Die Ruhe Heinrich Heines ist auch 2021 noch gestört. Nicht ausschließlich auf Grund der dramatischen Corona-Epidemie. Die Politik scheint im Tollhaus Quartier genommen zu haben. Die Zeremonienmeister der Parteien der Großen Koalition schauen mit bangen Blicken auf die kommenden Landes- und Bundestagswahlen 2021.
Die Medienbeiträge der letzten Monate haben es nicht vermocht, im Nachdenken über das Land Ruhe einkehren zu lassen. Es sind nicht nur Phantomschmerzen, die die Spaltung zwischen Ost und West oder zwischen Oben und Unten verursacht. Das Unbehagen ist ebenso real wie die Sorge, die der Klimawandel verursacht.
Die Hartz-Gesetze werden vom Parlament wie rohe Eier behandelt. Trotz heftiger Kritiken werden sie nicht aufgehoben. Sie brachten vor allem Flexibilität für die Unternehmen, Arbeitnehmer zu entlassen und so das Land zu spalten. Die Lohntarif- und Renteneinheit in allen deutschen Bundesländern kommt nicht auf die Tagesordnung des Parlaments und wird in die ferne Zukunft verschoben.
Die Pandemie schafft ein Bündel neuer Sorgen für alle Etagen der Gesellschaft. Das Krisenmanagement der Regierung zur Überwindung von Corona kann nicht überzeugen. Rettungsfonds und Kaufprämien zu Gunsten der Wirtschaft werden über höhere Staatsschulden beschlossen. Dividenden können so bei VW, der Lufthansa u. a. weiterhin gezahlt werden. Kurzarbeit verringert sofort die Einnahmen der Betroffenen. Der Verteilungsschlüssel, wie die Rückzahlung der steigenden Staatsschulden erfolgt, wird nicht verändert. Der Souverän wird auch nicht informiert, wer die Gelder für neue Schulden und zu welchen Zinsbedingungen und Fristen bereitstellt. Vielleicht BlackRock durch freundliche Vermittlung von Herrn Merz (CDU).
Es bleibt so wie bisher, die Unteren tragen die Last. Die Unruhe kommt aus einer alten Quelle, die Heine schon nicht schlafen ließ. Höhere Steuersätze der »Einprozentdeutschen« und ordentliche Beiträge der »Leistungslosen Erben« könnten zur Teillösung beitragen. Auch eine Streichung der Drohnenkäufe und anderer Anschaffungen des Verteidigungsministeriums würden helfen. Steigende Lebensmittelpreise und höhere Gebühren werden schon 2021 von den Unteren abverlangt.
Der Arbeitsminister, der die Vorschläge der Linkspartei zum Grundeinkommen und zur Erhöhung des Mindestlohnes aufgegriffen hat und auf die Tagesordnung des Parlaments brachte (danke dafür), kümmert sich um die Probleme der Heimarbeit. Sicher eine ernsthafte Sache für Familien mit Kindern. Die Gewerkschaften, ja, Deutschland hat noch welche, prüfen möglicherweise noch, wie sie tätig werden könnten.
Über die AfD wäre Heinrich Heine sicher nicht erfreut gewesen. Insbesondere weil es der deutsche Rechtsstaat nicht vermocht hat, die ständigen Glutnester des Neonazismus dauerhaft zu beseitigen. Bei der Truppe glimmt auch so ein Nest. Die AfD gehört eben zum konservativen Lager Deutschlands, bestehend aus CDU/CSU und FDP mit ihren internen rechtsgerichteten Plattformen. Die Aufregungen aller Parteien der letzten Monate haben ihre Gründe eher darin, dass das Beschaffungswesen im Kampf gegen Corona hin und wieder zu einem Geschäftsmodell geworden ist.
