­te hät­ten das Paar umge­bracht. Bei­de Annah­men sind kei­nes­wegs an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen, weil es Unge­reimt­hei­ten gibt. War­um wur­den die Lei­chen so spät gefun­den? Um eine Obduk­ti­on zu unter­lau­fen? Die gab es immer­hin noch. Was Kel­ly angeht, habe die Obduk­ti­on kei­ne Hin­wei­se auf eine ernst­haf­te Krank­heit erbracht. Im Übri­gen fan­den sich weder Abschieds­brie­fe noch Testa­men­te noch son­sti­ge Erklä­run­gen der Ver­stor­be­nen. Zwar surr­te im Erd­ge­schoß eine elek­tri­sche Schreib­ma­schi­ne, doch sie ent­hielt auf der Wal­ze nur einen belang­lo­sen Geschäfts­brief, der mit­ten in einem Satz abge­bro­chen wor­den war. Von ihm her schloss die Kri­po auf das mut­maß­li­che Todes­da­tum: 1. Okto­ber. Man hat­te Basti­an, den Autor des Geschäfts­brie­fes, im Flur des Ober­ge­schos­ses hin­ge­streckt gefun­den, Kel­ly dage­gen auf ihrem Bett. Die Alarm­an­la­ge des Hau­ses war abge­schal­tet. Wei­ter geben eine ledig­lich ange­lehn­te Bal­kon­tür und ein umge­stürz­tes Bücher­re­gal (im obe­ren Flur) zu den­ken. Basti­an könn­te es jedoch nach dem Schuss in die eige­ne Stirn im Fal­len mit­ge­ris­sen haben. Schmauch­spu­ren von der Tat­waf­fe will die Kri­po nur an sei­nen Hän­den bemerkt haben.

Wer ein Mord­mo­tiv Drit­ter such­te, könn­te es wohl im Anti­mi­li­ta­ris­mus und in den ent­spre­chen­den Ent­hül­lun­gen (Waf­fen­ge­schäf­te) des Paa­res fin­den – obwohl mir die Mund­tot­ma­chung oder Ver­gel­tung zu jener Zeit des Pri­va­ti­sie­rens ein wenig spät erschie­ne. Man­che Quel­len füh­ren den Ver­dacht an, Kel­ly sei seit Jah­ren, von CIA und von neo­fa­schi­sti­scher Sei­te her, einem Psy­cho­ter­ror aus­ge­setzt gewe­sen. Davon sprach wohl auch Kel­ly sel­ber wie­der­holt. Mög­li­cher­wei­se such­ten die­se Kräf­te den Wand­lungs­pro­zess der Grü­nen zu beför­dern, der die­se »under­dogs« bin­nen weni­ger Jah­re von der Anpin­kelei des Impe­ria­lis­mus’ in die Geschäfts­füh­rung des Impe­ria­lis­mus’ kata­pul­tier­te. Ande­rer­seits war das Paar, zumin­dest teil­wei­se, durch­aus im Sin­ne west­li­cher Stra­te­gen tätig, man den­ke etwa an Tibet. Hier schil­lert es also ebenfalls.

Ent­ge­gen dem Bild des Staats­an­wal­tes bezwei­feln vie­le Freun­de oder Kol­le­gen von Kel­ly, ihr Tod kön­ne ihr Wunsch gewe­sen sein. Lukas Beck­mann: in Petras Unter­la­gen fan­den sich Hin­wei­se dar­auf um kei­nen Deut, und ihr Ter­min­ka­len­der vor voll. Angeb­lich hat­te sie sogar eine Pro­fes­sur in den USA in Aus­sicht. 2007 bezwei­felt auch Saskia Rich­ter, die 2010 noch eine Kel­ly-Bio­gra­fie vor­le­gen soll­te, im Spie­gel einen Todes­wunsch der abge­dank­ten Poli­ti­ke­rin: »Sie hat­te Plä­ne, und als der Schuss fiel, schlief sie.« Nach man­chen Quel­len ist auch das bekann­te, in die­sem Fall durch­aus nahe­lie­gen­de Motiv Eifer­sucht nicht aus­ge­schlos­sen. Mari­na Friedt behaup­tet 2017 im Spie­gel, Kel­ly habe zuletzt eine Lieb­schaft mit einem tibe­ti­schen Arzt unter­hal­ten. Viel­leicht sah der Ex-Gene­ral des­halb rot.

