Heidenheim an der Brenz, hoch oben auf der Schwäbischen Alb, ist eine vitale Stadt. Knapp fünfzigtausend Einwohner, ein Fußballclub, der seit Jahren für Furore sorgt, eine spektakuläre Stadtbibliothek, entworfen von Max Dudler, dem renommierten Baumeister aus der Schweiz, auch eine imposante Freilichtbühne in zauberhafter Naturkulisse gibt es – und ja, einen Gedenkstein, von dem gleich noch die Rede sein wird.
Vorab aber noch rasch ein Blick hinunter auf die Stadt, die sich auf einer Höhenlage von bis zu 645 Meter ausbreitet, durchquert von der schmalen Brenz, einem unaufgeregten Flüsschen. Das Panorama unter städtebaulichen Gesichtspunkten als nicht besonders »homogen« zu bezeichnen, empfinden Einheimische nicht als Beleidigung. Mittendrin und nicht zu übersehen: die Firma Voith. Das Unternehmen, im Jahr 1867 gegründet, ist heute ein weltweiter Technologiekonzern mit bald zwanzigtausend Beschäftigten, führend im Anlagenbau, Energie, Papier, Rohstoffe und Transport. Man nennt so etwas ein »breites Portfolio«. Im Geschäftsjahr 2020/21 betrug der Umsatz rund 4,3 Milliarden Euro. Die Voith GmbH & Co. KGaA ist zu 100 Prozent in Familienbesitz. Kurzum, es lässt sich gut leben in Heidenheim. Dafür sorgt auch die Firma Voith. Der Name gehört zur Stadt.
Ebenso wie ein Name, an den ein massiver Gedenkstein erinnert: der Name des 1891 in Heidenheim geborenen Generalfeldmarschalls Erwin Rommel. Auch 78 Jahre nach seinem Tod wird immer noch und immer wieder in der Bürgerschaft darüber debattiert, ob Hitlers einstiger Lieblingsgeneral wirklich eines Gedenksteins würdig ist. Zu Rommels Ehren, anlässlich seines 70. Geburtstags im Jahr 1961, wurde er errichtet. Als Standort entschied sich die Stadtverwaltung für ein Gelände mit einer alleinstehenden Buche in parkähnlicher Umgebung im Stadtteil »Zanger Berg«. Der einstige Oberbürgermeister Elmar Doch beabsichtigte »etwas architektonisch Schönes« zu schaffen. Und auch der Gemeinderat war der Meinung, General Rommel habe »in der Welt einen guten Klang und seine Heimatstadt keine Veranlassung, von ihm abzurücken«. Das Denkmal wurde genehmigt. Ein zwei Meter hoher Gedenkstein, der seitlich in einem fast vier Meter langen, niedrigen Mauerbogen weitergeführt wird. Ein historisches Statement.
Am 12. November 1961 war es so weit. Das Denkmal wurde eingeweiht. Unter den Gästen: Rommels Ehefrau Lucie und sein Sohn Manfred (der später zum Oberbürgermeister Stuttgarts wird), dazu Landesinnenminister Hans Filbinger (der zum Ministerpräsidenten des Landes aufsteigt, ehe ihn seine Vergangenheit als NS-Marinerichter, der auch an Todesurteilen beteiligt war, um Amt und Ehre bringen). Schon damals waren nicht alle Heidenheimer über die Rommel-Verehrung erfreut. Es folgte eine jahrzehntelange kontroverse Debatte, oft leidenschaftlich und giftig.
