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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das solidarische Haus

Neu­lich kom­me ich nach Hau­se, da guckt mich mein Haus so merk­wür­dig an. Als ob ich irgend­was falsch gemacht habe. Oder viel­leicht ein kom­plet­ter Idi­ot bin. Ich mag so nicht ange­guckt wer­den. Aber ich weiß, dass man sich über Blicke auch schnell mal täuscht. Dar­um habe ich das The­ma offen ange­spro­chen und mein Haus gebe­ten, sich zu erklären:

»Ja was, du kommst ein­fach so nach Hau­se, als wäre es dein gott­ver­damm­tes Recht, nach einem anstren­gen­den Tag zu dir nach Hau­se zu kom­men und alles so vor­zu­fin­den, wie es dir passt. Die­ser Blick hat mich genervt: Ach, was hab ich doch für ne hüb­sche Woh­nung und was ist doch das klei­ne Häus­chen drum­rum so nied­lich! Sag mal guckst du kei­ne Nach­rich­ten? Ist bei dir ange­kom­men, dass Mil­lio­nen Men­schen ent­we­der über­haupt kein Haus mehr haben oder aber ein Haus, in dem kein ein­zi­ges Fen­ster mehr drin ist und viel­leicht nicht mal mehr alle vier Wän­de? Fin­dest du, dass du allein auf der gan­zen Welt das selbst­ver­ständ­li­che Recht hast in einem nied­li­chen klei­nen Häus­chen zu woh­nen, das dir alles bie­tet, wonach dei­ne Bequem­lich­keit ver­langt? Es gibt übri­gens Art­ge­nos­sen von dir, die haben längst ange­fan­gen, den Kriegs­op­fern zu hel­fen, und man­che haben sogar Platz gemacht in ihrer Woh­nung oder ihrem Haus, damit ande­re wie­der ein Dach über dem Kopf haben. Und was machst du? Du erklärst dei­ner Frau, war­um es Krie­ge gibt, und gehst zufrie­den ins Bett, wenn sie nicht mit Gegen­stän­den nach dir gewor­fen hat. Hast du dich schon mal gefragt, ob Häu­ser ihren tem­po­rä­ren Inhalt genau­so nied­lich fin­den wie umge­kehrt? Ob Häu­ser mit ihren Bewoh­nern glück­lich sind? Oder kon­kret, ob ich mir in mei­nem Innern nicht auch was ande­res vor­stel­len oder gar wün­schen, ja, aus tief­stem Stein­her­zen erseh­nen könn­te als dich unem­pa­thi­sche Nuss?!

Damit du es weißt: Wir Häu­ser lei­den mit, wenn unse­re Schwe­stern und Brü­der von irgend­wel­chen gei­stes­kran­ken Men­schen bom­bar­diert wer­den. Uns ist es nicht egal, dass in Char­kiw die Blü­te der sowje­ti­schen Moder­ne, der Kon­struk­ti­vis­mus oder, wie du sagen wür­dest, der Bau­haus­stil, gera­de in ein Stein­mehl­ge­bir­ge ver­wan­delt wird. Wir schrei­en vor Schmerz, wenn die Men­schen vor Angst schrei­end ihre Häu­ser ver­las­sen oder aber, weil sie das nicht mehr geschafft haben, unter deren zer­stückel­ten Kör­pern ster­ben müs­sen. Und ich sag dir noch was: Auch unse­re ent­fern­te­ren Ver­wand­ten ver­ges­sen wir nicht, seit eure Medi­en bequem nur noch den Nach­bar­krieg über­tra­gen. Wir den­ken immer noch mit Stolz und mit Wut an die früh­is­la­mi­schen Pfef­fer­ku­chen­häu­ser von Sanaa, die erst von eurem Kli­ma­wan­del kaputt­ge­reg­net wur­den, jetzt von den Rake­ten eures Lieb­lings­kun­den Sau­di-Ara­bi­en aus­ge­löscht wer­den. An die stil­vol­len ortho­do­xen Kir­chen von Tigray, die in einer Kopro­duk­ti­on von kor­rup­ten Sepa­ra­ti­sten, Trup­pen eines grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Frie­dens­no­bel­preis­trä­gers und einer unmensch­li­chen Nach­bar­dik­ta­tur eli­mi­niert wer­den. An die Häu­ser der Bau­ern und Bäue­rin­nen von Afrin und den ande­ren okku­pier­ten Kan­to­nen des nord­sy­ri­schen Roja­va, zer­schos­sen von deut­schen Pan­zern, in denen tür­ki­sche Nato-Alli­ier­te saßen und wei­ter sitzen.

Bist du noch da? Nee, ich frag nur, weil ihr Men­schen oft weg­rennt, wo nach­ge­dacht wird. Sich gru­seln ist ja auch ange­neh­mer. Na dann, gru­sel dich wei­ter vor dei­nem Fern­se­her. Und freu dich auf zu Hau­se jeden Abend, wenn du von dei­nem Bull­shit-Job kommst. Nur guck bit­te nicht genau­er hin im Haus. Wir Häu­ser sind soli­da­risch. Ich schick immer mal einen Stein in die Ukrai­ne, ein Stück Regen­rin­ne nach Jemen, eine Tür­klin­ke nach Tigray. Du merkst es nicht und ich kann es geben. Ewig steh ich eh nicht. Spä­te­stens, wenn eure Tot­rü­stung sich ihren Namen ver­dient hat und Krieg end­lich auf der gan­zen Welt herrscht, bin ich weg. So lan­ge wün­sche ich dir einen geruh­sa­men Feierabend.«