Der doppelte Tod von Gert Bastian und Petra Kelly schlug im Herbst 1992 nicht nur in der damaligen deutschen Bundeshauptstadt wie eine Bombe ein, zumal ja ein General a.D. beteiligt war. Die beiden PolitikerInnen hatten trotz eines beträchtlichen Altersunterschiedes von gut 24 Jahren gemeinsam ein zweigeschossiges Reihenhaus in Bonn-Tannenbusch bewohnt. Sie starb mit 44, er mit 69. Bastian war schon im Zweiten Weltkrieg Offizier gewesen, brachte es dann bei der Bundeswehr bis zum Generalmajor, ehe er 1980 seinen Hut nahm. Er hatte sich inzwischen zum Atom- und Kriegsgegner gewandelt und tat sich deshalb mit den Grünen und eben auch mit deren »charismatischer« Galionsfigur Kelly zusammen. Offiziell blieb er mit seiner Gattin Charlotte verheiratet und besuchte sie sogar öfter in München. Sie hatten zwei Kinder.
Bastian saß nun, wie Kelly, im Bundestag (er bis 1987, sie bis 1990) und folgte der Galionsfigur ansonsten auf Schritt und Tritt. Ob er sie dabei eher stützte oder ihr eher wie eine Kanonenkugel am Bein hing, ist umstritten. Manche verunglimpfen ihn als Kellys unentbehrlichen Fürsorger und Trottel, an dem sie ihre Launen auslassen konnte. Sie habe ihn auch durchaus mit anderen Männern betrogen. Jedenfalls waren zunehmende, teils lautstarke Streitigkeiten zwischen den beiden zu bemerken, aus welchem Grund auch immer.
Kelly, studierte Politologin, muss eine schillernde kleine Person gewesen sein, obwohl ihrem feinen, schmalen Gesicht zumeist eine besorgniserregende Blässe bescheinigt wird. Das würde sich mit ihrem märtyrerhaften Zug decken: Es gab kein Leid in der Welt, das vor ihren dunklen Argusaugen sicher war. Das Gründungsmitglied der Grünen (1980) galt als mitreißend, fordernd, arbeitswütig und stets abgehetzt. Kelly wetterte gegen Krieg, aber auch gegen Abtreibung. Sie war für Tibet, für die Kurden, für alle möglichen IndianerInnen. Ungefähr ab 1990 traten die Grünen allerdings die umgekehrte Wandlung des Gert Bastian an: zurück zum Krieg. Aber soweit ich sehe, zogen sich er und Kelly weniger deshalb von der politischen Bühne in das Reihenhäuschen zurück. Kelly war vielen MitstreiterInnen zu eigensinnig und unkooperativ. Sie liebte den Rummel der Medien um ihre Person zu sehr. Trotz ihrer eher »fundamentalistischen« grünen Positionen befürwortete sie, schon damals, bezahlte Berufspolitik. Entsprechend boykottierte sie das »Rotationsprinzip« (den regelmäßigen Ämterwechsel) und den »Ökofonds« ihrer Partei. Verständlicherweise trugen die Anfeindungen nicht gerade zu ihrer Gesundheit bei. Laut Biografin Saskia Richter von Kind auf nierenkrank, wirkte sie inzwischen ausgelaugt und durchängstigt. Bei der Polizei hielt man sie für gefährdet. Als Schulkind hatte sie einen aus den USA stammenden Stiefvater bekommen. Erstaunlicherweise war John Edward Kelly auch schon hoher Offizier gewesen, ein Oberst.
Nun, vermutlich am 1. Oktober 1992, schießt ihr betagter General und Gefährte sie, der amtlichen Version zufolge, bei einem Nachmittagsschläfchen in die Schläfe. Anschließend richtet Bastian seine Pistole (von schräg oben) gegen die eigene Stirn. Es dauert merkwürdigerweise fast drei Wochen, bis die beiden vermisst und entdeckt werden. Umso rascher hat sich der Staatsanwalt sein Bild gemacht: Bastian habe beide Schüsse abgegeben, entweder im Einvernehmen mit Kelly oder in der Überzeugung, ohne ihn sei sie verloren. Damit liege ein »erweiterter Suizid« vor. Für ein »Fremdverschulden« gebe es keine Anhaltspunkte.
Etliche BeobachterInnen sehen das anders. Mal halten sie Bastian für den Mörder seiner Gefährtin; mal glauben sie, Dritte hätten das Paar umgebracht. Beide Annahmen sind keineswegs an den Haaren herbeigezogen, weil es Ungereimtheiten gibt. Warum wurden die Leichen so spät gefunden? Um eine Obduktion zu unterlaufen? Die gab es immerhin noch. Was Kelly angeht, habe die Obduktion keine Hinweise auf eine ernsthafte Krankheit erbracht. Im Übrigen fanden sich weder Abschiedsbriefe noch Testamente noch sonstige Erklärungen der Verstorbenen. Zwar surrte im Erdgeschoß eine elektrische Schreibmaschine, doch sie enthielt auf der Walze nur einen belanglosen Geschäftsbrief, der mitten in einem Satz abgebrochen worden war. Von ihm her schloss die Kripo auf das mutmaßliche Todesdatum: 1. Oktober. Man hatte Bastian, den Autor des Geschäftsbriefes, im Flur des Obergeschosses hingestreckt gefunden, Kelly dagegen auf ihrem Bett. Die Alarmanlage des Hauses war abgeschaltet. Weiter geben eine lediglich angelehnte Balkontür und ein umgestürztes Bücherregal (im oberen Flur) zu denken. Bastian könnte es jedoch nach dem Schuss in die eigene Stirn im Fallen mitgerissen haben. Schmauchspuren von der Tatwaffe will die Kripo nur an seinen Händen bemerkt haben.
