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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Darwins ®Evolution

Vor 150 Jah­ren, am 24. Febru­ar 1871, erschien in dem Lon­do­ner Ver­lag von John Mur­ray das zwei­bän­di­ge Werk »The Des­cent of Man, and Sel­ec­tion in Rela­ti­on to Sex« (dt. »Die Abstam­mung des Men­schen und die geschlecht­li­che Zucht­wahl«) von Charles Robert Dar­win (1809-1882). Die erste Auf­la­ge von 2.500 Exem­pla­ren war bereits nach drei Tagen aus­ver­kauft. Es folg­ten meh­re­re Nach­drucke, und noch im sel­ben Jahr erschien in der E. Schweizerbart’schen Ver­lags­buch­hand­lung Stutt­gart die deut­sche Über­set­zung des Leip­zi­ger Zoo­lo­gen Juli­us Vic­tor Carus (1823-1903), der schon län­ger mit Dar­win in Kor­re­spon­denz stand. Er hat­te sich recht­zei­tig um die Über­set­zungs­rech­te bemüht und bereits im Okto­ber 1870 die ersten Kli­schees erhal­ten. Auch die erwei­ter­ten Nach­drucke in den fol­gen­den Jah­ren über­setz­te Carus umge­hend. Dar­über hin­aus folg­ten in den näch­sten Mona­ten Über­tra­gun­gen in alle wich­ti­gen euro­päi­schen Sprachen.

Mit die­sem Werk ver­än­der­te Dar­win unser Welt- und Men­schen­bild für immer. Sei­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie lie­fer­te erst­mals eine schlüs­si­ge Erklä­rung dafür, wie Arten aus ande­ren Arten ent­ste­hen, war­um sie sich wan­deln und wie­der ver­schwin­den. Zum ersten Mal ver­wen­de­te er hier den Ter­mi­nus »Evo­lu­ti­on«, den er aller­dings von dem bri­ti­schen Phi­lo­so­phen und Sozio­lo­gen Her­bert Spen­cer (1820-1903) über­nahm, der den Evo­lu­ti­ons­be­griff bereits um 1860 im Sin­ne der Ver­än­de­rung von Arten ver­wen­det hatte.

Dar­win hat­te zunächst Medi­zin und dann Theo­lo­gie stu­diert, sich aber neben­bei inten­siv mit Natur­wis­sen­schaf­ten beschäf­tigt. Mit 22 Jah­ren erhielt er dann die ein­ma­li­ge Chan­ce sei­nes Lebens: Als unbe­zahl­ter Natur­for­scher durf­te er an einer Expe­di­ti­on des Ver­mes­sungs­schif­fes »HMS Bea­gle« teil­neh­men, die ihn rund um die Welt führ­te und fast fünf Jah­re dau­er­te. Es soll­te eine der fol­gen­reich­sten Expe­di­tio­nen der Mensch­heits­ge­schich­te wer­den. Bei die­ser Mis­si­on erforsch­te Dar­win die geo­lo­gi­schen Eigen­schaf­ten der Kon­ti­nen­te und Inseln. Mit glü­hen­dem Eifer unter­such­te er eine gro­ße Anzahl von Lebe­we­sen und Fos­si­li­en und fand vie­le Gemein­sam­kei­ten zwi­schen den ver­schie­de­nen Lebens­for­men. Beson­ders die Beob­ach­tun­gen und Ent­deckun­gen auf den Gala­pa­gos-Inseln leg­ten den Grund­stein für sei­ne Über­le­gun­gen, die spä­ter in die Evo­lu­ti­ons­theo­rie mün­den soll­ten. Dar­win kehr­te mit über 1500 Pflan­zen- und Tier­prä­pa­ra­ten nach Eng­land zurück sowie mit einer rie­si­gen Samm­lung von Fel­len, Federn, Kno­chen, Fos­si­li­en und Stei­nen. Jah­re­lang war er mit der Aus­wer­tung sei­ner »Beagle«-Reise beschäf­tigt. 1839 ver­öf­fent­lich­te er mit »Die Fahrt der Bea­gle« einen umfang­rei­chen und span­nen­den Rei­se­be­richt, der zugleich eine wis­sen­schaft­li­che Abhand­lung über Bio­lo­gie, Geo­lo­gie und Anthro­po­lo­gie war. Das Rei­se­ta­ge­buch erleb­te sofort meh­re­re Auf­la­gen und ist heu­te noch Dar­wins meist­ge­le­se­nes Buch.

