Die Covid-Pandemie hat die Nachfrage nach Fernunterricht, Online-Tutoring und Live-Nachhilfe auch in China in extreme Höhen getrieben. Die Ein-Kind-Politik Chinas, aber vor allem das wettbewerbsorientierte Bildungssystem, speziell die Vorbereitung zur Hochschulzulassung, »Gao Kao«, haben dazu geführt, dass mittlerweile 92 Prozent der Eltern Nachhilfeinstitute beauftragen, wovon die Hälfte der Familien mehr als 1.500 Dollar jährlich zahlt, wie die Bildungszeitung China Education Paper in einer aktuellen Befragung von 4000 Eltern herausfand. In China findet die allseits begehrte Aufnahmeprüfung ins College an einem zentralen Termin statt, um den stressigen Prüfungstourismus zu verhindern, wie er in Frankreich zu beklagen ist, wo während einer Woche bei verschiedenen »Grand Ecoles« die Aufnahmeprüfung geschrieben werden, um den begehrten Studienplatz zu erlangen.
Um sich das nur in etwa vorzustellen, was es bedeutet, wenn die Hälfte der Eltern über 1.500 Dollar pro Jahr für die Nachhilfe ihrer Sprösslinge ausgibt: Hochgerechnet ist das ein Milliardenmarkt, um den sich Großunternehmen, zum Teil an der New Yorker und Shanghaier Börse gelistet, streiten. Allerdings hat sich da während der Pandemie ein mörderischer Konkurrenzkampf entwickelt.
Nun ist die Investitionsblase geplatzt. Der Markt frisst seine Kinder. Um nur einige Beispiele anzuführen: Larry Chen, vom Dorfschullehrer zu einem der reichsten Unternehmer aufgestiegen, sah seit Januar den Aktienkurs seines Online-Bildungs-Unternehmens »GSX Techedu Inc.« um 88 Prozent ins Uferlose sinken und wird sich aus dem Kreis der Milliardäre verabschieden müssen. Das Online-Nachhilfe-Unternehmen »17 Education & Technology Group« machte im 1. Quartal einen Verlust von 100 Mio. Dollar; die Firma hatte versucht, sich gegen die Konkurrenz mit einem riesigen Marketingetat zu rüsten, und sich dabei übernommen, obwohl die Zahl der eingeschriebenen Online- und Präsenz-Studierenden um 105 Prozent auf 543.000 gestiegen war.
Das blieb nicht ohne Reaktionen aus der Bevölkerung. In den vergangenen Monaten jagt ein Shitstorm in den sozialen Medien den anderen Im Oktober letzten Jahres musste »Youwin Education« den Betrieb einstellen. Hunderte Eltern versammelten sich vor dem Firmensitz in Beijing und forderten ihr Geld zurück. Ende Dezember folgte der Zusammenbruch eines weiteren Online-Nachhilfe-Unternehmens, »Xueba.100.com«, Tausende von Angestellten wurden arbeitslos, während Schüler und Eltern auf Rückerstattung ihrer im Voraus bezahlten Unterrichtsgebühren pochten, berichtete Caixin Global im Dezember 2020. Auch das zur Alibaba-Gruppe gehörende Start-up »Zuoyebang« ist gezwungen, Personal für Online-Kurse zur frühkindlichen Entwicklung abzubauen.
Wegen falscher Werbeversprechen, was Lehrerqualifikationen und Preise betraf, wurden im Mai Bußgelder von jeweils 326.000 Euro gegen »Zuoyebang« und »Yuanfudao« verhängt. Wegen gleicher Vergehen wurden im Juni weitere 13 große Nachhilfe-Unternehmen zu einer Geldbuße von insgesamt 4,94 Mio. Dollar verdonnert. – Die öffentliche Empörung verdichtete Gerüchte über ein hartes Durchgreifen der Marktregulierungsbehörde »State Administration for Market Regulation« (SAMR) gegen private Nachhilfe-Institute.
Das chinesische Bildungsministerium hat nun eine neue Aufsichtsbehörde gegründet, speziell für die Supervision von außerschulischen Nachhilfe-Instituten, die in den letzten Jahren in illegalen Aktivitäten verstrickt waren. Ziel ist es, eine exzessive Lernbelastung nach dem normalen Unterricht, aber auch finanzielle Belastungen für die Familien zu verhindern. Das Erziehungsministerium findet die gigantischen Werbeausgaben und die Veruntreuung von im Voraus bezahlten Studiengebühren zu Recht bedenklich. Es wird berichtet, dass die Vergabe von Lizenzen eingeschränkt und deren Verlängerung mit Auflagen belegt werde sowie dass möglicherweise private Online-Nachhilfe-Institute von der Börse ausgeschlossen würden. Für September, zum Schuljahresanfang, sei »D-Day« (Dooms-Day, das Jüngste Gericht) angesagt, wie Caixin Global berichtete.
Daher auch der Alarmruf internationaler Investoren: Pleiten und Kursstürze bei bis zu einem Fünftel von börsennotierten Unternehmen lassen die private chinesische Fondsmanagement-Agentur »Kaiyuan Capital International« inzwischen davon abraten, in den privaten Erziehungssektor zu investieren, meldete die Wirtschaftsplattform Caixin Global am 25. Juni. »Online-Lernspezialisten verbrennen Geld so schnell, wie sie es auftreiben können.«
Bleibt zu hoffen, dass einerseits Eltern mit mehr Kindern ihre egozentrisch auf den »Prinzen« oder die »Prinzessin« fokussierte überzogene Erziehungsmentalität ändern, andererseits die solidarische Hilfe beim Lernen nicht nur von körper- und lernbehinderten Kindern und Jugendlichen gerade bei sich vergrößernden Familien als staatliche Aufgabe ausgeweitet und durch kommunale und genossenschaftliche Strukturen ergänzt wird.