Die Epoche der literarischen Romantik lässt sich in Deutschland vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verorten. Zunächst versammelten sich in Jena die Frühromantiker, und in Heidelberg agierten dann die Hochromantiker, während Berlin als geistiges Zentrum der Spätromantiker galt. Aber wo wohnten und wirkten die Poeten hier in Berlin, das damals rund 150.000 Einwohner hatte, und was arbeiteten sie im »richtigen« Leben?
Der Kulturjournalist und Stadtführer Michael Bienert, der schon zahlreiche Bücher zur Literatur- und Kulturgeschichte Berlins veröffentlicht hat, nimmt in seiner Neuerscheinung die LeserInnen mit auf einen Spaziergang durch das romantische Berlin. Hier stellte vor zweihundert Jahren eine junge Generation alle überkommenen Traditionen in Frage, und die Großstadt wurde zum Experimentierfeld für neue Poesie und eine Vermischung von Kunst und Leben.
Nach einer kurzen Einleitung geht es auch schon los mit der Romantik-Entdeckung in Berlin. Erste Station ist das Goethe-Denkmal im Tiergarten. Der Dichterfürst aus Weimar wurde von den Frühromantikern hoch verehrt. Der Goethekult gehörte zur Romantik wie die Verklärung des Mittelalters oder die blaue Blume. In unmittelbarer Nachbarschaft des Potsdamer Platzes mit seinen imposanten Hochhäusern erinnern Straßennamen wie die Brüder-Grimm-Gasse, die Schellingstraße oder die Joseph-von-Eichendorff-Gasse noch heute daran, dass in diesem Quartier zahlreiche Romantiker zeitweise ihr Zuhause hatten.
Weitere Stationen auf dem Rundgang sind das Kleisthaus am Zietenplatz, die Schleiermacherhäuser oder der Dorothea-Schlegel-Platz, der seit 2005 an die Schriftstellerin und Übersetzerin erinnert, die auch eine Vorreiterin der Emanzipation in Deutschland war. Die 1810 gegründete Berliner Universität war ebenfalls ein Hort der Romantik. An ihr lehrten damals unter anderen auch die beiden Philosophen Schleiermacher und Fichte. Fichtes »Reden an die deutsche Nation« waren nicht nur ein flammender Appell zum Widerstand gegen Napoleon, mit ihnen entwickelte er auch das Ideal eines auf philosophische Prinzipien gegründeten Staates.
Auf dem Arnimplatz erinnert eine große Bronzeskulptur des Bildhauers Michael Klein an das Dichterehepaar Bettina und Achim von Arnim. Jahrelang führte das Paar eine Fernbeziehung (sie in Berlin, er auf seinem Gut Wiepersdorf in der Nähe von Jüterbog), was aber zu einem umfangreichen Briefwechsel führte. Heute ein Glücksfall für die Literaturgeschichte.
An rund dreißig Orte führt Bienerts romantisierender Streifzug. Anschaulich und lebendig erzählt er nicht nur von den Berlin-Aufenthalten der Romantiker, er gibt auch einen Überblick über ihre gesamte Biografie und lässt sie gelegentlich mit Gedichten oder kurzen Prosatexten selbst zu Wort kommen. Die Neuerscheinung entpuppt sich damit als ein Stadtführer und eine kompakte Literatur- und Kulturgeschichte in einem. Auch Berlin-Durchreisende wie Napoleon, Stendhal oder Germaine de Staël finden Berücksichtigung.
Bienert ist ein ausgezeichneter Kenner des literarischen Berlins, der die Romantik des 19. Jahrhunderts sichtbar macht – selbst wenn an einer neuverputzten Fassade nur noch eine Gedenktafel daran erinnert. Dem begnadeten Flaneur und Erzähler auf den 200 Seiten zu folgen, garantiert Wissenszuwachs und Unterhaltung, denn neben Fakten und Details werden auch immer wieder Geschichten und Anekdoten eingestreut. Zum Lesespaß trägt auch die üppige Illustration mit historischen Abbildungen und aktuellen Fotos bei.
Michael Bienert: Das romantische Berlin – Literarische Spaziergänge, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2022, 200 S., 25 €.