Man will es einfach nicht glauben, aber die Meldung schlug wie Blitz und Donner in den Feuilletons ein: Goethes »Faust« wird ab 2024 als Pflichtlektüre für bayerische Abiturienten gestrichen. Während der deutsche Schulbetrieb noch im Sommerferienmodus verharrte, erfasste das ganze Land der Menschheit ganzer Jammer und ließ die anderen Krisen dieses Jahres für einige Tage verschwinden. Kein verpflichtender »Faust« mehr?! In Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern zwar schon seit ein paar Jahren – aber nun in Bayern? Da heulten die Sirenen vom Untergang der Kultur. Die Klassik Stiftung Weimar appellierte an den bayerischen Ministerpräsidenten, die Entscheidung rückgängig zu machen.
Die Gretchenfrage ist jedoch, welcher Prüfungskanon soll nun das wohl berühmteste Drama der deutschen Literaturgeschichte ersetzen? Mit Lessings »Nathan der Weise«, Thomas Manns »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«, Georg Büchner, Theodor Fontane, Franz Kafka, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Anna Seghers oder Günter Grass hat die deutsche Literatur genügend Beispiele für eine angemessene Lektüre und Abiturprüfung. Es bleibt jedoch zu befürchten, dass darüber hitzige Grundsatzdebatten quer durch alle politischen Lager geführt werden. Und am Ende entscheidet jedes Bundesland, jede Schule und jede/r DeutschlehrerIn wohl selbst, was allerdings das angestrebte vergleichende Abitur fast unmöglich macht.
Ach, bin ich froh, dass ich armer Tor nicht entscheiden muss. Mein Abitur liegt immerhin schon fast sechzig Jahre zurück. Wir haben den »Faust« gelesen, doch zum schriftlichen Deutschabitur hatten wir drei Themen zur Auswahl – neben der obligatorischen Gedichtinterpretation auch ein Goethe-Zitat. Übrigens besitze ich mehrere »Faust«-Ausgaben – vom vergilbten Reclamheft bis zur illustrierten Prachtausgabe. Sie haben weiterhin Bleiberecht in meinem Bücherschrank.