Das größte Pharmaunternehmen Chinas, die »Yangtze River Pharmaceutical Group« wurde, wie die chinesische Wirtschaftsplattform Caixin Global am 16. April berichtete, zu umgerechnet 117 Mio. US-$ Strafe verdonnert. Die Strafe bemisst sich auf drei Prozent des 2019 ausgewiesenen Gewinns. Die staatliche Marktregulierungsbehörde SAMR beschuldigte den Pharmariesen, illegale Preisabsprachen getroffen zu haben. Der über 452 Medikamentenlizenzen verfügende Pharmagigant stand im Ranking des Informationszentrums der chinesischen pharmazeutischen Industrie in den Jahren 2014 bis 2019 ständig auf Position 1. Ein erneuter Donnerschlag im Business, nachdem in den Verhandlungen mit der chinesischen Nationalen Gesundheitsbehörde NHSA im Dezember die Preise für neu entwickelte Produkte um durchschnittlich 51 Prozent gesenkt werden mussten (siehe Ossietzky 04/2021), damit sie in die »Rote Liste« der erstattungsfähigen Medikamente aufgenommen werden konnten.
Und damit ist der Medikamentenhersteller noch billiger weggekommen als der E-Kommerz-Gigant »Alibaba Group«, der nach einer 100 Tage dauernden Untersuchung mit 2,8 Mrd. US-$ geschätzte vier Prozent seines Gewinns an Strafzahlungen entrichten muss.
Seine Marktmacht ausnutzend, praktizierte Alibaba »picking one from two«. Gemeint ist die Praxis, im Falle, dass ein Händler seine Waren auf der Plattform eines Rivalen wie »JD.com.Inc.« oder »Pindoudou« anbot, diese Produkte von den beliebten Alibaba-Online-Marktplätzen »Taobao« und »Tmall« herauszunehmen bzw. den Datenverkehr zu blockieren. Alibaba gelobte Besserung und kündigte an, den Tausenden von Drittanbietern künftig Hilfestellung zu bieten, um leichter auf seinen Websites zu verkaufen. Es wird gemunkelt, dass dieses Entgegenkommen Teil des oben erwähnten Vergleichs mit SAMR gewesen sei. »Ant Group«, die FinTech-Tochter von Alibaba wird unter Aufsicht der Zentralbank Chinas in eine Finanzholding umstrukturiert. Die Ausgliederung der Kreditprodukte, die zu 39,4 Prozent des Umsatzes ausmachen, ist Teil einer umfassenden Überarbeitung der Firmengruppe.
Chinas Marktaufsichtsbehörde untersucht aktuell die 2015 vorgenommene 44-prozentige Beteiligung der Alibaba Group Holding Ltd. an dem staatseigenen Stahlgiganten China Minmetals Development Co. Ltd. und eröffnet damit eine neue Front im regulatorischen Kampf mit dem E-Commerce-Riesen.
Mit der Rekordstrafe gegen Alibaba sollte offensichtlich ein Zeichen gesetzt werden, dass Ernst gemacht wird nach Jahren der Toleranz. Dabei geht SAMR strukturell neue Wege. Pony Ma Huateng, der Gründer von »Tencent« erbat dann auch umgehend ein Gespräch mit SAMR. In der darauffolgenden Woche wurden 34 chinesischen Internet-Giganten, darunter die Lieferdienste Meituan, ByteDance, JD.com und Didi Chuxing, zu einem Treffen mit Chinas Cyberspacebehörde (CAC) und Steuerverwaltung (CTA) gebeten. Sie sollten innerhalb eines Monats interne Checks durchführen und jegliches illegale Verhalten korrigieren. SAMR veröffentlichte daraufhin letzte Woche die schriftlichen Selbstverpflichtungserklärungen auf ihrer Website und warnte vor »strengen Strafen«. Die Regierung ist zunehmend besorgt über den wachsenden Einfluss der Unternehmen auf jeden Aspekt des chinesischen Lebens sowie über die riesigen Datenmengen, die sie durch die Bereitstellung von Diensten wie Online-Shopping, Chatten und Ride-Hailing angehäuft haben.
»Im digitalen Zeitalter wird die Regulierung von Superplattformen zu einer der gewichtigsten Punkte der institutionellen Innovation werden«, so Fang Xindong, Chefexperte am Institut für soziale Steuerung der Zhejiang Universität. Allein in den ersten zehn Monaten des Jahres 2019 hatte die Polizei nach Angaben des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit fast 46.000 Fälle von Internetkriminalität untersucht und 66.000 Verdächtige verhaftet – für Delikte wie Computer-Hacking, Internet-Betrug, Online-Glücksspiel und Cybersex.
