Die Diskriminierung von People of Color erfolgt nicht nur durch einzelne Polizeibeamte, sondern »es handelt sich … um ein strukturelles Problem polizeilicher Praxis« – das ist ein wichtiges Fazit eines Forschungsprojektes zu Polizeigewalt (https://kviapol.rub.de/), das derzeit an der Universität Bochum durchgeführt wird. In einem im November vorgelegten Zwischenbericht untermauern die Forscher, was kritische Beobachter der Polizeiarbeit schon lange aus der Praxis kennen.
Der Zwischenbericht thematisiert Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen, die sich im Zusammenhang mit polizeilicher Gewaltausübung ereignet haben. Grundlage dafür sind Auskünfte von 3737 Teilnehmern einer Online-Befragung. Mehrfach betonen die Forscher, dass ihre Studie nicht repräsentativ ist. So haben nur 164 People of Color (PoC, definiert als Personen mit oder ohne Migrationshintergrund, die Rassismuserfahrungen gemacht haben) teilgenommen. Der Anteil von Teilnehmern ohne deutsche Staatsangehörigkeit lag nur bei drei Prozent, obwohl sie 12 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Dennoch erlaubt die Studie Schlussfolgerungen und zeigt politischen Handlungsbedarf an.
Zu den wichtigsten Teilergebnissen gehört, dass 62 Prozent der PoC angeben, sich in Situationen diskriminiert gefühlt zu haben, in denen sie – aus ihrer Sicht ungerechtfertigter – Polizeigewalt ausgesetzt waren. Im Vergleich: Eine Diskriminierung haben nur 31 Prozent der »weißen« Umfrageteilnehmer empfunden.
Als ausschlaggebend für die Behandlung durch die Polizei haben PoC vorrangig Kriterien genannt, die sie äußerlich von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden: die (zugeschriebene) »ethnische/kulturelle Zugehörigkeit«, »Hautfarbe« sowie »Kleidung/Aussehen«. Bei näherer Betrachtung wird eine intersektionale Wirkung dieser Faktoren deutlich, so sind etwa Menschen mit dunkler Hautfarbe umso eher Diskriminierung ausgesetzt, je mehr ihnen etwa aufgrund von Kleidung und Aussehen ein niedriger sozialer Status zugeschrieben wird. Auch Faktoren wie Geschlecht, sexuelle Orientierung und Bildungsstand spielen hier eine wichtige Rolle. Achtzig Prozent der befragten PoC und Menschen mit Migrationshintergrund geben zudem an, sie seien nicht nur einmal, sondern mehrfach aufgrund der genannten Eigenschaften diskriminierend behandelt worden.
Dass die Selbsteinschätzung Hand und Fuß hat, ist aus anderen Ergebnissen der Studie ablesbar: So werden bezogen auf die Gesamtteilnehmer die meisten Diskriminierungserfahrungen im Rahmen von politischen Aktionen oder Großveranstaltungen (etwa Fußballspiele) gemacht – nicht jedoch bei PoC: Sie bekommen es meist außerhalb von Großveranstaltungen mit der Polizei zu tun, überwiegend im Rahmen von Personenkontrollen, denen sie relativ gesehen fast doppelt so häufig unterzogen werden wie »Weiße«.
Eine zentrale Rolle spielt dabei das sogenannte polizeiliche Erfahrungswissen, das sich unter anderem aus individuellen Erfahrungen der Polizisten, aber auch aus anderen Quellen wie Erzählungen von Kollegen, Medienberichten und so weiter speist. Darin fließen auch gesellschaftliche Diskurse ein, die häufig zu pauschalen, kulturalisierenden Zuschreibungen führen, denen zufolge Angehörige »anderer Kulturen« in besonderer Weise zu Delinquenz neigten.
Dass eine rassistische Polizeipraxis (auch) strukturell angelegt ist, wird schon daraus deutlich, dass sie nicht nur individuellen Vorlieben folgt (die auch deswegen nicht nur »Einzelfälle« sind, weil sie ihrerseits auf gesellschaftlichen Diskursen beruhen), sondern rechtlichen und institutionellen Vorgaben und spezifischer Berufslogik. Hier ist etwa die besondere Befugnis zu anlasslosen Kontrollen an bestimmten Orten (»gefährliche Orte« nach Landespolizeigesetzen) zu nennen. Wer sich dort aufhält, gilt generell als verdächtig, erst recht PoC. Der Wirkmechanismus verstärkt sich dann wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Weil PoC überdurchschnittlich oft kontrolliert werden, wird bei ihnen auch überdurchschnittlich oft etwas Kriminalisierbares festgestellt, was Polizisten dann als »Bestätigung« ihrer Grundannahmen deuten können. Zitat eines befragten Polizisten: In ein Gebiet mit höherer Kriminalität »gehe ich als Polizist nicht völlig neutral rein …, und dann hau ich wahrscheinlich … schneller zu, als wenn ich nach XY gehe«.
Zudem gibt es ein eklatantes Defizit an innerbehördlicher Fehlerkultur. Das fängt damit an, dass als rassistisch meist nur gilt, was auch rassistisch intendiert ist, womit Diskriminierungspraktiken aufgrund unterschwelliger, womöglich gar nicht bewusster Stereotype ausgeblendet werden. Rassismus-Vorwürfe werden dementsprechend von Polizisten oft als »Missverständnis« abgetan oder als Aggression empfunden, sind sogar häufig Auslöser polizeilicher Gewaltanwendung. Daneben gibt es auch ganz bewusst rassistische Einstellungen, die zum Teil offen im Kollegenkreis oder gegenüber Betroffenen geäußert werden.
Auch die gesellschaftlichen Folgen einer rassistischen Polizeipraxis werden in der Studie angesprochen: Zum einen wird der »weißen« Mehrheitsbevölkerung durch die überdurchschnittliche Kontrolle von PoC vermittelt, sie seien in höherem Maße delinquent, zum anderen wird bei den Betroffenen eine Distanz gegenüber der Polizei geschaffen, die auch in ein umfassendes Vermeidungsverhalten führen kann: Bloß nicht auffallen, bestimmte öffentliche Orte meiden, soweit wie möglich unsichtbar für die Polizei bleiben. Die Praxis führt damit zu einer vertieften Ausgrenzung von PoC.
Der Zwischenbericht macht deutlich, wie dringend notwendig eine umfassende Studie zu Rassismus in der Polizei wäre. Was Bundesinnenminister Horst Seehofer dagegen in Auftrag geben will, ist lediglich eine Studie zum Polizeialltag, die rassistisches Fehlverhalten nur am Rande und nur als Folge von Arbeitsstress und Alltagserfahrungen thematisieren soll – strukturell bedingte Faktoren und Sozialisationsprozesse bleiben damit außen vor. Das ist im Übrigen auch das Defizit bisheriger »Sensibilisierungs«-Trainings bei der Polizei: Sie erreichen (wenige) einzelne Beamte, ohne wirklich in den Dienststellen den Alltag zu verändern, und sie haben nicht den nötigen Raum, gesamtgesellschaftliche Strukturen in den Blick zu nehmen.