Im Zentrum des Streits: Erwin Rommel, der populärste General der Wehrmacht. Am 11. Februar 1941 landeten die ersten deutschen Truppen in Tripolis. Mehr als zwei Jahre tobten wechselvolle Kämpfe entlang der nordafrikanischen Küste. Unter dem Kommando Rommels erzielten die Deutschen spektakuläre Erfolge. Zwar betrachtete Hitler Afrika lediglich als einen Nebenschauplatz des Krieges, doch der sogenannte »Afrikafeldzug« spielte in der NS-Propaganda eine große Rolle. Erst im Sommer 1942 stoppten die Briten den Vormarsch nahe der ägyptischen Stadt El Alamein. Nachdem in Marokko und Algerien US-amerikanische und weitere britische Verbände gelandet waren, kapitulierten schließlich am 12. und 13. Mai 1943 die deutschen Truppen. Was überdauerte, war Rommel als militärische Legenden-Figur.
Schon bald nach dem Krieg kam noch eine weitere Facette zum Rommel-Mythos hinzu. Es gab Material, das ihn in Verbindung brachte mit den Hitler-Attentätern vom 20. Juli. In seinem 1949 veröffentlichten Buch »Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal« behauptete dessen früherer Stabschef Hans Speidel, sein Vorgesetzter habe vom Attentat am 20. Juli 1944 auf Hitler gewusst und es unterstützt. Wegen dieses Vorwurfs war Rommel ja im Oktober 1944 auf Befehl des Diktators zum Selbstmord gezwungen worden. Die Nazis ließen verlautbaren, Rommel sei bei einem Autounfall in der Folge einer Embolie gestorben. In Wahrheit hatte sich Rommel mit Zyankali-Kapseln das Leben genommen. Fortan galt Rommel nicht mehr nur als militärisches Genie, sondern auch als Widerstandskämpfer, als der »gute Deutsche«, der unter dem Hitler-Regime seine moralische Integrität gewahrt hatte. Rommel war nie Mitglied der NSDAP, galt aber als begeisterter Anhänger von Hitler und hat dessen Regime und Kriegspläne gestützt. Rommel war eine Reizfigur. Nicht nur in seiner Heimatstadt.
Es dauerte fünfzig Jahre, ehe im September 2011 die Stadt den Entschluss fasste, neben dem umstrittenen Rommel-Denkmal eine Tafel aufzustellen – auch um den Dauerstreit zu befrieden. Darauf war von »Tapferkeit und Heldenmut, Schuld und Verbrechen«, zu lesen, die im Krieg eng zusammen lägen. Das rief erneut Denkmal-Gegner auf den Plan. Der Text sei nicht zeitgemäß und vermeide es, »sich mit der Komplexität der Person Rommels auseinanderzusetzen«, monierten sie. Wenige Wochen später verhüllten sie die Tafel mit einer schwarzen Plane. Darauf stand in weißen Großbuchstaben: »Kein Denkmal mehr für den Nazigeneral!« Der Befriedungsversuch war einmal mehr misslungen.
Zustimmung in der Rommel-Causa bekamen die Denkmal-Gegner von prominenter Seite. Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« ließ verlauten, Rommel sei »verantwortlich für die Kriegsführung und auch für eine Kriegspraxis, die Menschenleben sinnlosen Befehlen opferte«. Und er sprach sich auch dagegen aus, dass Straßen und Kasernen seinen Namen tragen.
Rommel – der »doppelte General«? Genialer Wüsten-Held und stiller Widerstandskämpfer? Tatsache ist: Dreizehn Straßen sind landesweit nach ihm benannt, auch zwei Kasernen – in Augustdorf (Nordrhein-Westfalen) und Dornstadt bei Ulm. Eine Umbenennung sei nicht vorgesehen, heißt es aus dem Bundesministerium der Verteidigung. Rommel habe verbrecherische Befehle missachtet und das vom NS-Regime geforderte ideologische Feindbild abgelehnt. Zudem rücke die Forschung ihn »zunehmend in die Nähe des Widerstandes« gegen Hitler. Damit sei er weiter »sinn- und traditionsstiftend«. Das liest sich in einem Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zur Rommel-Debatte vom Februar 2019 gänzlich anders: Es bleibe festzustellen, »dass sich seine Rolle im Widerstand auch nach neuesten Forschungen rund um das Netzwerk des 20. Juli auf eine mögliche Mitwisserschaft beschränkt«, heißt es da. Dem Verteidigungsministerium scheine allein dies schon für eine »Traditionswürdigkeit« auszureichen. »Denn irgendein aktives widerständisches Verhalten konnte für Rommel bis heute von der historischen Forschung nicht belegt werden.«
Wohin also mit dem Rommel-Denkmal? Wohin mit dem Werk des Bildhauers Franklin Pühn, der den Stein – gestiftet vom »Verein deutsches Afrikakorps« – 1961 geschaffen hatte? Erst 2014 zeigte sich der Gemeinderat offen für die Idee, dem Gedenkstein ein zeitgemäßes Mahnmal entgegenzusetzen. Eine Umgestaltung sollte die jahrzehntelange Debatte um den General nun endgültig beenden. Ein engagiertes Unterfangen.