Wer ein Mordmotiv Dritter suchte, könnte es wohl im Antimilitarismus und in den entsprechenden Enthüllungen (Waffengeschäfte) des Paares finden – obwohl mir die Mundtotmachung oder Vergeltung zu jener Zeit des Privatisierens ein wenig spät erschiene. Manche Quellen führen den Verdacht an, Kelly sei seit Jahren, von CIA und von neofaschistischer Seite her, einem Psychoterror ausgesetzt gewesen. Davon sprach wohl auch Kelly selber wiederholt. Möglicherweise suchten diese Kräfte den Wandlungsprozess der Grünen zu befördern, der diese »underdogs« binnen weniger Jahre von der Anpinkelei des Imperialismus’ in die Geschäftsführung des Imperialismus’ katapultierte. Andererseits war das Paar, zumindest teilweise, durchaus im Sinne westlicher Strategen tätig, man denke etwa an Tibet. Hier schillert es also ebenfalls.
Entgegen dem Bild des Staatsanwaltes bezweifeln viele Freunde oder Kollegen von Kelly, ihr Tod könne ihr Wunsch gewesen sein. Lukas Beckmann: in Petras Unterlagen fanden sich Hinweise darauf um keinen Deut, und ihr Terminkalender vor voll. Angeblich hatte sie sogar eine Professur in den USA in Aussicht. 2007 bezweifelt auch Saskia Richter, die 2010 noch eine Kelly-Biografie vorlegen sollte, im Spiegel einen Todeswunsch der abgedankten Politikerin: »Sie hatte Pläne, und als der Schuss fiel, schlief sie.« Nach manchen Quellen ist auch das bekannte, in diesem Fall durchaus naheliegende Motiv Eifersucht nicht ausgeschlossen. Marina Friedt behauptet 2017 im Spiegel, Kelly habe zuletzt eine Liebschaft mit einem tibetischen Arzt unterhalten. Vielleicht sah der Ex-General deshalb rot.
Eine recht einleuchtende Theorie zum Tathergang vertrat und vertritt der Arzt und Schriftsteller Till Bastian. Das ist der Sohn. Der Focus-Autorin Beate Strobel gegenüber malt er seinen Erzeuger 2017 keineswegs als den humorlosen Schleifer, als den man den altgedienten Militär erwarten könnte. Obwohl in schnelle Autos und Waffen vernarrt, sei er eher verspielt und tolerant, vielleicht auch gleichgültig gewesen. Er sei jenseits der Familie seinem Leben nachgegangen, dabei viele Frauengeschichten. Kelly habe Bastian die nach wie vor engen Fäden zu seiner Gattin immer sehr übelgenommen. Mich überraschten die Schüsse nicht, sagt der Sohn. Er habe seinen Vater damals sofort für den Täter gehalten. Im folgenden Jahr, 1993, schreibt er in einem Artikel für das Wochenblatt Zeit (Nr. 37): »Ich glaube, dass mein Vater – der an schwerer Gefäßverkalkung auch der Herzkranzgefäße litt – an jenem Donnerstagmorgen von einem heftigen Angina-pectoris-Anfall, einem Infarkt oder einer Lungenembolie heimgesucht wurde; im Gefühl des kommenden Todes glaubte er vielleicht, Frau Kelly, die oft beteuert hatte, nicht ohne ihn leben zu können, nicht allein lassen zu dürfen, sondern mit in den Tod nehmen zu sollen, und erschoss erst sie und dann sich. Es wäre dies eine soldatische Art gewalttätiger Fürsorge gewesen, wie sie sehr gut zu meinem Vater gepasst hätte.«
Auf meine briefliche Nachfrage teilt mir Till Bastian freundlicherweise mit, er habe damals mit dem Gerichtsmediziner telefoniert. Mit dessen Befund einer »hochgradigen Arteriosklerose« bei dem Vater sei Bastians Hypothese »gut vereinbar«, habe ihm der Mann versichert. Nebenbei habe sich in der Brieftasche des Vaters ein Zeitungsartikel gefunden: Was tun bei Herzinfarkt? Sowas trage man ja nicht ohne Grund mit sich herum. Was Kelly angeht, sei sie ihm, dem Arzt, zuletzt »sehr ängstlich und hypochondrisch« vorgekommen. Sein Vater habe eine seelische Erkrankung bei der Gefährtin befürchtet. Von »Verfolgungswahn« habe er, der Sohn, allerdings weder etwas bemerkt noch auch nur gehört.
Für Ulrike Winkelmann (Deutschlandfunk, 1. Oktober 2017) lässt sich der Doppeltod, »wenn überhaupt«, wohl am ehesten »aus der zerstörerischen Abhängigkeit der beiden voneinander« erklären. Das scheint ja auch der Sohn so zu sehen. Winkelmann gegenüber nannte er die Beziehung »eine Falle«.