Eine Gefahr des Faschismus sei in Deutschland nicht gegeben, meinte irrigerweise der Parteienforscher Elmar Wiesendahl (»Parteien«, 2006, Fischer Kompakt). Dennoch glimmt die Gefahr des Neonazismus in Hanau, Halle und anderen Orten. Es besteht der Anschein, dass die Macht ausübende Politik sie toleriert. Dem linken Lager aus SPD, Linken und Grünen werden viele Protestwähler in Richtung Rechts entzogen, die mit der Politik der Großen Koalition nicht zufrieden sind. Die linke Seite muss bei Wahlen schon die vermeintliche Hypothek der maroden DDR-Wirtschaft tragen, Von der zweiten Lohntüte wurde und wird kaum berichtet, also von subventionierten Wohnungsmieten und öffentlichen Verkehrstarifen, billigen Grundnahrungsmitteln und sozialverträglichem Gesundheitswesen. Der hohe soziale Wert der Vollbeschäftigung wird medial nicht thematisiert.
Es geht aber nicht darum, die Politik en bloc zu verdammen. Es geht um Gerechtigkeit und um die Verringerung der Spaltung der Gesellschaft nach 30 Jahren Einheit.
Erfreulich ist, dass die Jugend inzwischen den Corona-Schock überwunden hat und wieder öffentlichen Druck auf Regierung und Opposition ausübt, damit »die da Oben« reale Maßnahmen zum Klimaschutz schneller und wirksamer veranlassen. Auch die Sorgen der Unteren in Ost und West bleiben nicht bei den eigenen Lebensbedingungen stehen. Es gibt noch solidarische Haltungen zu den Flüchtlingen in Griechenland, Italien, der Türkei und an den Küsten des Mittelmeeres. Die Ursachen von Flucht, Kriegen und Spaltung des Landes, sind für die Medien kein Thema. Eher sind schon Russland, China und der Iran ein Mantra wert.
Mit Sorgen hätte Heinrich Heine festgestellt, dass in Deutschland 80 Jahre nach dem Holocaust noch immer Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit herrschen. Ablehnende Äußerungen gegenüber fremden Völkern gehen bis in die Parlamente Deutschlands. Russland, China, Muslime werden nicht mit der gebührenden Achtung behandelt. In Länderberichten ist die Wahl der Worte bedenklich. Bei der Beurteilung der Menschenrechte dieser Länder wird regelmäßig die Einhaltung der sozialen Menschenrechte vergessen. Unsere Sprachkultur entspricht nicht den Anforderungen der Einen Welt. Europa wird sich in vielen Politikfeldern künftig umstellen müssen. Die Liste des Weltkulturerbes der Vereinten Nationen belegt die großartigen Leistungen der Völker anderer Kontinente. Die Mathematik hat mit der Einführung der Null durch China und die Maya/Olmeken, wie auch die Zahlenwelt über die Araber beachtliche Impulse erhalten. Das Schriftwesen entstand in Mesopotamien, Ägypten, China, und Lateinamerikas. Ohne die züchterischen Leistungen von Reis, Mais, Kartoffeln, Tomaten u. v. m. wäre die Welternährung nicht zu sichern. Die erste Atomwaffenfreie Zone der Welt wurde 1967 in Zeiten des Kalten Krieges in Lateinamerika geschaffen. Das Prinzip der »Friedlichen Koexistenz zwischen den Völkern«, ein Bestandteil der Liste des Erbes der Welt, kommt aus Russland und China.
Der weltweit bedenkliche ökologische Zustand der Erde und das Chaospotential des militärisch-industriellen Komplexes erfordern dringend eine Politikwende – mit Abgeordneten, die den Namen Homo Sapiens verdienen. Die Rüstungsgelder werden für die Forschung im Gesundheitswesen, der Materialwirtschaft, der Anhebung des Wohlstandes vor allem der Länder der Dritten Welt zum Überleben benötigt.
Der Autor (ex. Direktor des Schweizer Instituts für Betriebsökonomie, der staatlichen Plankommission, ex. Vorstand einer Wohngenossenschaft) schlägt in seinem Buch »Hat die Welt eine Zukunft?«, Alternativen vor. Verlag am Park.