Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Da war noch etwas

Geden­ken und Erin­nern hat immer zwei Sei­ten. Es sei denn, es herrscht staats­ver­ord­ne­te Ver­gess­lich­keit. Wes­halb ent­schwand ein histo­ri­sches Datum der Alt-Bun­des­re­pu­blik aus dem offi­zi­el­len Gedächt­nis, wäh­rend just das glei­che Datum Anlass war, sich der DDR wie­der ein­mal beson­ders zu widmen?

Stich­wort: 26. Mai 1952. In Bonn wur­de der Deutsch­land­ver­trag unter­zeich­net, der das Besat­zungs­sta­tut der West­al­li­ier­ten ablö­ste, der Bun­des­re­pu­blik Sou­ve­rä­ni­tät und eine Nor­ma­li­sie­rung ihres völ­ker­recht­li­chen Sta­tus gewäh­ren soll­te. Tags dar­auf wur­de in Paris der Ver­trag über die Euro­päi­sche Ver­tei­di­gungs­ge­mein­schaft (EVG) von Frank­reich, Bel­gi­en, Luxem­burg, Ita­li­en, den Nie­der­lan­den und der Bun­des­re­pu­blik unter­zeich­net. Der Weg der Bun­des­re­pu­blik in ein west­eu­ro­päi­sches mili­tä­ri­sches Bünd­nis gegen die UdSSR war geöffnet.

Mit US-Prä­si­dent Har­ry S. Tru­man* kam ab 1947 eine neue Außen­po­li­tik zum Tra­gen. An Pathos fehl­te es nicht: »Die frei­en Völ­ker der Welt rech­nen auf unse­re Unter­stüt­zung in ihrem Kampf um die Frei­heit. Wenn wir in unse­rer Füh­rungs­rol­le zau­dern, gefähr­den wir den Frie­den der Welt.« Klingt wie heu­te beim The­ma Ukrai­ne. Mit der Tru­man-Dok­trin und im allei­ni­gen Besitz der Atom­bom­be spra­chen sich die USA selbst die Rol­le einer welt­wei­ten Ord­nungs­macht zu. Dem ent­sprach als Besat­zungs­macht das Ziel in Deutsch­land-West, einen »deut­schen Bei­trag« zur Ver­tei­di­gung des Westens inner­halb einer euro­päi­schen Armee zu arran­gie­ren. Die SPD war damals (heu­te undenk­bar) sowohl gegen die Wie­der­be­waff­nung als auch gegen die von Ade­nau­er rigo­ros ange­streb­te West­in­te­gra­ti­on. Die Fran­zö­si­sche Natio­nal­ver­samm­lung durch­kreuz­te die Plä­ne am 30. August 1954 und beschloss mit 319 zu 264 Stim­men, die Ent­schei­dung über die EVG auf unbe­stimm­te Zeit zu ver­ta­gen. Auch in Ita­li­en kam es nie zu einer Rati­fi­ka­ti­on. Das änder­te nicht einen Deut an den ursprüng­li­chen Planungen.

In Ber­lin beschloss der Mini­ster­rat der DDR an jenem 26. Mai 1952 eine Ver­ord­nung »über Maß­nah­men an der Demar­ka­ti­ons­li­nie zwi­schen der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik und den west­li­chen Besat­zungs­zo­nen Deutsch­lands«. Am 27. Mai trat ergän­zend eine wei­te­re für die Poli­zei in Kraft, um eine »besondere(n) Ord­nung an der Demar­ka­ti­ons­li­nie« ein­zu­füh­ren. In der DDR-Ver­ord­nung wur­de der Begriff Gren­ze expli­zit ver­mie­den und rechts­ver­bind­lich erklärt: »Alle zur Durch­füh­rung die­ser Maß­nah­men getrof­fe­nen Anord­nun­gen, Bestim­mun­gen und Anwei­sun­gen sind unter dem Gesichts­punkt zu erlas­sen, dass sie bei einer Ver­stän­di­gung über die Durch­füh­rung gesamt­deut­scher Wah­len zur Her­bei­füh­rung der Ein­heit Deutsch­lands auf demo­kra­ti­scher und fried­li­cher Grund­la­ge sofort auf­ge­ho­ben wer­den kön­nen.« Noch im März 1952 hat­te Sta­lin den West­mäch­ten in einer Note Ver­hand­lun­gen über die Wie­der­ver­ei­ni­gung und Neu­tra­li­sie­rung Deutsch­lands ange­bo­ten. Es kam nicht ein­mal zu Gesprä­chen. In Bonn waren die Wei­chen längst gestellt und der Osten Deutsch­lands ent­ge­gen allen Sonn­tags­re­den auf ewig abgeschrieben.