Im Ergeb­nis sei­ner Welt­um­seg­lung hat­te Dar­win bereits 1838 eine erste Theo­rie der Anpas­sung der Arten an ihren Lebens­raum durch Varia­ti­on und natür­li­che Selek­ti­on ent­wor­fen. War­um es dann über zwan­zig Jah­re dau­er­te, bis er die Theo­rie in sei­nem berühm­ten Werk »On the Ori­gin of Spe­ci­es by means of Natu­ral Sel­ec­tion« (»Von der Ent­ste­hung der Arten durch natür­li­che Züch­tung«; kurz »Ent­ste­hung der Arten«) 1859 publi­zier­te, gibt den heu­ti­gen Histo­ri­kern immer noch Rät­sel auf. Die Erklä­rungs­ver­su­che für den lan­gen Auf­schub rei­chen von Angst vor den Reak­tio­nen und dem Repu­ta­ti­ons­ver­lust bis zu zeit­auf­wän­di­gen Unter­su­chun­gen und Aus­wer­tun­gen, um sei­ne bahn­bre­chen­den Ideen zu untermauern.

In den fol­gen­den Jah­ren ver­öf­fent­lich­te Dar­win noch zahl­rei­che Publi­ka­tio­nen, in denen er Aspek­te sei­ner Theo­rie detail­liert dar­leg­te. Auch aus sei­nen vie­len Begeg­nun­gen und Dis­kus­sio­nen mit renom­mier­ten Wis­sen­schaft­lern sei­ner Zeit ent­stan­den immer wie­der neue Ansatz­punk­te. Erst nach­dem berühm­te Natur­for­scher wie Alfred Rus­sel Wal­lace (1823-1913) oder Ernst Haeckel (1834-1919) Dar­wins Theo­rie auf den Men­schen ange­wandt hat­ten, über­wand er sein lan­ges Zögern und ver­fass­te »Die Abstam­mung des Men­schen«, sein zwei­ter wis­sen­schaft­li­cher Pau­ken­schlag (»Mir ist, als gestän­de ich einen Mord«) nach »Ent­ste­hung der Arten«. Auf­grund sei­ner vie­len Beob­ach­tun­gen und Unter­su­chun­gen for­mu­lier­te er hier als erster die Selek­ti­ons­theo­rie der Evo­lu­ti­on. Für vie­le Zeit­ge­nos­sen war Dar­wins Evo­lu­ti­ons­theo­rie ein Affront, stell­te sie doch das christ­lich-abend­län­di­sche Welt­bild in Fra­ge. Obwohl vie­le Wis­sen­schaft­ler Dar­win bei­pflich­te­ten, sah er sich bit­te­rer Häme aus­ge­setzt – etwa in Form der berühm­ten Kari­ka­tur eines Orang-Utans mit Dar­wins Kopf. Die schärf­ste Ableh­nung kam aller­dings von Kir­chen­ver­tre­tern, die die bibli­sche Schöp­fungs­leh­re in Gefahr sahen.

Dar­win starb am 19. April 1882 im Alter von 73 Jah­ren, und wur­de in der West­mi­ni­ster Abbey von Lon­don neben ande­ren nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern bei­gesetzt. Dass aus­ge­rech­net ein stu­dier­ter Theo­lo­ge die Schöp­fungs­ge­schich­te wider­leg­te, mutet viel­leicht an wie ein Scherz der Geschich­te. Heu­te gehö­ren jedoch vie­le von Dar­wins Kern­aus­sa­gen zum All­ge­mein­wis­sen. Sei­ne von ihm ent­wor­fe­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie hat wie die astro­no­mi­sche For­schung von Niko­laus Koper­ni­kus über 300 Jah­re zuvor an Jahr­tau­sen­de alten Grund­fe­sten gerüt­telt und unser Welt­bild revolutioniert.