Eine recht ein­leuch­ten­de Theo­rie zum Tat­her­gang ver­trat und ver­tritt der Arzt und Schrift­stel­ler Till Basti­an. Das ist der Sohn. Der Focus-Autorin Bea­te Stro­bel gegen­über malt er sei­nen Erzeu­ger 2017 kei­nes­wegs als den humor­lo­sen Schlei­fer, als den man den alt­ge­dien­ten Mili­tär erwar­ten könn­te. Obwohl in schnel­le Autos und Waf­fen ver­narrt, sei er eher ver­spielt und tole­rant, viel­leicht auch gleich­gül­tig gewe­sen. Er sei jen­seits der Fami­lie sei­nem Leben nach­ge­gan­gen, dabei vie­le Frau­en­ge­schich­ten. Kel­ly habe Basti­an die nach wie vor engen Fäden zu sei­ner Gat­tin immer sehr übel­ge­nom­men. Mich über­rasch­ten die Schüs­se nicht, sagt der Sohn. Er habe sei­nen Vater damals sofort für den Täter gehal­ten. Im fol­gen­den Jahr, 1993, schreibt er in einem Arti­kel für das Wochen­blatt Zeit (Nr. 37): »Ich glau­be, dass mein Vater – der an schwe­rer Gefäß­ver­kal­kung auch der Herz­kranz­ge­fä­ße litt – an jenem Don­ners­tag­mor­gen von einem hef­ti­gen Angi­na-pec­to­ris-Anfall, einem Infarkt oder einer Lun­gen­em­bo­lie heim­ge­sucht wur­de; im Gefühl des kom­men­den Todes glaub­te er viel­leicht, Frau Kel­ly, die oft beteu­ert hat­te, nicht ohne ihn leben zu kön­nen, nicht allein las­sen zu dür­fen, son­dern mit in den Tod neh­men zu sol­len, und erschoss erst sie und dann sich. Es wäre dies eine sol­da­ti­sche Art gewalt­tä­ti­ger Für­sor­ge gewe­sen, wie sie sehr gut zu mei­nem Vater gepasst hätte.«

Auf mei­ne brief­li­che Nach­fra­ge teilt mir Till Basti­an freund­li­cher­wei­se mit, er habe damals mit dem Gerichts­me­di­zi­ner tele­fo­niert. Mit des­sen Befund einer »hoch­gra­di­gen Arte­rio­skle­ro­se« bei dem Vater sei Basti­ans Hypo­the­se »gut ver­ein­bar«, habe ihm der Mann ver­si­chert. Neben­bei habe sich in der Brief­ta­sche des Vaters ein Zei­tungs­ar­ti­kel gefun­den: Was tun bei Herz­in­farkt? Sowas tra­ge man ja nicht ohne Grund mit sich her­um. Was Kel­ly angeht, sei sie ihm, dem Arzt, zuletzt »sehr ängst­lich und hypo­chon­drisch« vor­ge­kom­men. Sein Vater habe eine see­li­sche Erkran­kung bei der Gefähr­tin befürch­tet. Von »Ver­fol­gungs­wahn« habe er, der Sohn, aller­dings weder etwas bemerkt noch auch nur gehört.

Für Ulri­ke Win­kel­mann (Deutsch­land­funk, 1. Okto­ber 2017) lässt sich der Dop­pel­tod, »wenn über­haupt«, wohl am ehe­sten »aus der zer­stö­re­ri­schen Abhän­gig­keit der bei­den von­ein­an­der« erklä­ren. Das scheint ja auch der Sohn so zu sehen. Win­kel­mann gegen­über nann­te er die Bezie­hung »eine Falle«.