China ist ein Nachzügler, was Kartellregeln betrifft. SAMR wurde erst vor drei Jahren gegründet, um »die Anstrengungen gegen Monopole zu verstärken und die ungeordnete Expansion des Kapitals einzudämmen«. Ende April bestrafte die Regulierungsbehörde Tencent Holding Ltd und sechs weitere Unternehmen, weil sie bei Akquisitionen oder Joint-Venture-Geschäften keine behördliche Genehmigung eingeholt hatten, obwohl die Transaktionen selbst nicht wettbewerbswidrig gewesen waren. Tencent muss für zwei Verstöße jeweils 77.200 Dollar zahlen.
In der kurzen Zeit ihrer Existenz ist SAMR dabei, mit ihren Anti-Monopol-Untersuchungen sich ähnlichen Respekt zu verschaffen wie die Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei in der Anti-Korruptions-Kampagne.
Aktuell hat SAMR den Wildwuchs im privaten Nachhilfe-Sektor im Auge und verhängte gerade ein Bußgeld von jeweils umgerechnet 389.000 Dollar gegen das Internet-Nachhilfe-Unternehmen »Zuoyebang«, einer Tochter von Alibaba, sowie gegen »Yuanfudao« von Tencent. Beide E-Nachhilfe-Unternehmen machten falsche Angaben über Lehrerqualifikation und Preise in ihrer Werbung.
Daneben ist der Dschungel der Essens-Lieferdienste im Fadenkreuz, die zu den größten weltweit zählen. Den Boom, durch die Covid-Pandemie noch befördert, nutzten die Marktriesen wie »Pinduduo« und drückten den Durchschnittslohn für ihre Boten von anfangs 10.000 Yuan monatlich auf die Hälfte – durch Prämienkürzungen, Verspätungsabzüge und anderes mehr –, und das im streikfreudigsten Land der Welt, wie Rolf Geffken, der profunde Kenner des chinesischen Arbeitsrechts, China nannte. Nur noch 1,3 Prozent der Zusteller verdienen mehr als 10.000 Yuan, ergab eine Umfrage des Staatlichen Postdienstes, wie am 22. März in der Beijing Youth Daily berichtet und beim Online-Nachrichtendienst Weibo 260 Millionen Mal abgerufen wurde.
Den exklusiven, bei Ausländern beliebten englischsprachigen Online-Essenslieferdienst »Sherpas« in Shanghai bestrafte die Regulierungsbehörde mit 178.000 Dollar. Ähnlich wie Alibaba hatte Sherpas wettbewerbsverzerrende Exklusivvereinbarungen mit Händlern getroffen. Diese von Alibaba perfektionierte Praxis ist weitverbreitet in China. Der Lieferdienst »Ele.me« von Alibaba hat damit über 20 Prozent Marktanteil erreicht. Der größte Liefer-Konkurrent »Meituan« steht aus dem gleichen Grund im Feuer und könnte mit 710 Mio. Dollar Strafe rechnen, wie das Börsenmagazin Der Aktionär errechnete. Ein lokales Gericht in Jiangsu entschied im April, dass Meituan 54.180 US-Dollar Entschädigung an den Konkurrenten Ele.me zu zahlen hat. Schon im Februar hatte ein Gericht in Zhejiang Meituan zu einer Entschädigung an Ele.me über 150.000 Dollar verurteilt. Peanuts für das fünftgrößte Unternehmen im Hang Seng Index nach gewichteter Marktkapitalisierung? Die Antitrust-Untersuchungen der SAMR dürften jedenfalls Meituans angekündigter 10- Milliarden-Dollar-Offensive ihre Dynamik nehmen.
Dabei werden vor Ort die Kämpfe der Zusteller heftiger. Die Alibaba-Tochter, die Essenliefer-Plattform Ele.me, fiel besonders negativ auf: Im Januar hatte sich der 47jährige Lui Jin selbst angezündet, weil ihm ein 5.000 Yuan-Scheck verspätet ausgestellt wurde. Als das Feuer von seinen Arbeitskollegen rechtzeitig gelöscht werden konnte, wollte Lui Jin nicht ins Krankenhaus, sondern zu seinem Boss. Auch wegen vorenthaltener Überstunden- und Urlaubsgelder musste sich Ele.me im Februar nach spontanen Streiks und einem Shitstorm im Internet öffentlich entschuldigen. In Sachen Korruptions- und Monopolbekämpfung, so viel steht fest, könnten sich die europäischen Staaten an China ein Beispiel nehmen.