Der Vorschlag, das Denkmal abzureißen, fand keine Mehrheit. Also suchte man nach einem befriedenden Kompromiss – und fand ihn. Der heimische Künstler Rainer Jooß ging ans Werk. Er hat den Gedenkstein unangetastet gelassen, ihm aber ein Gegendenkmal entgegengesetzt und damit in einen neuen Kontext gestellt. Dem klobigen Denkmal hat er eine fragile Stahlstatue eines Minenopfers gegenübergestellt. Ein Verweis darauf, dass Rommels Soldaten vor ihrem Abzug große Minenfelder hinterließen, die vielen Menschen Verletzung und Tod brachten. Jooß hat seine Skulptur so platziert, dass zeitweise ein Schlagschatten auf das Denkmal fällt, auf dem noch immer zu lesen ist: »Erwin Rommel – Aufrecht, ritterlich und tapfer bis zu seinem Tode als Opfer der Gewaltherrschaft.«
Ein irritierender Satz. Rommel war nicht Opfer. Er war Täter. Hitler führte in Nordafrika einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und sein General Rommel stand dabei an vorderster Front. Angemessen wäre die Inschrift: »Er war General eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs. Ein General Hitlers, der Schmerz und Tod in die Welt brachte«.
Heidenheim ist kein solitärer Ort. In fast jeder deutschen Kleinstadt gibt es Kriegs-Denkmäler, insgesamt sollen es mehr als Einhunderttausend sein. In zahlreichen Städten und Gemeinden werden Wegbereiter und Parteigänger der Nationalsozialisten von Straßenschildern verbannt und NS-kontaminierte Denkmäler mit kritischen Erläuterungs-Tafeln versehen. So wird es im südhessischen Darmstadt statt einer Hindenburg-Straße künftig eine Fritz Bauer-Straße geben. Eine späte Würdigung des Mannes, der als Hessischer Generalsstaatsanwalt dafür sorgte, dass der erste Ausschwitz-Prozess stattfand.
Bleibt ein Nachtrag: Nur wenige Kilometer von Heidenheim, im nahen Königsbonn, wuchs Georg Elser auf. Im November 1939 wollte der Schreinergeselle Hitler während dessen Rede im Münchner Bürgerbräukeller mit einer selbstgebastelten Bombe aus dem Leben befördern. Der Anschlag misslang. Elser wurde verhaftet, lange Jahre inhaftiert, schließlich kurz vor Kriegsende im KZ Dachau ermordet. Lange Jahre wurde er, anders als Hitlers-General Rommel, in seiner Heimat ignoriert. Heute werden seine Person und seine Tat gewürdigt. Eine Schule trägt seinen Namen. Elser ist der wahre Antagonist Rommels.
Neuerscheinungen des Autors zum Thema:
Helmut Ortner, Volk im Wahn. Hitlers Deutsche oder: Die Gegenwart der Vergangenheit, Edition Faust, 296 S., 22 €.
Helmut Ortner, Der einsame Attentäter, Georg Elser – Der Mann, der Hitler töten wollte, Nomen Verlag, 264 S., 18 €.