Gut, dass es Archi­ve und Pro­to­kol­le gibt, die das bele­gen. Am 22. Janu­ar 1951 tra­fen sich Ade­nau­er und die ehe­ma­li­gen Hit­ler-Gene­rä­le Adolf Heu­sin­ger und Hans Spei­del mit dem Hoch­kom­mis­sar der USA und Mili­tär­gou­ver­neur in Deutsch­land, John McCloy, sowie dem Supre­me Allied Com­man­der Euro­pe, Dwight D. Eisen­hower. Der wert­schätz­te die bei­den Mili­tärs sehr. Um sie für eine Job­per­spek­ti­ve in der EVG zu gewin­nen, bedurf­te es sicher nicht vie­ler Wor­te. Und so ist einen Monat spä­ter über die 131. Sit­zung des Bun­des­ka­bi­netts am 23. Febr. 1951 TOP C nach­zu­le­sen, was Heu­sin­ger als Stim­me Ame­ri­kas von sich gab. Näm­lich, »dass die Gefahr eines krie­ge­ri­schen Über­falls (durch die Sowjet­uni­on, d. Verf.) erheb­lich ern­ster zu neh­men sei, wenn etwa die EVG unter Betei­li­gung der Bun­des­re­pu­blik nicht zustan­de kom­men sollte«.

Der Fach­mann fürs Krie­ge­ri­sche stell­te in Aus­sicht, dass die nach dem Ver­trags­werk auf­zu­stel­len­den 12 deut­schen Divi­sio­nen etwa Ende 1954 ein­satz­be­reit sein wür­den. Sei­ne Exper­ti­se beruh­te auf sei­ner Betei­li­gung an den Pla­nun­gen für eine mili­tä­ri­sche Aggres­si­on gegen die Tsche­cho­slo­wa­kei 1938/​39, zum Über­fall auf Polen am 1. Sep­tem­ber 1939 (Fall Weiss) und auf die Sowjet­uni­on im Juni 1941 (Unter­neh­men Bar­ba­ros­sa). Seit August 1942 hat­te er die »Par­ti­sa­nen­be­kämp­fung« in den besetz­ten Gebie­ten koor­di­niert und »Richt­li­ni­en für die Ban­den­be­kämp­fung« aus­ar­bei­ten las­sen. Als Zeu­ge in den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen sag­te er aus, dass die Behand­lung der Zivil­be­völ­ke­rung und die Metho­den der Ban­den­be­kämp­fung eine will­kom­me­ne Gele­gen­heit zur »systematische[n] Redu­zie­rung des Sla­wen- und Juden­tums« gebo­ten habe.

All das behin­der­te in kei­ner Wei­se die spä­te­re Kar­rie­re zum ersten Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr. Ab 1961 bis 1964 war er Vor­sit­zen­der des Mili­ta­ry Com­mit­tee der Nato in Washing­ton und Mit­in­itia­tor der ab 1967 ange­wand­ten Nato-Nukle­ar­stra­te­gie der Fle­xi­ble Respon­se (fle­xi­ble Erwiderung).

Ange­sichts die­ser von lan­ger US-Hand vor­be­rei­te­ter Per­so­nal­ver­wen­dung wur­de also die Reak­ti­on der sowje­ti­schen Besat­zungs­macht in Abstim­mung mit dem DDR-Mini­ster­rat gera­de­zu pro­vo­ziert. Die Fol­gen des neu­en Regimes nach der Pra­xis der UdSSR waren für die Men­schen öst­lich von Elbe und Wer­ra äußerst tra­gisch und schwer­wie­gend. Es käme der histo­ri­schen Wahr­heit wesent­lich näher, sie als erste Opfer der Tru­man-Dok­trin des Kal­ten Krie­ges zu würdigen.

70 Jah­re spä­ter erin­ner­te Bran­den­burgs Mini­ster­prä­si­dent Diet­mar Woid­ke (SPD) in Len­zen (Pri­g­nitz) zwar an die Gescheh­nis­se und Fol­gen, ver­lor aber kein ein­zi­ges Wort über die Vor­ge­schich­te. Die Süd­deut­sche Zei­tung illu­strier­te ihren Bericht** auf der Web­sei­te gar mit dem Kon­ter­fei eines grin­sen­den Mini­sters Axel Vogel (Bünd­nis 90/​Die Grü­nen) wäh­rend der Gedenk­ver­an­stal­tung. Armin Laschet lässt grüßen.

Es steht außer Fra­ge, dass weder Bonn noch Ber­lin zu jener Zeit und sogar bis 1990 so sou­ve­rän waren, um Fra­gen zu ent­schei­den, die allein der Ent­schei­dungs­be­fug­nis der vier Sie­ger­mäch­te obla­gen. Das haben Woid­kes Redeschreiber*innen wohl nicht gewusst.

* Den Befehl zum Ein­satz der ersten Atom­bom­be auf Hiro­shi­ma gab die­ser US-Prä­si­dent am 25. Juli 1945 wäh­rend der Pots­da­mer Kon­fe­renz der Siegermächte.

** https://www.sueddeutsche.de/wissen/geschichte-lenzen-elbe-brandenburg-gedenkt-der-opfer-im-ehemaligen-todesstreifen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220527-99-454773