Der griechische Komödiendichter Aristophanes hätte sich nicht einmal in einer seiner wildesten Komödien ausdenken können, dass 2400 Jahre später sein Geburtstag ein ganzes Jahr lang – es handelte sich um das Jahr 1954 – weltweit gefeiert werden würde. (Jedenfalls von den Friedensbewegten im Osten und denen, die keine Berührungsängste gegenüber den »sozialistischen Ländern« hatten.)
Dass dies geschah, ist der Tätigkeit des Weltfriedensrates (WFR) zu verdanken. Dieser war im November 1950 auf dem »2. Weltfriedenskongress« in Warschau zur Förderung der friedlichen Koexistenz und der nuklearen Abrüstung gegründet worden und stand in der Tradition der Friedensbewegung, die Anfang der 1930er Jahre einen damals schon befürchteten erneuten Weltkrieg verhindern wollte.
Der Weltfriedensrat dieser Zeit galt und gilt als kommunistisch dominiert; doch waren dort auch Personen organisiert, deren Bemühungen für die Erhaltung des Friedens im Westen keinen Rückhalt fanden. Der Historiker Rüdiger Schlaga kam 1991 in einer umfangreichen Untersuchung zu dem Ergebnis: »Bis in die Mitte der [19]60er Jahre wurde immer wieder versucht, die thematische wie politische Verengung auf die sozialistischen Länder aufzubrechen und die Organisation als integren und potenten Bündnispartner in die weltweiten Bewegungen für Frieden und Abrüstung einzubinden.« Er stellte aber anschließend fest, dass das dominante Verhalten der UdSSR diese Bemühungen zunichtemachte.
Dessen ungeachtet, lässt sich aber feststellen, dass der Weltfriedensrat eine gute Wahl getroffen hatte, als er im November 1953 beschloss, Aristophanes’ Geburtstag im gesamten folgenden Jahr zu feiern, denn dieser antike Dichter hatte in mehreren Komödien während des entscheidenden innergriechischen Krieges (des Peloponnesischen Krieges 431-404) immer wieder den Friedensgedanken unterstützt und Kriegshetzer lächerlich gemacht. Er hatte dabei die damals zeitweilig weitgehende Freiheit der Äußerungsmöglichkeit genutzt, war jedoch auch auf erbitterten Widerstand gestoßen, was seine Hartnäckigkeit aber nicht verminderte.
Bekannt ist bis in jüngste Zeit seine Komödie »Lysistrata«, deren Handlung auf dem Plan der Hauptperson beruht, die Männer durch Verweigerung des Geschlechtsverkehrs dazu zu zwingen, den Krieg zu beenden. In den »Acharnern« schließt die Hauptperson Dikaiopolis einen Privatfrieden mit dem Kriegsgegner Sparta für sich und seine Familie. Im »Frieden« wird die »Eirene«, die Friedensgöttin, aus ihrer Gefangenschaft befreit, und die Waffenproduzenten haben den Schaden. Selbst in seiner letzten erhaltenen Komödie, dem »Plutos« (388) – dieser war der Gott des Reichtums – beschäftigt sich Aristophanes indirekt weiterhin mit dem Thema »Krieg und Frieden«: Nach der Niederlage Athens fanden die Krisen kein Ende; auch Sparta konnte seine Dominanz nicht lange halten. Die Schwächung der griechischen Staaten hatte große ökonomische Folgen; sie führte zur Verarmung zunehmend größerer Kreise der Bevölkerung. Nun wurde eine der sozialen Kriegsfolgen – Verarmung – sein Thema.
Welche Gedanken den WFR zu seiner – gelinde gesagt: originellen, es ließe sich auch sagen: skurrilen – Entscheidung bewegt hat, das Jahr 1954 zum Aristophanes-Jahr zu erklären, ließe sich nur auf Grund der Akten dieser Organisation genauer bestimmen. (Was das Bundesarchiv aus dem Bestand der DDR-Unterlagen bietet, ist kümmerlich: Die 35 Seiten enthalten drei mit Aristophanes sympathisierende Beiträge in französischer Sprache, zwei davon aus der Feder griechischer AutorInnen, sowie einen Artikel aus dem Neuen Deutschland vom 24.5.1953 mit einer Liste der »neuen Mitglieder des Weltfriedensrates« – damals, wie bis 1955 üblich – noch Einzelmitglieder.) Naheliegend ist die Vermutung, dass ein Zusammenhang besteht mit der vorläufigen Beendigung des Korea-Krieges (Waffenstillstand vom 27. Juli 1953.) Welche Bedeutung der Tod Stalins am 5. März desselben Jahres mitsamt den folgenden politischen Turbulenzen gehabt hat, ist schwer einzuschätzen.
Auf jeden Fall waren nun zunächst die Altertumswissenschaftler gefordert, die einen in der Rolle als Unterstützer, die anderen als Opponenten dieses Projekts: Aristophanes in der Mitte des 20. Jahrhunderts als Vorfahren des Weltfriedensrates zu feiern.
Durchmustert man die Bände des »Marouzeau«, der internationalen Bibliographie im Bereich der Altertumswissenschaften, in diesem und den folgenden Jahren, stößt man auf etliche Beispiele dafür, dass die Ausrufung des Aristophanes-Jahres offenbar anregend auf die Produktion der Wissenschaftler in den »sozialistischen Staaten« gewirkt hat. Wie wäre es sonst zu erklären, dass in Polen ein detaillierter Überblick über die Aristophanes-Rezeption seit der Frühen Neuzeit erschien? Oder dass eine Bearbeitung der aristophanischen Stücke »Die Acharner« und »Der Frieden« durch Lion Feuchtwanger (bereits 1918 erschienen), am 29.12.1954 in Potsdam uraufgeführt wurde und anschließend 22 Aufführungen erlebte? In Polen und in der UdSSR erschienen volkstümliche Einführungen in das Werk des antiken griechischen Komödiendichters. Ein Rezensent aus der BRD rümpfte 1957 die Nase über ein im Jahre 1955 in der UdSSR erschienenes Werk: »Auftraggeber war der kommunistische ›Weltfriedenskongress‹, der den 2400. Geburtstag (sic!) [im Original – L.Z.] zu feiern aufforderte. Die gestellte Norm wurde […] erfüllt.«
Kurz und schlecht: Selbst im engsten Fachkreis erreichte das »Aristophanes-Jahr« nur geteilten Zuspruch. Noch weniger finden sich Spuren der politischen Wirkung außerhalb der Länder des »real-existierenden Sozialismus«.
Das »Aristophanes-Jahr« eine propagandistische Rakete, die nicht zündete? So kann man es sehen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Kalte Krieg damals einen seiner Höhepunkte erlebte – so wie heute wieder!
Wir sollten also im Interesse einer gerechten Beurteilung dieses Versuchs, antiken Antimilitarismus wiederzubeleben, den Blick auf diejenigen Mitglieder richten, die diesseits des »Eisernen Vorhangs« lebten und sich für den Frieden einsetzten. Sie wurden damals in vielen Fällen diffamiert. Es dürfte für die »Freischwebenden« unter ihnen eine Ermunterung ihres Engagements gewesen sein, zu wissen, dass 2400 Jahre zuvor ein Autor unter anderen Bedingungen ähnliche Ziele – und dazu in deutlicher Sprache – verfolgte wie sie.
Dieser Gedanke lässt sich auf die Gegenwart übertragen: Es muss nicht Aristophanes sein, der Friedensbewegte ermutigt; aber es ist sicher auch heute gut zu wissen, dass das Engagement für den Frieden tiefe Wurzeln in der Geschichte hat.